TEssen für alle: Nordkehdinger retten Lebensmittel vor der Tonne
Jasmin holt frisches Obst und Gemüse für die Kindertagesstätte in Hüll ab. Foto: Helfferich
Vom Feld zum Teller wird ein Drittel aller Lebensmittel verschwendet. Dabei ist das meiste noch gut verwertbar. Ein Verein in Nordkehdingen zeigt, wie‘s geht.
Freiburg. Rot, grün, gelb - in den schönsten Farben leuchten Obst und Gemüse in der Nachmittagssonne. Immer mehr Lebensmittel holen Ehrenamtliche aus dem Transporter von Meike* und arrangieren sie unter einem Pavillonzelt neben dem Freiburger Tennisheim. Es ist Montag, 14.15 Uhr. Um 15 Uhr öffnet die Ausgabe des Vereins Essen für Alle (EfA).
Nordkehdingen
T Lieber Lebensmittel retten, als Bio-Müll verbrennen!
Seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 retten mittlerweile 25 Ehrenamtliche Lebensmittel vor dem Verderben. Damals hatten die gemeinnützigen Tafeln zum Schutz ihrer ehrenamtlichen Helfer ihre Arbeit eingestellt. Als Meike nachfragte, was aus den Lebensmitteln wird, wurde ihr gesagt, dass alles weggeworfen werde.
Lebensmittelausgabe an der heimischen Garage
Das war der Beginn von Essen für Alle (EfA) in Nordkehdingen. Meike und Kerstin waren schon Foodsharer - also Menschen, die aussortierte, aber noch genießbare Lebensmittel teilen. So haben sie sich kennengelernt.

Leckeres Obst. Foto: Helfferich
Nachdem sie von der massenhaften Verschwendung noch verwertbarer Nahrungsmittel erfahren hatten, fingen sie an, diese Ressourcen einzusammeln und aus dem Kofferraum an interessierte Leute kostenlos weiterzugeben. Als die Nachfrage stieg, wurde zwischenzeitlich die heimische Garage Ausgabeort. Inzwischen ist die Hauptausgabe beim Tennisheim in Freiburg. Auf dem Weg dorthin unterstützte die Samtgemeinde Nordkehdingen die Initiative mit dem Erlös aus dem TAGEBLATT-Glücksschweine-Verkauf zu Silvester.
„Essen für alle“
T Neue Lebensmittelretter aus Nordkehdingen
Zu gut für die Tonne
T Unterwegs mit den Buxtehuder Lebensmittelrettern
14.45 Uhr. Die Ehrenamtlichen haben alle Lebensmittel aus dem Auto geholt und aufgebaut. Kisten mit Möhren, Kohl, Äpfeln und anderen Leckereien warten auf ihre Abholer. Zeit zum Luftholen und für einen Kaffee. Dazu gibt es übrig gebliebenen Kuchen vom Freiburger Bücherflohmarkt.
Junge Mutter holt leckere Äpfel für die Kita-Kinder
Als um 15 Uhr das Eingangstor geöffnet wird, gehen die Abholer zielstrebig zum Zelt - darunter eine Familie mit Kleinkindern. Alle lassen sich für die vereinsinterne Statistik registrieren, und wer will, der gibt einen selbst bestimmten Wertschätzungsbeitrag in ein Glas. Es folgt die Qual der Wahl.
So viele frische Sachen. Jasmin, die heute zum dritten Mal für die Kita Hüll frisches Obst und Gemüse abholt, schwankt zwischen Äpfeln und Möhren. „Ich taste mich noch ein bisschen an die Mengen heran“, sagt sie, „nicht, dass wir zu viel haben, das wäre schade.“ Auch die Kita in Freiburg und die Grundschule Althemmoor werden von EfA versorgt.

