Zähl Pixel
Drochtersen

TBlauzungenkrankheit: Was das Virus bei Morgensterns angerichtet hat

Landwirt Moritz Morgenstern mit Olivia. Dieses wegen der Blauzungenkrankheit zu früh geborene Kalb hat überlebt. Eine gute Milchkuh wird Olivia nie werden, sagt Morgenstern. Doch sie darf bleiben.

Landwirt Moritz Morgenstern mit Olivia. Dieses wegen der Blauzungenkrankheit zu früh geborene Kalb hat überlebt. Eine gute Milchkuh wird Olivia nie werden, sagt Morgenstern. Doch sie darf bleiben. Foto: Knappe

Olivia hat überlebt. Doch dieses Kälbchen wird nie eine kräftige Kuh werden. Schuld ist die Blauzungenkrankheit. Besuch auf dem betroffenen Hof in Kehdingen.

author
Von Katja Knappe
Samstag, 15.02.2025, 11:05 Uhr

Drochtersen. Es ist ein ungleicher Kampf, David gegen Goliath. Und David ist dabei eine Gnitze. Eine kleine Stechmücke, die das Virus überträgt, das die tückische Blauzungenkrankheit (BTV) auslöst.

Jahrzehntelang galt sie als exotische Tierseuche, die sich in Nord- und Mitteleuropa kaum verbreiten kann. 2006 wurde das Virus erstmals in Deutschland eingeschleppt. 2024 schlug die Blauzungenkrankheit erstmalig im Norden mit aller Härte zu.

Ausschließlich Wiederkäuer wie Schafe, Rinder, Ziegen oder Rehe sind von dieser Krankheit betroffen, die für den Menschen völlig ungefährlich ist. Wirksame Impfungen kamen für viele Tiere zu spät. Auf Basis einer Eilverordnung des Bundes wurde die Anwendung von drei Impfstoffen für die BTV-Variante 3 zum 6. Juni 2024 gestattet.

Nur ein Drittel aller Rinder im Landkreis geimpft

Von 98.000 Rindern im Landkreis Stade wurde nach Angaben des Kreisveterinäramtes 2024 nur ein Drittel gegen die damals grassierende Blauzungenkrankheit-3-Variante geimpft. Von den 8600 Schafen und Ziegen im Kreisgebiet erhielt weniger als ein Viertel den Impfstoff. Von Juli bis Oktober erhöhte sich die Übersterblichkeit bei Schafen um knapp 300 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Bei Rindern waren es nach Angaben des Kreisveterinäramtes rund 22 Prozent mehr tote Rinder.

Moritz Morgenstern aus Drochtersen-Aschhorn hält auf seinem 330 Hektar großen Biobetrieb rund 170 Milchkühe sowie etwa 180 Kälber und Jungrinder: Deutsche Rotbunte, eine alte Zuchtrichtung, die als robust gilt, aber weniger Milch produziert als die in der Region verbreiteten Hochleistungs-Milchkühe.

Außerdem hält die Familie noch zwölf Schafe. „Die Schafe hatten wir letztes Jahr im Sommer noch gegen BTV geimpft. Bei Kühen sollte die Infektion angeblich nicht so schlimm verlaufen, deshalb haben wir da nicht geimpft“, erzählt Morgenstern.

Im August entdeckte der Landwirt auf der Weide die erste Kuh mit roten Stellen an der Nase. Der Tierarzt sei anfangs nicht davon überzeugt gewesen, dass es sich um die Blauzungenkrankheit handelte: „Die Symptome waren ihm nicht deutlich genug.“ Doch die Tests bestätigten: Es war BTV.

Milchleistung drastisch gesunken

„Bei keinem unserer Tiere habe ich die typisch blau verfärbte Zunge gesehen“, erzählt Morgenstern. Doch es war schlimm: Zwei erwachsene Milchkühe überlebten die Seuche nicht. „Sie waren sehr abgemagert. Da hat nichts mehr geholfen. Bei der einen hatte ich noch das Gefühl, sie hätte sich wieder berappelt. Dann lag sie eines Morgens tot im Stall“, erzählt Moritz Morgenstern.

Bei anderen erkrankten Kühen sei die Milchleistung dramatisch gesunken. Als Bio-Landwirt habe er keine Kühe, die häufig mehr als 10.000 Liter Milch im Jahr lieferten. Seine Tiere hätten vor der Blauzungenkrankheit im Jahresdurchschnitt 6500 Liter gegeben. „Jetzt sind es 500 bis 700 Liter weniger pro Kuh.“ Morgenstern schätzt den finanziellen Verlust allein bei der fehlenden Milch aufgrund des Virus auf 50.000 Euro.

