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TEinst eine sportliche Größe: In Stade stirbt ein Sportverein

Georg Brokelmann war 27 Jahre lang Vorsitzender des SV Haddorf. Die Auflösung „tut weh“.

Georg Brokelmann war 27 Jahre lang Vorsitzender des SV Haddorf. Die Auflösung „tut weh“. Foto: Berlin

Der SV Haddorf gewann Deutsche Meisterschaften im Faustball. Doch die goldenen Zeiten sind längst vorbei. Bald verschwindet der Sportverein ganz von der Bildfläche.

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Von Daniel Berlin
Donnerstag, 14.11.2024, 18:15 Uhr

Stade. In den beiden Vitrinen im Foyer der Sporthalle Am Rugen Hollen im Stader Ortsteil Haddorf stehen Pokale. Es sind 100, vielleicht 200. Die vergoldeten Trophäen zeugen von der goldenen Vergangenheit des SV Haddorf. Der Vorsitzende des Sportvereins zuckt mit den Schultern. „Vielleicht bleiben sie ja stehen. Sie sind ganz dekorativ“, sagt Georg Brokelmann.

Im Landkreis Stade gibt es derzeit 148 Sportvereine und sportliche Fachverbände. Am 31. Dezember 2024 endet beim SV Haddorf der Sportbetrieb. Dann zählt der Kreissportbund (KSB) nur noch 147. „Wir sind mitten in der Liquidation“, sagt Georg Brokelmann. Der 89-Jährige sagt das mit viel Wehmut. Ein Sportverein stirbt.

Vereinsvorstand ist überaltert

27 Jahre lang führte Brokelmann den SV Haddorf als Vereinsvorsitzender. Er erzählt, dass der Verein mehrfach versucht habe, junge oder wenigstens mittelalte Menschen für den völlig überalterten Vorstand zu finden. Er hat niemanden gefunden. „Die Leute wollen bedient werden, aber nichts einbringen“, sagt er.

Mit 89 Jahren sei es für ihn an der Zeit aufzuhören. „Irgendwann muss Schluss sein. Aber es tut auch weh“, sagt Brokelmann. Wenigstens hätten einige Gruppen überlebt. Eine Gymnastikgruppe und eine Kinderturngruppe schließen sich dem VfL Stade an, einige Tischtennisspieler gehen zum TC Haddorf.

Geplant ist, dass die Gruppen weiterhin in Haddorf trainieren. Der Geschäftsführer des VfL Stade, Justin Moradi, bestätigt, dass es Überlegungen gebe, den Sport im Stadtteil zu beleben. Der VfL prüft den Bedarf und die Kapazitäten. „Wir nehmen das Vereinssterben nicht mit Freude auf“, sagt Moradi. Auch wenn durchaus ein paar mehr Beitragszahler aus Haddorf auf das VfL-Konto einzahlen.

„Es ist eine Herausforderung für kleine Vereine zu überleben“, sagt der Geschäftsführer der KSB, Philipp Tramm. Viele suchen demnach Lösungen. Kooperationen oder Fusionen etwa. Die Fachberatung beim KSB sei zunehmend gefragt. Der Dachverband ist dafür da, Vereine in Sachen Verwaltung, Mitgliedergewinnung oder Ehrenamt zu beraten. Laut Tramm gibt es Studien, die belegen, dass sich viele Menschen engagieren wollen, aber nicht wissen wie. Der KSB wolle da auf die Sprünge helfen. Zum konkreten Fall in Haddorf darf sich Tramm nicht äußern.

Faustballer holen 21 Deutsche Meistertitel

Georg Brokelmann zeigt die durchaus schicke Sporthalle. Draußen pusten städtische Angestellte das Laub von Rasen, Parkplätzen und Gehwegen. Drinnen toben Kinder der Grundschule. In den Abendstunden ist die Halle ausgebucht. In einem Anbau ist eine Sauna untergebracht. Früher stand dort nur die kleine Gymnastikhalle. In einem Besprechungsraum mit Blick auf den großen Rasenplatz stehen noch ein paar Kostbarkeiten im Schrank.

Hunderte Pokale stehen im Foyer der Sporthalle. Die meisten stammen aus der erfolgreichen Faustball-Ära.

