TBesuch im Gefängnis: In der JVA Bremen werden Straftäter zu Bildhauern

Ein jugendlicher Strafgefangener arbeitet in der Bildhauerwerkstatt in der JVA Bremen an einer Skulptur. Foto: Sina Schuldt/dpa
Strafgefangene müssen in der Regel arbeiten. In deutschen Gefängnissen gibt es zum Beispiel Tischlereien oder Bäckereien. In Bremen erschaffen Insassen hingegen Kunstwerke. Ein Besuch.
Bremen. Wenn der 40-Jährige an einem Kunstwerk arbeitet, vergisst er manchmal, dass er im Gefängnis ist. Dann konzentriert er sich auf das Material wie Stein oder Holz und lässt seiner Kreativität freien Lauf. „Die Ideen kommen aus meinem Kopf immer selber“, sagt er. „Das macht sehr viel Spaß.“
Der Mann lächelt zufrieden und arbeitet weiter an dem großen Holzklotz, der vor ihm steht. „Ich will so einen Kobold, so einen Zwerg machen, aus dem Wald mit Bart und Stock“, erklärt er. „Manchmal klappt es sehr gut“, sagt er mit Blick auf seine Werke. Dann sei er stolz auf seine Arbeit - auf den Fleiß und Schweiß, den er reingesteckt habe.
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Seit mehr als zwölf Jahren sitzt der 40-Jährige in Bremen im Gefängnis, mindestens zweieinhalb Jahre wird er nach eigenen Angaben noch hinter Gittern verbringen. Tagsüber arbeitet er in der Bildhauerwerkstatt und verdient damit den üblichen JVA-Lohn. Er fühle sich frei, wenn er an einem Kunstwerk arbeite. Außerdem lerne er viel. „Der Job ist so vielseitig“, sagt er.
Kunst-Arbeit im Gefängnis bundesweit einmalig
Die Bildhauerwerkstatt in der Justizvollzugsanstalt Bremen ist nach Angaben des Bremer Justizressorts bundesweit einmalig. Etwas Vergleichbares aus anderen Bundesländern ist demnach nicht bekannt.
„Das Besondere an diesem Projekt ist, dass es sich hier eben nicht um eine produktive Freizeitgestaltung in der Haft oder um eine Arbeitstherapiemaßnahme handelt“, sagt Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD). Die Bildhauerwerkstatt verstehe sich als künstlerischer Produktionsbetrieb.
Der Gesellschaft etwas zurückgeben
Hinter den hohen Gefängnismauern betreibt der gemeinnützige Verein „Mauern öffnen“ eine Werkstatt für Jugendliche und eine für Erwachsene. Künstler leiten die Strafgefangenen an, Auftragsarbeiten etwa für Kitas, Schulen und den öffentlichen Raum herzustellen.

Ulrike Möhle-Wieneke, Leiterin der Jugendwerkstatt der Bildhauerwerkstatt in der JVA Bremen. Foto: Sina Schuldt/dpa
„Sie haben der Gesellschaft Schaden zugefügt und haben hier die Möglichkeit, der Gesellschaft auch wieder etwas zurückzugeben“, sagt die Leiterin der Jugendwerkstatt Ulrike Möhle-Wieneke.
Junge Gefängnisinsassen trainieren Geduld und Regeln
Neben Geduld und handwerklichen Fähigkeiten trainieren die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die oft keinen Schulabschluss haben, in der Werkstatt das Einhalten von Regeln. Dies betreffe auch das Material Ton, erklärt die Künstlerin. Um eine Skulptur herzustellen, brauche es ein Konzept.
„Wenn man einen Fehler macht, verzeiht einem das Material nicht“, sagt Möhle-Wieneke, die seit 24 Jahren in der Bildhauerwerkstatt arbeitet. Ton ist ihr zufolge ein gutes Material für die jungen Menschen im Gefängnis, weil sie dafür keine schweren Werkzeuge brauchen, die als Waffe missbraucht werden könnten. Und weil schnelle Erfolge möglich sind. „Sie müssen hier Erfolgserlebnisse haben. Das ist unser Ziel“, erklärt sie.
Raus aus der Zelle und eine Skulptur erschaffen
Die Insassen sollen lernen, an einem Arbeitsplatz zu bestehen: sich an Regeln und Abläufe zu halten, Aufträge anzunehmen und auszuführen, freundlich und respektvoll miteinander umzugehen. Nebenbei erfahren die Männer etwas über den Wert von Kunst.
„Ich glaube, sie sind nicht mehr so schnell dabei, solche Skulpturen zu beschädigen, weil sie verstehen, wie viel Arbeit darin steckt“, sagt die Leiterin der Jugendwerkstatt. Die Insassen im Alter zwischen 19 und 23 Jahren, die an diesem Vormittag da sind, äußern sich positiv über ihre Arbeit. Es sei gut, aus der Zelle zu kommen und eine Skulptur zu erschaffen, sagen mehrere.

