TVon Exhibitionisten und fliegenden Flaschen: Als Security auf dem Festival

Das Agieren der Security hat sich in den letzten Jahren sehr gewandelt. Foto: Heyne
Nadine Hinrichs lebt seit mehr als 20 Jahren für ihren Job als Security. Im Interview berichtet die 47-Jährige von ihren skurrilsten Begegnungen und warum „Secus“ auch mal weinen dürfen.
Frau Hinrichs, Sie arbeiten dort, wo andere feiern. Sind Sie ein Feiermensch - und haben Ihren Job zum Beruf gemacht?
Nadine Hinrichs: Ich gehe selten auf Konzerte, und wenn, dann ist der „professionelle Blick“ immer dabei - wo könnte gleich eine Situation entstehen, wo eingegriffen werden müsste? Das muss wohl eine Berufskrankheit sein.
Wie sind Sie zu Ihrem Job als Security gekommen - das ist ja nicht unbedingt eine klassische Frauendomäne.
Ich habe 2005 mit Mitte 20 angefangen. Ich habe immer schon Männerdomänen gemocht, erst in der Jugendfeuerwehr, später in der Freiwilligen Feuerwehr, die ist ja auch nicht gerade frauenlastig. Eigentlich wollte ich Kfz-Mechanikerin werden. Mit einem Job als Secu hatte ich schon mit 20 geliebäugelt, mich aber nie getraut.
Auch weil ich damals die falschen Securitys erlebt hatte, die „Haudrauf“-Typen - ich bin eher so die Diskutiertante. Als mein Ehemann, der eine Secu-Agentur hatte, dringend eine Frau brauchte, kam das für mich erst nicht infrage; ich wollte immer Privates und Berufliches trennen - eigentlich. Meinen ersten Einsatz hatte ich dann kurz darauf beim Schützenfest in Unterstedt, kurz darauf habe ich meine Prüfung abgelegt.
Aber bis zum Einsatz bei Festivals sollte noch etwas Zeit vergehen?
Ja, zuerst war ich Kaufhausdetektivin. Irgendwann wurde mir von einem 67-jährigen Betrunkenen eine Flasche über den Kopf geschlagen. Mein eines Ohr war zur Hälfte ab, die Wange eingeschnitten. Der Mann hat vier Jahre Knast bekommen, ich zwei Gesichts-OPs.
Warum haben Sie trotzdem weiter gemacht?
Ich habe mir gedacht: „Jetzt erst recht.“ Sechs Wochen später habe ich wieder gearbeitet - ich brauchte das, sonst hätte ich mich nie wieder getraut.
Einige Jahre später war dort die Luft raus, dann bin ich in die Veranstaltungsbranche gewechselt, zu Konzerten und Festivals.
Und auch zum Hurricane.
Ja, aber nur drei Jahre - das war nicht meins, es war mir zu unpersönlich. Mein „Festival-Baby“ ist das Open Flair in Eschwege, das wir dieses Jahr zum 18. Mal betreuen.
Als wir damals eine Anfrage bekamen, wollte mein Mann Torsten zunächst nicht - er hatte nach vielen Jahren Hurricane keine Lust mehr auf Festivals. Im Sicherheitsdienst kriegt man ja nicht nur die positiven Dinge mit.
Was war für Sie das Kurioseste, was Sie bei der Arbeit auf Festivals erlebt haben?
Das Ekligste war beim Hurricane, als ich zu später Stunde als Trouble Shooter unterwegs war. Eine Gruppe wollte unbedingt Fotos mit uns - im Unterschied zu meiner Kollegin hatte ich schon von Weitem gesehen, dass einer sein bestes Stück raushängen hatte. Als ich das Desinfektionsspray gezückt habe, hat er ganz schön gejault.
Music-Cruise-Konzert
T Feine Sahne Fischfilet rocken die Elbfähre im Dauerregen
Das Überraschendste war ein Bad in der Menge beim Open Flair. Beim ersten Mal schmeißen dich die Kollegen unversehens ins Publikum; das unfreiwillige Crowdsurfen ist auch als „Entjungferung“ bekannt. Danach weiß man, dass man nie nur nach vorn, sondern auch zur Seite gucken sollte.
Was macht das Besondere des Open Flair aus, dem Sie nun seit 18 Jahren die Treue halten, im Vergleich zu anderen Festivals?
Das Ambiente der Berglandschaft, und dass die Gäste alle gemeinsam feiern, auch wenn sie sich vorher gar nicht kannten. Und dass auch viel für Kinder gemacht wird.
