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T„Ich will jetzt nur noch losgehen“: 54-Jähriger wandert den Appalachian Trail

Eine Wanderung auf dem Appalachian Trail ist der große Traum von Jörg Seeger. Das Foto zeigt ihn bei seiner Vorbereitung, beim Shakedown Hike im Pfälzer Wald.

Eine Wanderung auf dem Appalachian Trail ist der große Traum von Jörg Seeger. Das Foto zeigt ihn bei seiner Vorbereitung, beim Shakedown Hike im Pfälzer Wald. Foto: Privat

Alles, was Jörg Seeger in den kommenden Monaten zum Leben braucht, wird er auf seinem Rücken tragen. Der gebürtige Dipshorner will auf dem Appalachian Trail in den USA wandern. Rund 3500 Kilometer von Georgia bis nach Maine.

Von Saskia Harscher Montag, 01.04.2024, 11:00 Uhr

Tarmstedt. Der Flug ist bereits seit Langem gebucht. Am 26. März fliegt Jörg Seeger von Frankfurt nach Atlanta. Eine Übernachtung im Hotel wird er dort haben. Das letzte Mal für eine lange Zeit in einem richtigen Bett.

Schon tags darauf beginnt für den 54-Jährigen die große Wanderung. Seeger will auf dem Appalachian Trail (AT) im Osten der USA laufen, der mit 3.500 Kilometern als einer der längsten Weitwanderwege der Welt gilt und der durch 14 US-Bundesstaaten führt.

Mit dem Appalachian Trail erfüllt sich ein Lebenstraum

Für den promovierten Maschinenbauingenieur erfüllt sich damit ein Lebenstraum. Was erhofft er sich? Sechs Monate Freiheit und die Herausforderung, den Trail zu machen und zu schaffen, „Das Abenteuer reizt mich“, sagt er und schiebt lachend hinterher: „Wenn du das gemacht hast, kannst du alles machen.“

Seit er vor 15 Jahren eine Fernsehdokumentation über den AT gesehen hat, träumt er davon, den Trail selbst zu laufen. Jetzt ist es so weit: Die große Wanderung beginnt.

Aber Seeger weiß auch, ohne die Unterstützung seiner Familie, wäre dieses Abenteuer nicht möglich. Seine Frau und seine beiden Kinder (19 und 22 Jahre alt) gönnen ihm seinen Traum und stehen hinter ihm.

Jörg Seeger will auf große Wanderung gehen. Seit vielen Jahren träumt er von diesem Abenteuer.

Jörg Seeger will auf große Wanderung gehen. Seit vielen Jahren träumt er von diesem Abenteuer. Foto: Saskia Harscher

Seeger will die gesamte Strecke wandern. „Das ist der Plan“, sagt er, „aber nur 20 Prozent schaffen das.“

Den Versuch starten jedes Jahr zwischen 3000 und 4000 Frauen und Männer. Wer es schafft, die 3.500 Kilometer vom Springer Mountain in Georgia bis zum Mount Katahdin in Maine innerhalb von zwölf Monaten zu laufen, darf sich offiziell Thru-Hiker, Durchwanderer, nennen.

Sechs Monate unterwegs auf Wanderung von Georgia nach Maine

Seeger will sechs Monate unterwegs sein. Er rechnet mit 140 Wandertagen à 25 Kilometern und 20 sogenannten Zero Days, also Ruhetagen. „Das sind alles nur Schätzungen“, sagt er, „denn du kannst solch einen Trip gar nicht vorhersagen.“

Ein Bronzeschild, so groß wie ein Blatt Papier im DIN A 3-Format, am Startpunkt des Springer Mountain im US-Bundesstaat Georgia.

Ein Bronzeschild, so groß wie ein Blatt Papier im DIN A 3-Format, am Startpunkt des Springer Mountain im US-Bundesstaat Georgia. Foto: Seeger

Was er aber weiß: Er hat praktisch keinen Zeitpuffer. Der Rückflug ist bereits gebucht. Am 16. September wird er in New York wieder in den Flieger in Richtung Heimat steigen.

Das heißt: Er muss clever laufen. Er darf sich nicht überfordern und damit vielleicht Verletzungen provozieren, die schlimmstenfalls mehrere Tage Auszeit bedeuten können, aber er darf auch nicht trödeln. „Es ist diese Balance“, sagt er, „einerseits ist es ein spannendes Abenteuer, andererseits ist es auch eine Pflicht, fertig zu werden.“

Unterwegs können sich Trail-Familys bilden

Seeger plant, die Strecke allein zu wandern. Gleichwohl treffen sich unterwegs auch Gleichgesinnte, weiß er. Manchmal bilden sich sogar Trail-Familys, sogenannte Tramilys. Man trifft sich an den Schutzschütten, den Shelters. Und wenn es passt, wenn man im gleichen Rhythmus läuft, geht man vielleicht sogar zeitweise zusammen.

