T„Ich hörte einen Knall“: Pilot erinnert sich an Helikopter-Absturz auf See

Der damalige Pilot, Fregattenkapitän Stephan S., mit dem Hubschraubereinsatzoffizier Kapitänleutnant Thorsten K. beim MFG5 in Nordholz. Foto: May
Bei einem Flug über der Karibik vor 25 Jahren stürzte Stephan S. mit dem Hubschrauber über See ab. Er überlebte. Heute erinnert sich der Marineflieger an die dramatischen Minuten.
Nordholz. Es ist die Horrorvorstellung eines jeden Piloten: eine Notwasserung über See. Doch genau das erlebte Fregattenkapitän Stephan S. vor 25 Jahren in der Karibik. Heute blickt er zurück auf den 16. Februar 2000. Er erinnert sich an die dramatischen Minuten des Absturzes und die glückliche Rettung.
Stephan S. begann seine Bundeswehrkarriere 1991 beim Heer, wo er seine Pilotenausbildung absolvierte. Doch seine Faszination galt der Seefahrt, weshalb er nach Nordholz zur Marine wechselte. „Hubschrauber und Seefahrt haben mich einfach mehr gereizt“, erinnert sich der gebürtige Cuxhavener. In Nordholz setzte er seine fliegerische Ausbildung fort, denn für die Marine zu fliegen bedeutet besondere Herausforderungen. „Es ist nicht ohne, auf einem kleinen Landedeck bei Seegang und am besten noch, wenn es dunkel ist zu landen. Das unterscheidet uns von normalen Piloten“, scherzt der heute 52-Jährige. Sein außergewöhnliches Können durfte er dann Anfang Januar 2000 zeigen.
Ein Einsatz in der Karibik
Denn da trat Stephan S. seinen Auslandseinsatz auf der Fregatte Niedersachsen im karibischen Meer an. Sein Job war es, mit dem Bordhubschrauber Sea Lynx Aufklärungsflüge über dem Meer zu absolvieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte der damals 27-jährige Oberleutnant zur See 600 Flugstunden Erfahrung. „Das ist für das Alter normal. Ich war jung und es war erst mein zweiter Einsatz an Bord einer Fregatte. Meine fliegerische Einsatzerfahrung war daher noch nicht so riesig“, gibt Stephan S. zu.

Der Sea Lynx kurz nach der Notwasserung. Nach der Rettung flog der niederländische Hubschrauber über die Unglücksstelle, um Fotos zu machen. Foto: Bundeswehr
Ebenfalls an Bord der Fregatte war auch der Hubschraubereinsatzoffizier Kapitänleutnant Thorsten K., der in der Nacht vor dem 16. Februar noch mit diesem Sea Lynx flog. Am Tage wurden dann routinemäßig zwei Dämpfer an den Rotorblättern ausgetauscht. „Das wurde turnusmäßig gemacht“, erklärt Thorsten K., heute Reservist, die Vorgehensweise.
Der verhängnisvolle Flug
Am Nachmittag des 16. Februars stieg Stephan S. mit seinem Kommandanten, einem Operator und einem Mannschaftssoldaten, der seinen ersten Flug absolvierte, in den Sea Lynx. „Es war super Wetter. 27 Grad Luft- und 27 Grad Wassertemperatur. Es war einfach ein warmer Karibiktag“, erinnert sich Stephan S. heute. Das Briefing lief gut, alles fühlte sich normal an. Es konnte also losgehen. Der Aufklärungsflug sollte zwei Stunden dauern. Nach etwa 60 Minuten bei 60 Seemeilen (circa 111 Kilometer) Entfernung von der Fregatte umflogen sie ein Segelschiff. Dann geschah das Unfassbare. „Wir waren etwa 200 Fuß tief unterwegs, als ich plötzlich einen Knall hörte“, schildert Pilot Stephan S. die ersten Momente. Sofort begann die gesamte Hubschrauberzelle extrem stark zu vibrieren. „Mein Operator sagte, er habe etwas vom Rotor wegfliegen sehen.“ Eine Schocksekunde folgte. „Ich dachte, das war‘s jetzt.“

