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T„Ich wollte nicht alleine alt werden“: Alte Druckerei wird Vorzeige-Wohnprojekt

Gertraud Beier und Birte Riel vor dem „Haus der Horizonte“ in der Freiburger Hauptstraße.

Gertraud Beier und Birte Riel vor dem „Haus der Horizonte“ in der Freiburger Hauptstraße. Foto: Susanne Helfferich

Vor gut zwei Jahren schoben Birte Riel und Frank Maier ein Projekt für gemeinsames und selbstbestimmtes Wohnen im Alter an. Sie suchten Mitstreiter - und fanden sie. Jetzt wird die Alte Druckerei in Freiburg in großem Stil umgebaut.

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Von Susanne Helfferich
Dienstag, 07.11.2023, 11:00 Uhr

Freiburg. Das „Haus der Horizonte“ in der Alten Druckerei sieht derzeit recht mitgenommen aus. Zur Hauptstraße hin ist das fast 100 Jahre alte Gebäude eingerüstet. Doch das Ausmaß der Veränderungen zeigt sich erst im Inneren. Im ersten Stock haben zehn Handwerker im linken Gebäudeteil mit Vorschlaghämmern Tatsachen geschaffen. Kaum eine Wand steht noch, nur noch die 100 Jahre alten Balken lassen die ursprüngliche Aufteilung erahnen. Im ehemaligen Yoga-Raum von Birte Riel im Erdgeschoss klafft ein großes Loch. Hier soll ein Ständer gesetzt werden, der die zusätzliche Last tragen soll. Denn künftig wird hier auf drei Etagen gewohnt.

In der Alten Druckerei entstehen acht Wohnungen

Insgesamt müssen 32 Stützen in zwei Etagen gesetzt werden. Das Dachgeschoss wird komplett ausgebaut, die Dachneigung zur Rückseite auf Stehhöhe angehoben, zur Hauptstraße werden die Gauben aufgestockt. So wird Platz geschaffen für acht Wohnungen zwischen 29 und 53 Quadratmetern - und alles barrierefrei.

Auf der Rückseite wird ein Aufzugsschacht angebaut sowie Balkone und Treppen. Hinzu kommen Gemeinschaftsräume, im Erdgeschoss ein großer multifunktionaler Gemeinschaftsraum und Kreativräume, in denen auch mal ein Gast übernachten kann. Im ersten Stock entsteht eine große Gemeinschaftsküche. Insgesamt wird die Hausgemeinschaft auf rund 450 Quadratmeter Wohnfläche leben.

Projekt wird mit 100.000 Euro gefördert

Das Ehepaar Riel und Maier - sie Diplom-Betriebswirtin und Heilpraktikerin, er Lehrer - hat Ende 2022 das ortsbildprägende Gebäude an die von ihnen gegründete Genossenschaft „Wohnen und Leben ins Alter eG“ verkauft. „Ins Alter, weil wir ja noch nicht alt sind“, erklärt die 62-jährige Birte Riel den mutmaßlichen Schreibfehler. Die künftigen Mitbewohner brachten Genossenschaftsanteile in Höhe von je 81.000 Euro ein. Darüber hinaus zahlen sie eine Miete, mit der die Umbaukosten finanziert werden.

Gefördert wird das Projekt vom Land Niedersachsen mit 100.000 Euro aus dem Programm „WuPiA – Wohnen und Pflege im Alter“. „Es geht ja auch darum, gemeinsam gesund zu altern“, erklärt Birte Riel, „wir wollen uns in Bewegung halten, damit wir den Pflegebedarf hinausschieben oder gar ganz verhindern können.“ Hilfreich dabei sei, dass sowohl sie als auch ihr Mann Präventologen seien.

70-Jährige zieht von der Eder in Hessen an die Elbe

Eine der Genossenschaftlerinnen, Gertraud Beier aus Allendorf (zwischen Marburg und Kassel), ist schon da. Sie wollte eigentlich Anfang November in ihr neues Zuhause einziehen. Doch die Baugenehmigung wurde aus internen Gründen später erteilt als geplant. Sie hofft, im April ihr neues Zuhause beziehen zu können, die 53 Quadratmeter große Wohnung im Erdgeschoss. Ihre Zelte in Allendorf hat sie bereits abgebrochen. Die Zeit bis zum Einzug überbrückt die 70-Jährige in einer Ferienwohnung in Freiburg.

Noch liegt der künftige Wohnbereich von Gertraud Beier in Trümmern.

Noch liegt der künftige Wohnbereich von Gertraud Beier in Trümmern. Foto: Susanne Helfferich

„Ich wollte nicht alleine alt werden“, erzählt Gertraud Beier, die stets auf eigenen Beinen stand und viele Jahre die Marketingabteilung eines großen Unternehmens geleitet hat. Bevor sie das Freiburger Projekt für sich entdeckte, hatte sie sich verschiedene Wohnmodelle in ganz Deutschland angesehen.Vieles sei zu teuer gewesen, manches passte nicht. Als sie im Oktober vergangenen Jahres im Internet das Projekt im „Haus der Horizonte“ entdeckte, habe sie Birte Riel angerufen und sei anschließend mit Hund Flocke gen Norden gestartet.

Nach anderthalb Tagen stand die Entscheidung fest. „Sie ist mutig vorangegangen“, sagt Birte Riel. Nach und nach fügten sich weitere Mitbewohner hinzu. Die Jüngsten sind ein Paar aus Köln, 55 und 59 Jahre alt, die künftig direkte Nachbarn sein werden und je eine kleine Wohnung bewohnen. Aus Darmstadt, Heidenheim und München kommen weitere Mitstreiter. Nur eine 65-Jährige zieht aus dem nahen Dollern nach Freiburg.

Probeschlafen und Kennenlernwoche vor Entschluss

Sie habe in den vergangenen zwei Jahren für das Projekt mehr als 100 Anfragen aus ganz Deutschland erhalten, erzählt Birte Riel. 30 Interessierte hätten einen Termin zum Probewohnen genutzt. Jetzt steht die Haus- und Lebensgemeinschaft.

Ende Juli gab es eine Kennenlernwoche mit Ausflügen. Alle neun Mitbewohner und -bewohnerinnen wohnten in der Alten Druckerei zur Probe; alle konnten sich kennenlernen. Das Fazit: „Jeder konnte sich danach gut vorstellen, mit den anderen in einer Gemeinschaft zu leben“, erzählt Riel. „Ich war von Anfang an ohne Zweifel“, sagt Gertraud Beier, „und ich hatte schon immer ein zuverlässiges Bauchgefühl.“

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