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Rückblick

TEin Jahr nach dem Vierfachmord von Scheeßel: Die Betroffenheit bleibt

Der Angeklagte sitzt neben seiner Verteidigerin Daniela Post (l.) in einem Gerichtssaal im Landgericht Verden.

Der Angeklagte sitzt neben seiner Verteidigerin Daniela Post (l.) in einem Gerichtssaal im Landgericht Verden.

Morgens stehen am 1. März 2024 vor einem Rotklinkerhaus in Westervesede und einem Neubau in Brockel Polizeiautos. Der Berufssoldat Florian G. hat dort vier Menschen erschossen.

Von Tom Kreib Dienstag, 04.03.2025, 05:50 Uhr

Scheeßel. Er ist in die beiden Häuser eingedrungen, als ob er sich im Krieg befindet. Wenige Stunden später hat sich an diesem Tag die Situation komplett verändert: Die Spurensicherung sichert Beweise, und Medien aus ganz Deutschland richten ihre Fotoobjektive auf zwei Haustüren. Wer jetzt mit Menschen aus dem Umfeld spricht, der trifft auf Nachbarn, vielleicht auch Bekannte, denen die Worte fehlen.

Pastor Christian Wietfeldt aus Brockel und seine Scheeßeler Kollegin Johanna Schröder hatten wenige Tage nach der Tat zu Andachten eingeladen. „Das Vertrauen in ein sicheres Dorf ist damals erschüttert worden“, sagt der Seelsorger aus Brockel. Viele Menschen hätten damit bis heute noch nicht abgeschlossen. Vor allem deswegen nicht, weil es keine Tat und damit auch kein Täter von außen war. Wietfeld spricht von einer „inneren Tat“, die Unsicherheit auslöse.

Bürgermeister: Thema kommt immer mal wieder hoch

„Die Betroffenheit ist geblieben“, sagt Brockels Ortsbürgermeister Rolf Lüdemann. Wobei es nach seinem Empfinden keine Verunsicherung im Dorf gebe und die Taten auch kein tägliches oder immer wiederkehrendes Gesprächsthema seien. „Das kommt immer mal wieder hoch und wird dann zum Thema.“ Wobei der Ortsbürgermeister auch sagt, dass er sich vorstellen könne, „dass manches verdrängt wird“.

„Das ist auf den Dörfern immer mal wieder ein Thema“, sagt Pastorin Johanna Schröder, die vor gut einem Jahr zu einer Andacht in die Friedhofskapelle in Westervesede eingeladen hatte. Ihr und ihrem Brockeler Kollegen ging es vor allem darum, der Trauer, aber auch der Sprachlosigkeit einen Raum zu geben und den Menschen das Gefühl zu vermitteln, mit ihrem Entsetzen nicht alleine zu sein.

Keine Worte können das Unerklärliche erklären

Brockels Pastor Christian Wietfeldt griff zu Beginn der Andacht die Sprachlosigkeit auf, die nach der vierfachen Tötung herrschte. Sprachlosigkeit, weil es keine Wörter gebe, die das Unerklärliche erklären könnten oder die Trauer um vier Menschen einfacher machen. Wenn in Westervesede und Brockel der Tod dieser vier Menschen ein Thema ist, das immer wieder hochkommt, dann stellt sich die Frage, wie diejenigen mit dem Verlust klarkommen, die ihre Liebsten verloren haben.

Rechtsanwalt Steffen Hörning, der mit einer Kollegin die Hinterbliebenen bei dem Prozess vor dem Landgericht Verden in der Nebenklage vertreten hat, sagte gegenüber unserer Zeitung: „Diese Menschen haben nicht einmal ansatzweise verarbeiten können, was geschehen ist.“ (rk)

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