Zähl Pixel
„Karfreitagsgefecht“

TDrei Seedorfer Soldaten sterben im Feuer der Taliban

Das Ehrenmal in der Fallschirmjäger-Kaserne Seedorf für die drei am 2. April 2010 in Afghanistan gefallenen Soldaten. Drei Kreuze, flankiert von Türen eines damals angesprengten Dingos.

Das Ehrenmal in der Fallschirmjäger-Kaserne Seedorf für die drei am 2. April 2010 in Afghanistan gefallenen Soldaten. Drei Kreuze, flankiert von Türen eines damals angesprengten Dingos. Foto: Hilken

Es sind dramatische Stunden an jenem 2. April 2010 in einem Hinterhalt in Afghanistan. Der Krieg im Kopf endet für manche vielleicht nie, sagt Wolf Gregis, der das Geschehen nun minutiös rekonstruiert hat.

Von Lutz Hilken Sonntag, 16.03.2025, 07:45 Uhr

Seedorf. Unvergessen ist nicht nur in der Fallschirmjäger-Kaserne in Seedorf das Karfreitagsgefecht, das sich am 2. April zum 15. Mal jährt. Drei Soldaten aus Seedorf fallen in jenen Stunden am Hindukusch. Fünf weitere werden bei den erbitterten Kämpfen verwundet, als sie bei Kunduz in einen Hinterhalt geraten, sich gegen den massiven Beschuss einer Überzahl an Taliban erwehren müssen.

Nach diesem bis dahin blutigsten Gefecht in der Geschichte der Bundeswehr spricht der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erstmals vom „Krieg in Afghanistan“. Jetzt hat Wolf Gregis, der selbst 2008/2009 als Offizier in Afghanistan diente, zwei Dutzend Interviews mit Beteiligten geführt und 70 Stunden Audiomaterial zusammengetragen, um die dramatischen Ereignisse in seinem erzählenden Sachbuch detailliert zu rekonstruieren.

Karfreitagsgefecht 2010: Die tödliche Suche nach einer Drohne

Wie das Gefecht vor 15 Jahren abgelaufen ist, schildert er derart mitreißend, dass sich der Leser mitten im Geschehen wähnt. Es beginnt mit der gefährlichen Suche nach einer abgestürzten Bundeswehr-Drohne bei Isa Khel. Dabei sind die Soldaten auf einem Getreidefeld nahezu schutzlos plötzlich Angriffen der Taliban ausgesetzt, denen sie sich mit ihren begrenzten Mitteln zur Wehr setzen. Wolf Gregis macht die sich überschlagenden Szenen nachfühlbar.

Soldaten tragen am 9. April 2010 nach der Trauerfeier für die drei in Afghanistan gefallenen Kameraden die Särge aus der St.- Lamberti-Kirche in Selsingen.

Soldaten tragen am 9. April 2010 nach der Trauerfeier für die drei in Afghanistan gefallenen Kameraden die Särge aus der St.- Lamberti-Kirche in Selsingen. Foto: Nietfeld/dpa

Allmählich greifen weitere Bundeswehr-Kräfte ein und geraten ebenfalls unter Beschuss. Wirksame Unterstützung ist lange nicht in Sicht. Wolf Gregis schildert bedrückende Szenen, etwa einen Helmtreffer, den Hauptgefreiter Martin Augustyniak zunächst wie durch ein Wunder übersteht, oder den folgenreichen Schuss auf den Stabsgefreiten Robert Hartert, der seinen zunächst kaum sichtbaren schweren Verletzungen langsam erliegt.

Bundeswehr-Dingo getroffen: Wie die Soldaten um ihr Leben kämpften

Anschaulich erläutert der Autor, wie waghalsige amerikanische Hubschrauberpiloten Verwundete aus dem Feuersturm fliegen wollen. Und wie später eine gewaltige Detonation den Dingo, ein gepanzertes Transportfahrzeug der Bundeswehr, außer Gefecht setzt. Wie unübersichtlich die Lage ist, wie Taliban nachsetzen, was derweil im Funkverkehr passiert und auf höheren Ebenen entschieden wird: Das alles liest sich wie ein spannender Roman, ist jedoch nicht fiktional, sondern Realität.

