THatecke-Werft: Wo alte Holzboote Geschichten erzählen

Holzbootbauer Rainer Hatecke in seiner fast leeren Werkshalle. Im Sommer sind die meisten Boote unterwegs. Foto: Helfferich
Sommer auf der Werft. Was machen Bootsbauer, wenn die meisten Schiffe im Wasser sind? Es gibt immer Langzeitprojekte und Boote, die Geschichten erzählen.
Freiburg. Rainer Hatecke liebt Holz - und er liebt Boote, die Geschichten erzählen. Eines dieser Boote ist derzeit Blickfang auf der Werft: ein Fischkutter aus Büsum. Ein Holzboot. Die Planken des Bootsrumpfes waren wohl mal leuchtend rot gestrichen. Das ockergelbe Deckshaus aus Stahl wirkt wie ein Fremdkörper. Eine grün-rot-weiße Helgolandflagge - nicht zu verwechseln mit der italienischen - flattert im Wind. Das ist ein Hinweis.

Der Fischkutter aus Büsum soll wieder ein Börteboot werden. Foto: Helfferich
„Der Fischkutter war einmal ein Börteboot“, sagt Rainer Hatecke, und es soll wieder eins werden. Ein Jahr hat der Kutter draußen im Graben gelegen. Jetzt wird tüchtig an ihm gearbeitet. In einem Jahr soll er fertig sein. Am Schiffsrumpf ist der Lack bereits weitgehend ab. Unter der roten Farbe wird das Holz freigelegt. „Das meiste ist noch in Ordnung“, sagt er, „aber an manchen Stellen müssen die Planken ausgebessert oder ersetzt werden. Der Steven (die vordere und hintere nach oben verlängerten Teile des Kiels) ist schon richtig gut. Der wird später aussehen wie neu“, freut sich Rainer Hatecke.
Freiburger Hatecke-Werft in fünfter Generation
Die Bootswerft Hatecke in Freiburg ist ein Traditionsbetrieb. 1861 hat sie der Schiffszimmerer Barthold-Hermann Hatecke, Ururopa von Rainer Hatecke, in Freiburg gegründet. Jetzt führt der Ururenkel die Werft in fünfter Generation. Vor genau 30 Jahren hat Rainer Hatecke sie übernommen. Seither hat er zehn Boote selbst gebaut und unzählige restauriert.

Marvin reißt alles aus, was nicht zu einem Börteboot gehört. Foto: Helfferich
Damals hatte es der Holzbootsbau schwer. Pflegeleichte Boote aus Kunststoffen seien angesagt gewesen. Erst um 2010 habe wieder Tradition eine Rolle gespielt und der Wert der Besonderheit von Holzschiffen. Heute hat die Werft sieben Mitarbeiter; vier Gesellen, zwei Azubis und einen Helfer.
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Werft-Chef Rainer Hatecke macht sich Sorgen um die Zukunft. Genauer: um den Klimawandel und die Auswirkungen aufs Holz. Es muss nicht nur gesund sein und eine schöne Farbe haben. „Wichtig für die Qualität ist die Wachstumsdauer. Je langsamer der Baum gewachsen ist, desto dichter die Jahresringe und damit belastbarer ist das Holz“, erklärt er. Ein großes Problem sei, dass durch Klimawandel und zunehmende Erwärmung das deutsche Holz inzwischen viel zu schnell wachse.
Holz muss für den Bootsbau in Ruhe wachsen können
Und auch nach dem Fällen müsse dem Holz Zeit gegeben werden: Zunächst müsse es gewässert und dann aufgesägt und auf den Stock gepackt werden, damit es von allen Seiten Luft kriegt und in Ruhe trocknen kann. „Wer meint, man könne in Trockenkammern künstlich trocknen und nach drei Wochen das Holz verarbeiten, irrt sich. Dann sind mit der Trocknung auch die Stoffe verschwunden, die das Holz haltbar machen“, so der Bootsbauer.
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Der Schwerpunkt der Werft liegt auf den traditionsreichen Börtebooten, die seit Anfang der 50er Jahre gebaut wurden und insbesondere vor Helgoland eingesetzt wurden, um Urlaubsgäste auszubooten. Der Begriff „Börte“ bedeutet so viel wie „an der Reihe sein“. Die Boote sind etwa zehn Meter lang, drei Meter breit und wiegen gut acht Tonnen.
Heute wird nicht mehr ausgebootet, aber die weißen Holzboote mit roter und grüner Linie sind gefragt. Etwa 40 Stück soll es noch geben. Ein Großteil der erhaltenen Boote stammt aus der Freiburger Bootswerft. Damals habe so ein Boot zwischen 15.000 und 25.000 Mark gekostet. „Heute ein neues bauen zu lassen, kostet bis zu 200.000 Euro“, so Rainer Hatecke.
Heute werden auf der Freiburger Werft hauptsächlich alte Börteboote restauriert. „Wir arbeiten sie komplett auf, versetzen sie wieder in ihren Originalzustand“, erklärt Rainer Hatecke. Seit 2007 hat er 17 Börteboote grundsaniert.
Schiffseigner nutzen Wissen und Werkzeug der Werft
Aber es gibt auch Schiffseigner, die ihre Boote selbst sanieren und sich in einer der Bootshallen einmieten. Hier können bis zu 75 Boote überwintern. In der Halle am Bassin stehen derzeit elf Boote. Karsten Andersen ist Rentner und hat sich verliebt - in ein Börteboot. Er nutzt die Möglichkeit, es bei Hatecke gut unterzubringen und jederzeit Wissen, Werkzeug und Unterstützung der Werftmitarbeiter in Anspruch nehmen zu können. Jede freie Minute arbeitet er am Boot, das immerhin schon einen perfekten grauen Primer (Grundanstrich) hat. 2018 hat er es gekauft und saniert es seither. Im nächsten Sommer will Andersen es zu Wasser lassen und auf Reisen gehen.

