Zähl Pixel
Soziale Medien

THetze auf Facebook nach Bericht über Igel-Jagd in Osten

Igel stehen in Deutschland unter strengem Schutz und dürfen weder gefangen noch verletzt werden.

Igel stehen in Deutschland unter strengem Schutz und dürfen weder gefangen noch verletzt werden. Foto: dpa

Nach einem Polizeieinsatz in Osten kippt die Diskussion in den sozialen Medien vom Entsetzen über Tierquälerei hin zu pauschalen Schuldzuweisungen gegen Minderheiten. Was tatsächlich bekannt ist.

Von Tamina Francke Freitag, 21.11.2025, 05:50 Uhr

Cuxhaven. Der Fall rund um mutmaßliche Igeljäger in Osten an der Oste (Kreis Cuxhaven) hat eine Welle ausgelöst, die weit über den Landkreis Cuxhaven hinausreicht. Nachdem zuerst die „Cuxhavener Nachrichten“ über den Polizeieinsatz berichtet hatten, griffen überregionale Medien das Thema in großer Breite auf. Unter den Social-Media-Beiträgen vieler großer Häuser sammelten sich Tausende Kommentare - geprägt von Fassungslosigkeit, aber auch von Mutmaßungen und Zuschreibungen.

Ermittlungen: Motive und Häufigkeit noch unklar

Wie berichtet, hatte die Polizei einen Transporter in Osten kontrolliert und darin mehrere lebende Igel gefunden. Gegen zwei Männer aus Bremerhaven wurde ein Strafverfahren nach dem Bundesnaturschutzgesetz eingeleitet. Igel stehen in Deutschland unter strengem Schutz. Verstöße können mit Geld- oder Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet werden.

„Aktuell werden Zeugenbefragungen und gegebenenfalls Vernehmungen durchgeführt. Auch die beiden Beschuldigten bekommen nochmals die Möglichkeit, sich zu äußern“, erklärt Stephan Hertz, Sprecher der Polizeiinspektion Cuxhaven. Ob die Tiere zum Eigenverbrauch bestimmt waren oder ob möglicherweise ein gewerblicher Hintergrund vorliegt, sei noch offen. Ebenfalls werde geprüft, ob die Beschuldigten - wie von Anwohnern vermutet - schon in früheren Jahren im Ostedeichgebiet unterwegs waren. Meldungen über verdächtige Personen habe es zwar bereits mehrfach gegeben, bislang konnten aber keine Tatverdächtigen angetroffen werden. Vergleichbare Fälle seien der Polizeiinspektion Cuxhaven in den vergangenen zehn Jahren nicht bekannt gewesen.

Von historischen Hinweisen zu festen Zuschreibungen

In ersten Berichten wurde auf frei zugängliche Internetquellen verwiesen, in denen der Verzehr von Igeln historisch oder regional beschrieben wird: etwa im Nahen Osten, in Teilen Südeuropas oder in einzelnen Roma-Gemeinschaften. Solche Hinweise können helfen, kulturelle Praktiken historisch einzuordnen.

In den Kommentarspalten unter Beiträgen großer Medienhäuser zeigte sich jedoch ein Effekt, der in der Dynamik sozialer Netzwerke immer wieder zu beobachten ist: Die Grenze zwischen Kontextinformation und klarer Zuschreibung verschwimmt schnell. Aus einzelnen, nicht weiter überprüften Hinweisen werden innerhalb weniger Kommentare vermeintliche Gewissheiten - bis hin zu Formulierungen, die Roma-Gemeinschaften pauschal und ohne Belege mit dem aktuellen Fall in Osten in Verbindung bringen.

Igel zwischen Ästen und Laub: Genau solche Verstecke sollen gezielt aufgewühlt worden sein.

Igel zwischen Ästen und Laub: Genau solche Verstecke sollen gezielt aufgewühlt worden sein. Foto: Jonas Walzberg/dpa

Diese Dynamik ist nicht neu: Sobald kulturelle Praktiken erwähnt werden, die vermeintlich anders oder fremd erscheinen, geraten Minderheiten schnell unter Generalverdacht.

Einordnung, die Fakten von Vorurteilen trennt

Um der Frage nachzugehen, welche historischen Praktiken tatsächlich existierten und was davon heute noch eine Rolle spielt, hat unsere Redaktion den Austausch mit der Niedersächsischen Beratungsstelle für Sinti und Roma e.V. gesucht. Ziel war es, nicht über, sondern mit Vertreterinnen und Vertretern einer Minderheit zu sprechen, die in der öffentlichen Diskussion häufig als Projektionsfläche dient.

Sprecher Ricardo Tietz ordnete ein: Historisch habe es in einigen Regionen Europas - teils in Zeiten extremer Armut oder auf der Flucht - Fälle gegeben, in denen Igel als Nahrungsquelle genutzt wurden. Diese Praxis sei jedoch weder kulturprägend noch in irgendeiner Weise verbreitet. „Heute ist es keineswegs üblich oder gängig, Igel zu verzehren“, so Tietz. Dass Sinti oder Roma pauschal mit solchen Praktiken in Verbindung gebracht werden, sei Ausdruck eines größeren Problems.

Viele dieser Vorstellungen stammten aus Jahrhunderten der Diskriminierung. „Wir als Verband sprechen von der sogenannten Z-Projektion“, erklärt Tietz - dem reflexhaften Zuschreiben von Stereotypen, die mit der Lebensrealität der meisten Angehörigen der Minderheit nichts zu tun haben.

„Personen verurteilen, nicht eine Bevölkerungsgruppe“

Die Beratungsstelle für Sinti und Roma plädiert deshalb dafür, die mutmaßlichen Täter in Osten als das zu betrachten, was sie nach derzeitigem Stand sind: zwei konkrete Beschuldigte, über deren Motiv die Ermittlungen noch nichts abschließend sagen können.

„Unsere Auffassung ist, dass man die Akteure in diesem Fall am besten als normale Bürger und Individuen betrachten sollte, statt erneut ethnisierenden und kulturalisierenden Aussagen zu folgen“, so Tietz.

Das heißt: Wenn Menschen gegen das Naturschutzgesetz verstoßen, Tiere fangen oder quälen, dann ist das ein strafbares Verhalten - ganz unabhängig von Herkunft, Kultur, Religion oder Zugehörigkeit zu einer Minderheit. Dafür tragen die betreffenden Personen die Verantwortung, nicht eine Bevölkerungsgruppe.

Weitere Themen

Die Redaktion empfiehlt
Weitere Artikel