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Ende der Saison

TDie erstaunliche Verjüngung der Schützen: Eine Bilanz

Die 31-jährige Jessika Suhr ist Vorsitzende des Schützenvereins Jägerlust Hamelwördenermoor.

Die 31-jährige Jessika Suhr ist Vorsitzende des Schützenvereins Jägerlust Hamelwördenermoor. Foto: Richter

Das letzte Schützenfest ist gefeiert. Die Saison war sehr gut, sagt Jan Steffens, Präsident des Bezirksschützenverbands. Es kommen immer mehr junge Leute. Zufall ist das nicht.

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Von Anping Richter
Montag, 02.09.2024, 05:50 Uhr

Landkreis. Bis vor Kurzem klagten die Schützenvereine noch über Mitgliederschwund. Jetzt legen jetzt wieder zu: Nach der Pandemie hatte der knapp 18.000 Mitglieder starke Bezirksschützenverband (BSV) 700 bis 800 Mitglieder verloren. Diese Lücke haben Neueintritte, besonders von jungen Leuten, inzwischen geschlossen.

Die meisten Beitritte gibt‘s beim Schützenfest

Während der Schützenfeste treten immer die meisten ein, weiß Jan Steffens. In diesem Jahre seien sie extrem gut besucht gewesen, vor allem von unglaublich vielen jungen Menschen: „Die reisen zusammen im Minibus an und machen einen los.“
Jan Steffens, Bezirksschützenpräsident und Vorsitzender des Schützenvereins Assel.

Jan Steffens, Bezirksschützenpräsident und Vorsitzender des Schützenvereins Assel. Foto: Knappe

2024 war erst das zweite Schützenfest, das wieder ohne Corona-Auflagen über die Bühne gehen konnte. „Ich behaupte, es war vorher auch nicht schlecht. Aber danach wurde gefeiert, als gäb‘s kein Morgen mehr“, sagt Steffens.

Das Interesse der Jungen findet er eine schöne Entwicklung. Jetzt gehe es darum, sie zu halten. Sich für Neues zu öffnen, sei überlebenswichtig, sagt der BSV-Präsident. So wurde vor Jahren die Besetzung der Ehrenämter zum Problem. Die Lösung stand aber schon bereit: Frauen. „In der Führung, in den Vorständen haben wir überall eine hohe Frauenquote.“

Im niedersächsischen Wildeshausen dürfen Mädchen und Frauen bis heute nicht an den Schießwettbewerben teilnehmen, sondern nur am Straßenrand jubeln. Im Kreis Stade ist das anders, und ein Paradebeispiel dafür ist Jessika Suhr.
Junge Truppe: Inka Müller, Marten Neumann, Jessika Suhr und Luca Müller im Vereinshaus in Hamelwördenermoor.

Junge Truppe: Inka Müller, Marten Neumann, Jessika Suhr und Luca Müller im Vereinshaus in Hamelwördenermoor. Foto: Richter

Die 31-Jährige ist die erste Frau an der Spitze des Schützenvereins Jägerlust Hamelwördenermoor. „In dem Alter die Traute zu haben - alle Achtung“, sagt Jan Steffens. Ihr Vorgänger hatte das Amt aus beruflichen Gründen recht spontan abgeben müssen, berichtet Jessika Suhr. Sie hatte Lust auf die Herausforderung, die Schützen trauten ihr das zu.

Herrin der Schlüssel zum Waffenschrank

Bei der Übergabe fragte ihr Vorgänger: „Hast du zu Hause einen Schrank frei?“ Hatte sie. Sie braucht ihn für alle Unterlagen auch. Außerdem ist sie Herrin der Schlüssel zum Waffenschrank, stellt sicher, dass nur eine Handvoll Berechtigter Zugang haben und haftet persönlich.
Geschossen wird nicht ohne Aufsicht: Inka Müller, Luca Müller und Marten Neumann legen an, Jessika Suhr passt auf.