Die deutsche Besatzung wartete auf der Fregatte Niedersachsen auf die verunglückte Crew und war erleichtert, als sie sie lebend in Empfang nehmen konnte (vorne Pilot Stephan S., in Gelb das gerettete Maskottchen Flat Eric). Foto: Bundeswehr
Obwohl Stephan S. in diesem Moment schon hin und her geschüttelt wurde, blieb er klar im Kopf. „Ich sagte meiner Crew, dass ich noch Kontrolle über das Luftfahrzeug habe.“ Der Kommandant behielt die Instrumente im Blick. „Die Triebwerke laufen noch“, meldete er. Nun zählte jede Sekunde. „Dann fängt man an, das richtige Notverfahren einzuleiten. Wir müssen landen.“ Der Sinkflug wurde eingeleitet, ein Notruf vom Kommandanten abgesetzt. „Ich sagte noch, dass die Triebwerke ausgeschaltet werden müssen, wenn wir aufsetzen.“ Dann setzte Stephan S. den Sea Lynx so sanft wie möglich auf das Wasser. Was sich wie eine Ewigkeit anfühlte, war in Wirklichkeit nur ein kurzer Moment. Vom Knall bis zur Notwasserung verging lediglich etwa eine Minute.
Die lange Zeit bis zur Rettung
Die Crew war nun auf sich allein gestellt. Schnell stieg das Wasser im Hubschrauber. Die Türen wurden abgeworfen, alle mussten raus. Und mit allen sind wirklich alle gemeint, denn Stephan S. nahm in dieser dramatischen Situation sogar das Plüsch-Maskottchen Flat Eric auf Zuruf seines Operators noch mit - das Symbol für das Rufzeichen ihres Hubschraubers. Flat Eric ist eine gelbe bärenartige Puppe mit langen Armen und Beinen, die für Werbespots der Jeansmarke Levi‘s kreiert wurde.
Im Wasser galt es für die vier Männer, das Überlebenstraining auf See abzurufen. In kleinen Ein-Mann-Rettungsbooten warteten sie auf Hilfe. Nach circa 15 Minuten hörten sie dann ein gewohntes Geräusch. Ein Sea Lynx war im Anflug.
Ein niederländisches Team hatte ihren Notruf gehört. Die Crew, die eigentlich einen Posttransfer von Curaçao zu der niederländischen Fregatte durchführte, rettete die Soldaten, die mittlerweile schon ein wenig vom Hubschrauber weggetrieben waren. „Die Niederländer hatten eine digitale Kamera an Bord. So konnten wir noch einmal über unseren Hubschrauber fliegen und Fotos machen“, erklärt der Nordholzer Pilot. Die Bilder bestätigten die Befürchtung: Ein großes Stück eines Rotorblattes war abgebrochen. Wie die spätere Unfalluntersuchung ergab, hatte es einen Riss gegeben, der zuvor mit bloßem Auge nicht sichtbar war. „Sonst wäre das Rotorblatt gewechselt worden“, beschreibt Thorsten K. die Vorgehensweise.

Die niederländische Crew flog zum Abschied noch einmal an der Fregatte Niedersachsen vorbei und winkte den Geretteten zu. Foto: Bundeswehr
Zwischen Paketen und Postsäcken sitzend, brachte die niederländische Crew die vier Männer zur Fregatte Niedersachsen zurück. Auf dem Schiff hatte man schon von dem Vorfall gehört. „Wir waren gerade beim Abendbrot, als die Nachricht kam, dass Flat Eric im Wasser ist“, erinnert sich Thorsten K. zurück. Die Ungewissheit war bedrückend: „Ob lebend oder tot, das wussten wir nicht.“ Minuten des Bangens folgten. „Als sie dann landeten und selbstständig ausstiegen, fiel uns ein Stein vom Herzen.“
Die Besatzung wurde dann erst einmal für 24 Stunden in den Sanitätsbereich gebracht und von allem abgeschirmt. „Dort haben wir erst richtig verstanden, was passiert war und wie viel Glück wir hatten“, sagt der 52-Jährige und erklärt weiter: „Wir wurden untersucht und es wurde geprüft, ob der Unfall physische oder mentale Auswirkungen auf uns hatte. Wir hatten keinen einzigen Kratzer.“
Ein neuer Blick auf die Fliegerei
Für das insgesamt 17-köpfige fliegende Personal war der Einsatz durch die Notwasserung beendet. Sie verbrachten noch eine Woche auf Curaçao, ehe es zurück nach Deutschland ging. Stephan S. stieg nur drei Wochen später wieder in einen Hubschrauber und flog noch weitere zwölf Jahre Einsätze mit dem Sea Lynx. Heute steuert er einen anderen Hubschrauber, doch das Erlebte hat ihn geprägt. „Die Vibrationen und das Unwuchtgeräusch haben mich sensibler gemacht und mich bei der Fliegerei fortan geprägt.“ Diese Sensibilität führte auch zu weiteren Veränderungen. 2010 wurde Stephan S. Chef der Einheit Überleben auf See. „Weil ich insbesondere seit dem Unfall sehr gut weiß, wie wichtig das ist.“ Auch die technischen Verfahren und Kontrollen wurden angepasst: Rotorblätter werden seither häufiger auf unsichtbare Risse kontrolliert. Der Unfall hat also vieles verändert - ging aber glücklicherweise gut aus. Der Hubschrauber wurde übrigens nie geborgen und liegt noch heute in etwa 1000 Metern Tiefe auf dem Meeresgrund.

Der Bordhubschrauber versank im karibischen Meer und wurde nie geborgen. Foto: Bundeswehr