„Die erwachsenen Kühe haben still gelitten. Man sah, dass sie Schmerzen hatten, sie machten einen runden Rücken, hatten struppiges Fell“, sagt Morgenstern. Und es habe viele Klauenerkrankungen gegeben; vermutlich, weil das Immunsystem angegriffen war. Kühe brauchten lange, um sich zu erholen, sagt Morgenstern. Einige Tiere hat er vorzeitig schlachten lassen. Durchschnittlich bleiben seine Milchkühe sonst acht bis zehn Jahre auf dem Hof.

Totgeburten oder Beine wie aus Gummi

„Wir haben etwa zehn Kälber verloren. Sie wurden vier bis sechs Wochen zu früh geboren und kamen entweder tot zur Welt oder starben kurze Zeit später. Wenn die Muttertiere in der mittleren Trächtigkeit erkrankten, hatten die Frühgeburten Beine wie Gummi, sie konnten nicht stehen und haben auch nicht wirklich getrunken. Sie haben den Kopf hin und her geworfen“, erzählt Moritz Morgenstern.

Ein Kalb hat überlebt. Es erlangte in den sozialen Medien Bekanntheit und bekam von den Nutzern auch einen Namen: Olivia. Sie kam am 26. Oktober 2024 auf der Weide zur Welt. Etwa vier Wochen zu früh, das Muttertier war mit BTV infiziert.

Winzlings-Kalb Olivia kämpft ums Überleben

„Olivia war winzig. Selbst unser Kälbernuckel hat nicht gepasst, er war zu groß. Ihre Zähne haben gewackelt, die Zahnplatte war noch lose, weil sie zu früh geboren wurde“, erzählt Morgenstern. Sie sei zunächst gar nicht gewachsen, war ganz schwach. „Wir mussten sie einzeln halten.“ Rund um die Augen hat Olivia kahle Stellen, wegen einer Flechte.

„Doch sie hat einen enormen Überlebenswillen“, staunt Morgenstern immer wieder und krault Olivia unterm Kinn. Dreieinhalb Monate ist sie jetzt alt. Seit drei Wochen darf sie gemeinsam mit anderen, neugeborenen Kälbern stehen. Olivia ist im Vergleich noch immer kleiner und hustet. Doch sie trinkt und frisst, Milch und Kraftfutter. Aus ihr werde nie eine kräftige Milchkuh, sagt der Landwirt. „Aber sie bleibt hier auf dem Hof.“

Hoffen auf den richtigen Impfschutz

Das Stader Kreisveterinäramt erwartet „mit Sicherheit“, dass es 2025 zu einem erneuten Aufflammen der Blauzungenkrankheit-Infektionen kommt. Das Friedrich-Loeffler-Institut hält bundesweite Impfungen aller Herden für nötig. Erst wenn die Gnitzen kein Blut von erkrankten Tieren mehr saugen können, werden sie kein Virusträger mehr sein.

Morgenstern hofft auf Impferfolge. Ein Repellent, also einen Anti-Gnitzen-Wirkstoff, der äußerlich aufgetragen wird, möchte er als Biobetrieb nicht einsetzen. „Danach müsste ich zwei Tage lang die komplette Milch wegkippen, 5000 Liter.“ Morgenstern plant mit einer Impfung im Februar/März.

Dann dauere es sechs Wochen, bis der Immunschutz da ist. Allerdings lasse dieser nach sechs Monaten schon wieder nach - dann ist Sommer. 2024 waren die Gnitzen witterungsbedingt vor allem ab Juli sehr aktiv. Sie mögen es warm und feucht.

„Gerade bei uns im Moor ist es für Gnitzen herrlich“, sagt Moritz Morgenstern. Aber auch Kollegen, die Tiere im Stall hatten, seien betroffen gewesen. Wiederkäuer können mehrfach an BTV erkranken. Genesene Tiere können aber einen gewissen Immunschutz vor erneuten Infektionen mit dem gleichen Serotyp entwickeln.

Morgenstern hofft, dass die Impfung gegen die Virusvariante BTV die richtige sein wird und 2025 nicht schon die nächste oder übernächste Virusvariante dominiert, gegen die die Impfung nicht wirkt.

Das ist wie bei den Corona- und Grippe-Impfungen. Pro Impfung und Tier erhält der Landwirt 4 Euro Zuschuss von der Tierseuchenkasse. „7 Euro zahle ich dazu. Bislang haben wir deutschlandweit erst eine Impfquote von 15 Prozent.“

Weitere Artikel