Skulpturen stehen im Außenbereich der Bildhauerwerkstatt in der JVA Bremen Foto: Sina Schuldt/dpa
Der Leiterin zufolge kommen manche Gefangene, die bei anderen Arbeitsstellen im Gefängnis Schwierigkeiten hatten, in der Werkstatt gut klar. „Das ist für Leute, die sich eigentlich gegen alles wehren wollen, eine Möglichkeit, bei sich zu sein durch diese Skulptur und trotzdem etwas für das Gesamtprojekt zu leisten“, erklärt sie. „Und das Ergebnis erfüllt sie natürlich mit Stolz.“
„Ich will die Delikte nicht wissen - außer es ist Mord oder Vergewaltigung“
Über die Biografien der Insassen möchte Möhle-Wieneke nicht viel wissen. „Hier kriegt jeder eine neue Chance“, sagt sie. Klar sei: Viele haben Gewalterfahrungen, viele sind wegen Einbruchs, Diebstahls, Körperverletzungen und Drogendelikten im Knast. Manche lebten jahrelang auf der Straße. „Ich will die Delikte nicht wissen - außer es ist Mord oder Vergewaltigung“, sagt sie.
Bei diesen Verbrechen sei eine Information wichtig, auch weil Künstlerinnen mit den männlichen Gefangenen arbeiten. „Wenn jemand einen Mord begeht oder vergewaltigt, da steckt natürlich immer etwas Psychologisches dahinter und dann möchte ich sozusagen mental auf den Menschen vorbereitet sein.“
Nebenan in der Erwachsenenwerkstatt arbeitet der 40 Jahre alte Insasse weiter an seiner Holzfigur. Der Raum ist hell, der Durchgang zum Außenbereich offen. Auch draußen stehen viele Figuren, einige sind bemalt. Für die Angestellten des Vereins und die Insassen, die in der Erwachsenenwerkstatt arbeiten, ist die Außenfläche ein Ort zum Durchatmen, wie Klaus Effern erzählt. Er leitet die Werkstatt mit seinem Kollegen Janis Mengel.
Wenn Drogen über die Mauer fliegen
Tageslicht, frische Luft und Freiraum - im Gefängnis ist all das knapp. Auch deshalb ist die Werkstatt mit Außenbereich beliebt. Dort ist Platz, den Blick schweifen zu lassen und den Himmel zu sehen. Neben der künstlerischen und räumlichen Freiheit ist die Arbeitsstelle für manche Insassen aber aus anderem Grund reizvoll, wie Effern erzählt. „Hier ist die Mauer, hier fliegen die Drogenpakete drüber“, sagt er.
Dann erzählt er von Sommertagen, an denen jeden zweiten Tag Päckchen von draußen über die Mauer in den Außenbereich der Bildhauerwerkstatt geworfen wurden. Der Sicherheitsdienst, der die Pakete auf Videoaufnahmen sah, rückte an, die Arbeit wurde eingestellt und alles überprüft. Das sei sehr anstrengend und nervig gewesen. „Jetzt habe ich eine Gruppe, da war das seit Monaten nicht“, sagt er zufrieden. „Das macht wirklich Spaß“.
Gefangene müssen selbstständig arbeiten
Eigenständiges Arbeiten ist in der Bildhauerwerkstatt für Erwachsene wichtig - auch weil die Chefs neben der Anleitung der Insassen viel im Büro zu tun haben. „Wir müssen Gelder reinspielen. Und zwar nicht wenig“, sagt Effern. Er müsse am Telefon und Computer arbeiten, um neue Aufträge abzusprechen.
Der 40-jährige Insasse, der weiter seine Holzfigur formt, will bis zum Ende seiner Haftzeit künstlerisch arbeiten. Es wäre schön, wenn er nach seiner Entlassung damit Geld verdienen könnte, sagt er. Als Hobby kann er sich die Bildhauerkunst ebenfalls vorstellen. „Ich würde gerne so eine kleine Garage haben oder so einen Raum, wo ich das praktizieren kann.“
Kunst im und aus dem Knast seit mehr als 45 Jahren
Die Bildhauerwerkstatt in der JVA Bremen wurde im Jahr 1978 eröffnet, seit 1997 ist der Verein „Mauern öffnen“ zuständig. Inwieweit die Arbeit mit der Kunst den Gefangenen bei der Resozialisierung hilft, ist schwer zu sagen. „Darüber möchte ich keine Aussagen treffen“, sagt Effern.