TChristian Sick kämpft für sein kleines Ahlerstedter Restaurant

Christian Sick ist aus voller Überzeugung Koch und Restaurantbesitzer. Aber die Situation ist schwierig. Foto: Fehlbus/Sick
Koch ist sein Beruf - und seine große Leidenschaft. Seit 30 Jahren. Wenn Christian Sick im „Esszimmer“ Gäste empfängt, lebt er seinen Traum. Aber Corona hat viel verändert. Nicht alle Kunden sind zurückgekehrt - und ein Gerücht machte es nicht besser.
Ahlerstedt. „Ende 2019 war alles super“, erinnert sich Christian Sick. Im März 2018 hatte er das „S-Café“ an der Hauptstraße in Ahlerstedt übernommen und zu „Christians Esszimmer“ gemacht. Hier ist Platz für 25 Gäste. Was auf den Tisch kommt, wird stets frisch zubereitet. „Alle fanden es toll. Im Dezember 2019 habe ich noch gedacht, wenn das so weitergeht, kannst du 2020 das Darlehen auf einen Schlag ablösen“, sagt der 55-Jährige. Doch dann kam Corona und damit die Krise.
Eingeschweißter Grünkohl mit Kasseler und Kohlwurst
„Zuerst habe ich das als Herausforderung angenommen. Ich war kreativ. Corona, dir zeig ich‘s“, sagt Christian Sick, während er an einem der Tische in der Mitte des übersichtlichen Restaurant-Raums sitzt. Von einer Freundin bekam er Weckgläser. Darin füllte er - formschön und haltbar - Hummer- und Parmesansuppe ab. Er schweißte fertig gekochten Grünkohl mit Kasseler und Kohlwurst ein. „Das musste nur noch ins Warmwasserbad, Kartoffeln dazu und fertig“, erzählt Sick. Und, wie lief es? „Gar nicht“, sagt er. Unter dem Strich blieb nach Abzug der Kosten kein Geld übrig.
Gemeinsam mit einer Mitarbeiterin kam er auf die Idee, Tapas-Boxen außer Haus zu verkaufen. Wer die zwölf Variationen mitnahm, musste die Schälchen nur noch auf den Tisch stellen. Gepresste Palmblätter, Schiffchen aus heimischen Hölzern und eine Pappschachtel machten das Paket plastikfrei. 36 Euro kostete das „Candle-Light-Dinner“ für zwei, auf Bestellung - auch als Sushi-Box. Manchmal bildeten sich sogar Schlangen vor der Tür, die es als Foto in die sozialen Kanäle schafften. Es half, die Zeit zu überstehen. Auch wenn es zusammen mit den Corona-Hilfen nicht wirklich sinnvoll war. Die finanzielle Unterstützung des Staates sollte Insolvenzen verhindern. Einnahmen verringern den Anspruch auf Förderung rückwirkend. Gerade laufen die Fristen für die Rückzahlung aus. Auch Sick muss für den Erfolg von damals bezahlen.

Im „Esszimmer“mit Platz für 25 Gäste gehört ein großer Teppich dazu. Foto: Fehlbus/Sick
Die Hilfen sind weg, die Krise noch da. „Dass das drei Jahre dauert, hätte ich nicht gedacht“, sagt der Koch, der in großen Häusern wie dem „Landhaus Dill“ an der Elbchaussee gelernt und sich im Kochstudio „Atlas“ in Bahrenfeld bis zum Küchenchef hinaufgearbeitet hat. Zuletzt war er Küchenchef im Harsefelder Restaurant „Villazzo“, bevor er sich selbstständig machte. Er könnte sofort in eine große Küche mit Ansprüchen zurückgehen, weiß der 55-Jährige. Köche, die perfekt einen Fond, eine Jus oder eine Demi-Glace-Sauce herstellen können und aus frischen, regionalen Zutaten hochwertige Gerichte zubereiten, werden händeringend gesucht. „Die Gehälter sind heute deutlich höher wegen des Fachkräftemangels“, weiß Sick.
Sauensieker ist der Region immer treu geblieben
Aber es ist doch sein Esszimmer, „ein Stück weit mein Lebenstraum“, sagt Sick und stellt beide Füße auf den Teppich unter dem Tisch. Warum der da unten liegt? „Erst einmal, weil es hier im Raum sonst hallen würde“, sagt der Sauensieker, der der Region immer treu blieb. Irgendwie gehöre in ein Esszimmer, das so gemütlich ist wie das im eigenen Elternhaus, ein Teppich. An einer Wand hängt ein silberner Hirsch. Die Einrichtung wirkt edel. Nichts erinnert mehr an das Grün der Wände, das fast verhindert hätte, dass es das „Esszimmer“ überhaupt gibt.
„Ich weiß noch, wie ich auf der anderen Straßenseite stand und etwas entsetzt in den quietschgrünen Raum sah“, sagt Sick. Erst einmal fuhr er unverrichteter Dinge wieder davon. „Du musst reingehen“, sagte ihm ein Kollege. Das tat er, lernte die nette Vorbesitzerin, die aus Norddeutschland wegziehen wollte, kennen und sah an der Wand seinen eigenen Wahlspruch hängen: „Essen ist ein Bedürfnis - Genießen eine Kunst“. Als er diesen erblickte, sei das gewesen, als verstehe er plötzlich alles, sagt Christian Sick. Manchmal glaube er einfach an Zeichen und erfüllte Wünsche aus dem Universum.

Gegrilltes Kalbsfilet auf Feigensenf-Jus, grünen Bohnen und Hummus. Foto: Fehlbus/Sick
„Super frisches und leckeres Essen! Mal was ganz Besonderes.“ „Gemütliches kleines Restaurant. Speisekarte für gehobene Ansprüche.“ „Sehr nette Kellnerin.“ 101 Rezensionen mit 4,7 von 5 Sternen bei Google machen „Christians Esszimmer“ zahlenmäßig zur Top-Adresse im Landkreis Stade. Für die meisten dürfte das unscheinbare Lokal ein Geheimtipp sein. Zu geheim, um dauerhaft in Ahlerstedt bestehen zu können?
Am Montag und Dienstag ist Ruhetag, am Mittwoch und Sonntag hatte Christian Sick zuletzt nur geöffnet, wenn Vorbestellungen vorlagen. Wenn nicht einmal das Licht brannte, „das haben mir einige übel genommen“, weiß der Koch heute. Zwar hatte er Energie und Ressourcen gespart, aber im Ort machte die Runde, das „Esszimmer“ hätte hier dauerhaft geschlossen. „Das war kontraproduktiv“, sagt Sick selbstkritisch.
Gaststättengewerbe deutlich unter Vor-Krisen-Niveau
Er will nicht aufgeben. Familienfeiern nimmt er gerne an. Auch Tapas- und Sushi-Boxen, gibt es noch auf Vorbestellung. Parallel kocht er für die Frischetheke einer Fleischerei, als kleinem Nebenjob. „Ansonsten weiß ich nicht, was ich machen soll. Besser kochen kann ich nicht“, sagt Sick. Die Rezensionen aus der stets meckerbereiten Internetgemeinschaft verraten, dass er das auch nicht muss.
Mit seinen Sorgen ist er nicht allein. Während der Corona-Krise verlor die Branche 36.000 Unternehmen in Deutschland. Laut dem Statistischen Bundesamt liegen die preisbereinigten Umsätze des Gaststättengewerbes 13 Prozent unter dem Vor-Krisen-Niveau von 2019. Weitere Betriebe werden im nächsten Jahr schließen, so die allgemeine Erwartung.