Hunderte Pokale stehen im Foyer der Sporthalle. Die meisten stammen aus der erfolgreichen Faustball-Ära. Foto: Berlin

Ein Pokal ist von 1991. Die über 40-Jährigen des SV Haddorf sind damals Deutscher Faustball-Meister in Stuttgart geworden. Eine andere Trophäe von 1995 erinnert an den Deutschen Meistertitel der Ü40 in Leverkusen. Haddorf war Faustballhochburg. Der Verein gewann insgesamt 21 Titel, 13 Mal die Vizemeisterschaft und belegte 9 Mal Platz 3. Bei sieben Meisterschaften trat der SV Haddorf als Ausrichter an. Warum kommt 60 Jahre nach der Gründung des Vereins das Aus?

Nachwuchsarbeit trägt keine Früchte

Ein Ehemaliger ordnet das ein. Wolfgang Bartsch und seine Frau Annette verließen den SV Haddorf vor zwei Jahren. Viele Jahre lang engagierten sie sich für den Sport im Stader Ortsteil. Wolfgang Bartsch war als Aktiver an neun deutschen Meistertiteln im Faustball beteiligt und leitete die Abteilung. Die meisten Texte und Fotos in den Alben im Fach unter den Pokalen sind von ihm. Annette Bartsch arbeitete als Kassenwartin und verwaltete die Mitglieder. Als Sozialwartin brachte sie den Mitgliedern zu runden Geburtstagen Geschenke.

Annette Bartsch.

Annette Bartsch. Foto: Privat

Wolfgang Bartsch.

Wolfgang Bartsch. Foto: Privat

„Faustball war das Aushängeschild. Aber heute hat sich die Mentalität der Menschen verändert“, sagt Wolfgang Bartsch. Der Verein habe Jugendarbeit versucht, es zeitweise auch gut gemacht. Aber nie von Dauer. Ein Versuch, an die Grundschule im Ort zu gehen, sei gescheitert. Außerdem seien große Vereine wie der TSV Wiepenkathen oder der VfL Stade in der Nähe.

Dorfgemeinschaft stirbt mit der Eingemeindung

Nach der Eingemeindung in den 1970er Jahren sei in Haddorf „die Dorfgemeinschaft gestorben“, sagt Georg Brokelmann. Nur wenige Zugezogene seien zudem für den Sportverein begeisterungsfähig gewesen. Judo hat es gegeben, kurz auch Fußball. „Aber sobald jemand etwas besser war, war er weg“, sagt Brokelmann. Außerdem habe die Masse gefehlt, um konstant Mannschaften an den Start zu bekommen.

Zwei Dutzend Bände voller Geschichte stehen in einem Vitrinenschrank in der Sporthalle.

Zwei Dutzend Bände voller Geschichte stehen in einem Vitrinenschrank in der Sporthalle. Foto: Berlin

Das 60. Vereinsjubiläum wollte Brokelmann mit den Vereinsmitgliedern eigentlich noch in diesem Jahr feiern. Schön im Sommer draußen auf der Terrasse. Dort, wo früher die Faustballer nach ihren Siegen rauschende Feste gefeiert haben. „Aber das Interesse war gleich null“, sagt Brokelmann. 280 Menschen sind beim SV Haddorf noch organisiert. Davon 80 aktiv. Zu Hochzeiten waren es weit über 300.

Restvermögen bekommt der Haddorfer Ortsrat

Brokelmann und sein Vorstand lösen jetzt den Verein auf. Für die Wege zum Amtsgericht hat er einen Notar beauftragt. Das Restvermögen soll der Haddorfer Ortsrat für sportliche Zwecke einsetzen. Eine fünfstellige Summe immerhin. Ein paar Tischtennisplatten verkaufte der Verein an den TC Haddorf. Viele Sportgeräte gehören der Stadt.

Georg Brokelmann steht vor dem Haupteingang der Sporthalle und hält kurz inne. Sein Blick geht zur Backsteinwand rechts neben der Tür. Dann streicht er mit der flachen Hand über das Gestein. Dort stand der Schriftzug „Klaus Meyn Sportanlage“. Meyn war Gründungsvater und Vereinschef. Dass die Buchstaben schon weg sind, hat Brokelmann gar nicht bemerkt.

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