Rena versorgt sich nicht nur mit Lebensmitteln. Sie schätzt auch den Austausch über Kochrezepte und Tauschbörse. Foto: Helfferich
Rena nutzt das Angebot von EfA seit etwa zwei Jahren. „Es wäre doch schrecklich, wenn das alles weggeworfen würde“, sagt sie. „Inzwischen ist EfA viel mehr als nur Lebensmittel abholen. Es hat sich ein Riesen-Netzwerk aufgebaut“, erzählt die ehemalige Seefrau und Autorin. In Whatsapp-Gruppen seien Fotos über die Koch-Erfolge und eine Tauschbörse vernetzt. Tatsächlich wechseln im Laufe des Nachmittags mehrfach Tüten mit eingetauschter Kleidung die Hände.
Lebensmittelretter sind nicht bedürftig
Wichtig ist Meike, die selbst beim Jobcenter Cuxhaven arbeitet, dass die Kunden nicht als bedürftig betrachtet werden. Sie bezeichnet sie als Lebensmittelretter oder Abholer. Rentner und Familien haben grundsätzlich Vortritt bei EfA. Ab 16 Uhr kommen alle anderen dran; egal welchen sozialen und kulturellen Hintergrund sie haben.
Private Haushalte produzieren den meisten Müll
Harald kommt aus dem Metier. Der ausgebildete Küchenmeister hat 40 Jahre selbst gekocht. Jetzt arbeitet er ehrenamtlich an allen drei Ausgabetagen. „Es wird viel zu viel produziert und landet dann in der Tonne“, weiß der Freiburger. Für Märkte und Lebensmittelretter sei es eine Win-win-Situation: Die Geschäfte freuten sich, wenn die Reste abgeholt werden, da sie sich die Entsorgung sparten. Inzwischen wird die Initiative von 13 Lebensmittelmärkten und Discountern unterstützt.

Harald packt an allen drei Ausgabetagen mit an. Foto: Helfferich
Schuld an der Verschwendung hat aber offenkundig nicht der Handel, sondern die privaten Haushalte: Das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat errechnete 2024, dass in Deutschland 10,8 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden. Die größten Verschwender sind mit 58 Prozent und 6,8 Millionen Tonnen die privaten Haushalte. Der Handel macht mit 7 Prozent und 0,8 Millionen Tonnen den geringsten Anteil aus.
Im Sommer gründete sich der Verein Essen für Alle
Im Sommer dieses Jahres hat sich der Verein „Essen für Alle Nordkehdingen“ gegründet. Auf dem Weg dahin wurde er von EfA Groß Gerau beraten. Zweimal die Woche, montags und sonnabends, ist die Ausgabe im Freiburger Tennisheim, Mühlenweg 20, von 15 bis 16.30 Uhr. Am Donnerstag bietet Meike zur gleichen Uhrzeit auf ihrem Hof in Freiburg, Schöneworth 8, Ware an (Kontakt: 01511/ 8482333). So können Lebensmittelretter fußläufig Nahrungsmittel abholen. Wichtig ist, dass EfA keine Konkurrenz zur traditionellen Tafel ist. Diese hätten immer Vorrang.

Leckeres Obst. Foto: Helfferich
Im August gab es bei EfA 800 Abholungen, die insgesamt 2000 Menschen versorgten. Auch an diesem Montagnachmittag waren 47 Menschen da. Am Samstag zuvor waren es 82, am Donnerstag 76. Inzwischen dämmert es beim Freiburger Tennisheim. Die letzten Lebensmittelretter sind gegangen. Von dem Arrangement am Nachmittag ist nur noch ein kläglicher Rest übrig; etwa 10 Prozent, schätzt Meike. Daran werden sich wohl noch ein paar Tiere in privater Haltung gütlich tun.
*Da nicht alle Lebensmittelretter identifiziert werden wollen, verzichtet die Redaktion durchgängig auf Nennung der vollen Namen.

Nicht von der Resterampe: Das gerettete Gemüse sieht appetitlich aus. Foto: Helfferich

Petra ist nach 40 Jahren wieder nach Freiburg zurückgekehrt und hilft bei Essen für Alle. Foto: Helfferich

Karin freut sich über das frische Gemüse. Foto: Helfferich

Meike ist die Mitinitiatorin von Essen für Alle (EfA). Foto: Hülsenberg
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