Geschossen wird nicht ohne Aufsicht: Inka Müller, Luca Müller und Marten Neumann legen an, Jessika Suhr passt auf. Foto: Richter

2023 organisierte sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Schützenfest als Vorsitzende. „Ein Hoch auf WhatsApp“, sagt Jessika Suhr, die viele Gruppen angelegt hat: Vorstand, Fahnenträger, Kinder, Mitglieder, außerdem eine für jedes Fest.

Oder für die Arbeitseinsätze. Vereinshaus und Schießstand müssen instand gehalten werden. Beim Anpacken kann sie sich auf ihre Mitglieder verlassen, sagt die Vorsitzende. Vieles läuft in Eigenarbeit.

Alte und Junge unter einen Hut bringen

In diesem Jahr hat ihr Verein auch noch 100-jähriges Jubiläum gefeiert. Es kamen doppelt so viele Gäste wie sonst. Kinderkarussellfahrten gab es gratis, für die Senioren wurde ein Jubiläumskönig ausgeschossen. „Der war pudelstolz und hat auch ein paar Tränchen vergossen. Ein Highlight.“

Kinder, Alte, Junge, Sportliche, Partylustige - alle sollen bedacht werden. „Das ist das A und O, dass alle sich wohl fühlen, dass wir alle erreichen, von Klein bis Groß“, sagt Jessika Suhr, die im Hauptberuf Erzieherin ist.

Warum Open-Air-Partys im Kommen sind

Genau deshalb haben viele Vereine sich dafür geöffnet, ungezwungener zu feiern, sagt Bezirksschützenpräsident Jan Steffens. Bälle mit festen Sitzplätzen gibt es noch, aber Open-Air-Partys sind im Kommen. Zur Mallorca-Party in Steinkirchen kamen 1400 Gäste. „Das normale Volk kommt mehr auf den Platz und feiert mit. Dann kommen irgendwann auch die Eintritte“, sagt Jan Steffens.

Ballermann-Feeling allein ist es nicht, was die Schützenfeste attraktiv macht. Beim Einzug des Volpertinger-Maskottchens der Jungschützen in Altkloster oder wenn neue Mitglieder zur Aufnahme vor versammelter Festgemeinde eine riesige Kelle mit Begrüßungstrunk leeren müssen, geht es um alte und neue Rituale. Sie schaffen einen Rahmen, der zeigt: Die Alltagsregeln gelten heute nicht.

Aufnahme-Ritual bei einem Neueintritt im Schützenverein Altkloster 2024.

Aufnahme-Ritual bei einem Neueintritt im Schützenverein Altkloster 2024. Foto: Richter

Wer feiern will, kann das bei den Schützen von Mai bis September jedes Wochenende. Der Besuch anderer Schützenfeste bringt Abwechslung und Kontakte. „Da gibt es keine Cliquenwirtschaft, keine Altersgrenzen. Wir gehen zusammen los“, erklärt Jessika Suhr. Die Uniform vermittelt Zugehörigkeit, Gleichheit und auch Gerechtigkeit, findet sie.

Auch Jan Steffens findet die Uniform wichtig, betont aber: Sie sei eine Tradition, kein Zeichen einer bestimmten Gesinnung. Er sei froh, dass solche Klischees in vielen Schützenvereinen inzwischen konterkariert werden.

Was nach der Saison passiert

Beim Schützenfest in Oederquart am Wochenende haben Jessika Suhr und ihre Schützenbrüder und -schwestern natürlich mitgefeiert. Die Saison ist vorbei, doch das Schützenleben geht weiter: Herbstschießen, Laternelaufen, Floh- und Hobbymarkt, Weihnachtsmarkt - fast jeden Monat gibt es ein Vereinsfest. Ohne die Schützen wäre das Leben auf dem Lande öder - nicht nur in Hamelwördenermoor.

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