Erschütternd, als deutlich wird, dass Hauptfeldwebel Nils Bruns gefallen ist und der leblose Körper des Hauptgefreiten Martin Augustyniak entdeckt wird. Über die stille Heimkehr, die banale Suche nach einem Trommler und schließlich das letzte Geleit endet ein bemerkenswertes Buch. Das zieht den Leser sofort in den Bann, lässt ihn nicht mehr los und alles hautnah miterleben; so eloquent und kenntnisreich beschreibt Wolf Gregis die Ereignisse.

Der Autor Wolf Gregis schildert in seinem Sachbuch „Das Karfreitagsgefecht“ die Ereignisse vom 2. April 2020 in Afghanistan. So detailgenau und spannend, dass sich der Leser mitten in dem dramatischen Geschehen wähnt.

Der Autor Wolf Gregis schildert in seinem Sachbuch „Das Karfreitagsgefecht“ die Ereignisse vom 2. April 2020 in Afghanistan. So detailgenau und spannend, dass sich der Leser mitten in dem dramatischen Geschehen wähnt. Foto: Frank Taszarek

Der Krieg im Kopf endet für manche vielleicht nie

„Einen solchen Angriff hatte die internationale Schutztruppe in Nordafghanistan noch nicht erlebt“, formuliert Wolf Gregis. Und ja, der Krieg forderte seine Opfer auf beiden Seiten. Der Autor erwähnt, wie für einen Soldaten die Tage in Afghanistan bald enden, „doch der Krieg in seinem Kopf vielleicht nie“.

Wolf Gregis ließ sich das Geschehen des Tages aus verschiedenen Quellen immer wieder erzählen. Das Ergebnis ist ein packendes Sachbuch, das erstmals vollständig die Umstände jenes verhängnisvollen Frühlingstages bei Kunduz erzählt. Das macht etwas mit dem Leser, stimmt ihn nachdenklich.

Verständnis für Soldaten und ihren Auftrag

Der 43-Jährige weiß, worüber er schreibt, war 2008/2009 selbst im Afghanistan-Einsatz. Wie er zum Schreiben gekommen ist? „Ich habe schon immer ein Faible für Geschichten gehabt.“ Eine große Rolle spielt für ihn die Aufarbeitung und das Vermitteln von dem, was war. „Der Hindukusch ist so weit weg von unseren heimatlichen Lebensvorstellungen, dass es eine Art Übersetzungsleistung braucht.“

Ihm geht es darum, Verständnis zu schaffen für Soldaten und ihren Auftrag, ihre besondere Lage und die Art und Weise, mit Dingen umzugehen. Für Wolf Gregis ist das Schreiben nicht nur für die eigene Aufarbeitung bedeutend, „sondern um Menschen gezielt zu erreichen“. Er weiß: „Im Gegensatz zur Dokumentation oder zum Spielfilm ist das Lesen ein sehr intensiver Dialog mit dem Text, gerade wenn er nachfühlbar ist.“

Spielfilm „Black Hawk Down“ als Inspiration

Warum er das Sachbuch wie einen Roman verfasst hat, das gesammelte Material zu einer zusammenhängenden Erzählung des Gefechts verwoben hat? Eine Inspiration lieferte der Spielfilm „Black Hawk Down“, der normale Soldaten in einem Auslandseinsatz zeigt, in einer kritischen Situation in Mogadischu. „Jeder Soldat und jeder Veteran kennt diesen Film, weil das die gefühlte Realität ist“, sagt Wolf Gregis. „Die Amerikaner nennen das ,Narrative Journalism‘, erzählenden Journalismus. Das ist das, was ich hier mache. Ich kenne die Sehgewohnheiten der Veteranen und ich weiß, was uns anspricht.“