Jollenkreuzer Freia wurde versenkt, um gerettet zu werden. Foto: Hatecke
So gibt es über jedes Boot eine Geschichte zu erzählen: etwa die Freia. Vor dem Zweiten Weltkrieg sei der Jollenkreuzer in Finkenwerder gebaut worden. Doch als mit Kriegsbeginn alle Schiffe beschlagnahmt wurden, habe der Eigner das fast fertige Boot im Finkenwerder Hafen versenkt. Erst nach Kriegsende holte er es wieder aus dem Wasser und baute es zu Ende. Jetzt wird es bei Hatecke grundsaniert und gewartet.
Segelboot blieb von Kettensäge verschont
Im Dornröschenschlaf liegt ein Segelboot 5,5 KR. „Das hat mein Opa für einen Privatmann gebaut“, erzählt Rainer Hatecke, aber fast wäre es der Kettensäge zum Opfer gefallen. Ein älterer Herr habe das Boot entdeckt und wollte es kaufen. Als sie sich nicht einigen konnten, sollte schon die Kettensäge herausgeholt werden. Am Ende bekam Rainer Hatecke es geschenkt. „Jetzt wartet es auf die Schönheitskur“, sagt er.
Das Segelboot 5,5 K im Dornröschenschlaf. Foto: Helfferich

Seit 50 Jahren liegt das kleine Segelboot auf der Bootswerft Hatecke. Foto: Helfferich
Vergessen scheint das kleine Segelboot Windhund. „Seit 50 Jahren steht es hier und war nur ein Jahr im Wasser“, erzählt der Bootsbauer. Es gehöre einem Freiburger, der es sich während seines Studiums gekauft und unter seiner Anleitung restauriert hat. Dann habe der Eigner einen neuen Job bekommen und sei seither nicht mehr zurückgekommen, „aber er zahlt jedes Jahr sein Liegegeld“.
Spätes Wiedersehen mit dem Meisterstück
Ein Heimkehrer ist dagegen ein kleines Motorboot, das kürzlich für eine Sanierung vorbeigebracht wurde. „Dat is min Boot“, rief Jürgen Hatecke, Rainers Vater, aus. Es stellte sich heraus, dass er es Ende der 1950er Jahre als sein Meisterstück gebaut hatte. Heute ist Jürgen Hatecke 91 Jahre alt und froh, sein Boot noch einmal zu sehen.

Einst das Meisterstück von Jürgen Hatecke, jetzt zur Sanierung nach Freiburg zurückgekehrt. Foto: Helfferich
Auch der Fischkutter aus Büsum wird eine Geschichte erzählen können, wenn er dann fertig ist. Noch gibt es eine Menge zu tun, bis er wieder als ein Börteboot erkennbar ist. Alles, was nicht zu einem Original gehört, fliegt raus. Oben, auf dem Deck, macht sich Marvin mit einer Säge daran, den teerverschmierten Boden herauszureißen. „Da kommt ein neuer Holzboden rein, wie bei einem Börteboot“, erklärt der Geselle. Unterm Schiffsrumpf kreischt die Flex. Ein Mitarbeiter kniet unterm Bug und schneidet ein Eisenrohr durch. Es gehört zur Kielrohrkühlung, die den gefangenen Fisch frisch gehalten hat. Ein Börteboot braucht so was nicht mehr. Ebenso wenig das Deckshaus. Dafür interessiert sich ein Mitarbeiter. Er will es als Gartenhaus nutzen.

Bootswerft Hatecke Foto: Helfferich

Frisch gestrichen ist das sanierte Börteboot, mit dem Karsten Andersen im kommenden Jahr auf Reisen fahren will. Foto: Helfferich
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