Unsere Kinder waren von Anfang an dabei, zum Teil sind sie es heute noch - einer unserer Söhne feiert dieses Jahr auf dem Open Flair seine Einschulungsparty, der Älteste hat ein paar Jahre dort als Secu gearbeitet. Und natürlich das Herzblut der Organisatoren, ein kleiner Verein, der mittlerweile in der 40. Auflage 25.000 Gäste hat.
Ist man als Security immer nur so gut, wie der Veranstalter es zulässt?
Ja, dort dürfen wir alles machen, was wir wollen. Wir denken uns jedes Jahr ein neues Thema aus, meist passend zu den Bands. Mal sind wir im Blaumann angerückt, ein andermal im Schottenrock oder in Jogginganzügen; bei ZZ Top alle mit Perücke und Bart - das war unbeschreiblich.
Das hat Ihnen in Fachkreisen viel Lob eingebracht.
Ja, beim Helga Award 2016 wurden wir in der Kategorie „Netteste Security“ ausgezeichnet - die Sparte haben sie wohl nur für uns eingeführt, den Award gab‘s nur einmal.
Das hat mit den gefährlich aussehenden Securitys, wie sie auch in den Anfangsjahren beim Hurricane gang und gäbe waren, nicht mehr viel zu tun. Hat sich das Bild, wie Securitypersonal sein sollte, gewandelt?
Absolut! Früher waren alle schwarz angezogen, wer am bösesten geguckt hat, hatte gewonnen. Als ich meinem Mann vorschlug, lieber mit den Leuten zusammen Spaß zu haben, war er erst einmal skeptisch. Heute ist es ein gutes Miteinander.
Allerdings darf man sich nicht zum Affen machen, sondern muss bei allem Spaß immer professionell handeln und aufpassen, dass nichts passiert. Eine Gratwanderung, die funktioniert, weil die Kollegen im Graben alles alte Hasen sind und merken, wenn jemand überdreht und Eingreifen gefragt ist.
Sie sagten bereits, Sie seien eine „Diskutiertante“. Sind Frauen die besseren Secus?
Nein, wir sehen nur die Situation mit anderen Augen. Ich habe drei Jungs, die Mitarbeiter nennen mich nur Mutti. Gerade, wenn eine Situation hochkochen könnte, gehen Frauen oft weniger konfrontierend ran und lassen es gar nicht erst zum Handgemenge kommen. In Situationen, in denen es nicht anders geht, halte ich die Person fest und warte auf die Polizei.
Das klingt, als ob es trotz allem nicht immer zimperlich zugeht?
Ja, ich brauche das Körperliche, das ist meine Droge. Ich mache gern Backstage, aber das Schönste sind der Einlass und Graben - das ist keine Arbeit, sondern wie Spielen.
Der Job bedeutet lange Arbeitszeiten, ist körperlich anstrengend und kann gefährlich sein. Was ist für Sie der Kick?
Ich weiß, dass die Leute Spaß haben wollen und versuche, so viel Spaß wie möglich für mich mit rauszuziehen. Die Besucher sollen nicht nur mit den Bands auf der Bühne Spaß haben, sondern auch mit uns.
Und doch mussten Sie unlängst bei einem Konzert in Bremen so viele Platzverweise wegen Belästigung von Frauen erteilen wie nie zuvor. Haben sich die Besucher verändert?
Die Leute haben durch Corona das Feiern verlernt. Nach dem Lockdown war das extrem: Die haben sich schon vor dem Einlass zur Disco geprügelt und Flaschen über den Kopf gezogen; es gab Abende, da habe ich sechsmal den Krankenwagen geholt, dabei bin ich ausgebildete Ersthelferin.
Haben Sie Bands, die Sie unbedingt noch sehen wollen? Kriegt man bei der Arbeit überhaupt etwas von den Bands mit?
Eher weniger. An ein Konzert erinnere ich mich allerdings noch gut, nämlich das von Schandmaul. Ich bin Mittelalterfan, wir haben in Mittelalterkluft geheiratet. Als das Lied gespielt wurde, zu dem mein Mann mir den Heiratsantrag gemacht hat, habe ich gesagt: Ich brauche jetzt mal ein Taschentuch.
Das hat der halbe Saal mitbekommen - das ist auch nicht schlimm, schließlich sind wir auch nur Menschen. Bei dem Festival habe ich dann einige Jahre lang vom ASB immer eine Packung Taschentücher bekommen.
Hinweis der Redaktion: Das Interview erscheint in Kooperation mit der Zevener Zeitung.