So versucht der Autor, das Geschehen zunächst journalistisch aufzuarbeiten, was wirklich gelaufen ist, dann aber erzählend so zu vermitteln, „dass nicht nur Kopf und Verstand, sondern auch das Herz und das Gemüt angesprochen werden“, wie er sagt. Er lehnt sich an diese amerikanische Erzählform an. „Was ich verarbeite, sind die Eindrücke und die Worte der Kameraden. Es sind häufig mehrere Personen daran beteiligt, man hört eine Szene von verschiedenen Perspektiven.“ Der Tag des Gefechts ist nicht chronologisch erzählt.

Über das Gefühl, im Stahlgewitter zu stehen

Der Leser erfährt: Was passiert vorn im Gefecht? Wie fühlt sich der Treffer an? Wie wird der Feind wahrgenommen? Die Beschreibung des Feindfeuers taucht immer wieder auf. „Das Gefühl, man steht in einem Stahlgewitter“, sagt Wolf Gregis. Denn letztlich sei dies die Perspektive der Soldaten. Der Autor urteilt und wertet nicht, sondern beschreibt Kämpfe, auch Verletzungen und Todeskämpfe, bewusst nicht geschönt.

„Als Soldat und als Veteran sind einem diese Details nicht fremd, sie sind Teil der soldatischen Vorstellungswelt, auch wenn ich das selbst nicht erlebt habe. Ich habe das bewusst so erzählt und nach meiner Auffassung sachlich geschildert, was passiert“, sagt der Ex-Soldat, der jetzt Gymnasiallehrer ist. Weder verdammt er das Gefecht oder den Einsatz, noch betreibt er eine Überheroisierung. „Sondern ich möchte einfach sagen: So sieht das aus und es ist am Ende hässlich, wenn Soldaten fallen.“

Viele einzelne Perspektiven führen zum Gesamtbild

War es schwierig, Beteiligte zu finden, die darüber reden mögen? Manche Kameraden waren mit dem Thema noch nicht durch und meldeten sich nach dem ersten Afghanistan-Roman von Wolf Gregis namens „Sandseele“. Nach anfänglichen Gesprächen entstand eine Dynamik, als klar war, dass eine umfassende Aufarbeitung des Karfreitagsgefechts geplant ist.

„Das Außergewöhnliche ist ja, alle Perspektiven übereinanderzulegen und ein Gesamtbild zu schildern in einer kontinuierlichen Erzählung.“ Dabei stellt der Autor fest: Manche der Beteiligten wussten von einigen Geschehnissen nichts, denn eine umfassende Aufarbeitung hatte es ja davor nicht gegeben. Der Blutzoll in Afghanistan: War es das alles wert? Rückblickend auf den am Ende gescheiterten Afghanistan-Einsatz? Wolf Gregis: „Ein Soldat möchte, dass die Menschen dort in Sicherheit leben können, dass sie dort eine gewisse grundsätzliche Sicherheit und Freiheit genießen, dass sie sich bewegen können, dass sie Bildung erfahren können. Das war der Einsatz wert. Der Truppe kann man keinen Vorwurf machen.“

  • Das Buch von Wolf Gregis

„Das Karfreitagsgefecht. Deutsche Soldaten im Feuer der Taliban“ von Wolf Gregis ist im Verlag Econ erschienen. 304 Seiten; ISBN 9783430211178. Das Buch kostet 24,99 Euro.

Autor Wolf Gregis ist heute Lehrer an einem Rostocker Gymnasium und unterrichtet Deutsch und Geschichte. 2022 ruft er mit „Helm ab – Ein Veteranencast“ den größten nicht-institutionellen Podcast zu den Themen Bundeswehr, Soldaten und Veteranen in Deutschland ins Leben.

Weitere Artikel