In diesem Tarp (Zelt) wird Jörg Seeger die kommenden Monate seine Nächte verbringen.

In diesem Tarp (Zelt) wird Jörg Seeger die kommenden Monate seine Nächte verbringen. Foto: Privat

Ungefähr alle drei bis fünf Tage kommt man in eine Ortschaft oder Stadt oder kreuzt eine Straße, die einen in eine Stadt führt. Wichtig ist, daran seine Trips zu planen, damit man rechtzeitig seine Vorräte auffüllen kann.

Möglichst viele Kalorien zu sich nehmen

Eine Herausforderung wird das Essen sein. „Du musst einfach sehen, dass du Kalorien zu dir nimmst“, sagt der 54--Jährige. Er rechnet damit, dass er etwa fünf Kilo an Gewicht verliert. Viel mehr darf es nicht werden, weil er jetzt schon eher schmal ist, mit gerade mal 66 Kilogramm, die er auf die Waage bringt.

„Du musst wissen, wie viele Kilokalorien du in den Tagen isst“, sagt er. Das hat er bei einer Probewanderung über fünf Tage durch die Pfalz geübt.

Testwanderung in der Pfalz

Im vergangenen November war das. Sein Shake down Hike, seine Testwanderung, vor dem jetzigen großen Abenteuer in den USA. 11.000 Kilokalorien hatte er dafür als Proviant eingeplant. „Als Hiker sollte man Nahrung kaufen, die nicht unter 400 Kilokalorien pro 100 Gramm hat. Je mehr, desto besser, damit man ein gutes Kalorien-Gewichtsverhältnis hat“, sagt Seeger.

Wandern mit leichtem Gepäck: Die komplette Ausrüstung, Rucksack, Zelt, Schlafsack, Isomatte und Kleidung wiegt nur 6,5 Kilogramm. Dazu kommen Trinkwasser und Lebensmittel.

Wandern mit leichtem Gepäck: Die komplette Ausrüstung, Rucksack, Zelt, Schlafsack, Isomatte und Kleidung wiegt nur 6,5 Kilogramm. Dazu kommen Trinkwasser und Lebensmittel. Foto: Seeger

Für 60 Dollar hat er sich eine App samt Karten besorgt, mit der er alle Informationen zur Strecke, zu Wasserstellen, Übernachtungsmöglichkeiten sowie Lebensmittel- und Ausrüstungsgeschäfte auf seinem Smartphone abrufen kann.

Dipshorner macht Sabbatical

Im Januar 2023 informierte Seeger seinen Chef darüber, dass er den AT laufen möchte. Dass es mit seinem Arbeitgeber klappt, war die Voraussetzung für die sechsmonatige Wanderung. Seeger arbeitet bei einem großen Landmaschinenhersteller in Mannheim in der Entwicklungsabteilung. Sein Chef habe super reagiert, sagt Seeger. „Mach‘ das“, hat er ihm gesagt.

Fünf Monate später unterschrieb er einen Vertrag darüber, dass er ein halbes Jahr weg sein darf und dafür ein Jahr lang ein halbes Gehalt bekommt. „Das war der Deal“, sagt Seeger. Der Vorteil: Während seines Sabbaticals laufen Krankenversicherung und Rente weiter. „Ich bin weiter ganz normal angestellt, bekomme nur ein halbes Gehalt.“

Unterwegs mit 6,5 Kilogramm

Seitdem bereitet er sich auf den Trail vor, ist häufig an den Wochenenden wandern gegangen. Er hat 1.800 Euro für seine Ausrüstung ausgegeben: Rucksack, Schlafsäcke, Kleidung, neue Wanderstöcke. Alles muss möglichst optimal sein. „Sieh zu, dass du deinen Rucksack möglichst leicht hältst“, diesen Tipp hörte er von vielen Seiten. Also: Keine Dönekens mitnehmen. Das dritte T-Shirt ist zu viel, die dritte Unterhose auch. Sein Rucksack wiegt 6,5 Kilogramm. Essen und Trinken kommen noch dazu.

Unterwegs rechnet Seeger sowohl mit Kälte als auch mit Hitze. „Ich bin auf null Grad eingestellt. Erwarte aber auch 40 Grad im Sommer.“

Auf den Körper hören

Wie fit muss man sein? Wichtig ist, auf seinen Körper zu hören. „Listen to your body“, sagt Seeger. Für ihn heißt das: Langsam starten und im eigenen Rhythmus zu laufen. Nicht schneller, sonst gibt es Probleme, mit den Knien, mit den Füßen. Im Jahr 2018 war er schon mal elf Tage in den Appalachen unterwegs. 14 Kilo Gepäck und ohne Wanderstöcke, „Ohne Wanderstöcke ist der größte Blödsinn“, sagt er.

Damals hatte er am dritten Tag Knieprobleme. Um Blasen zu vermeiden, trägt er Zehensocken und darüber Wollsocken. Die Zehen dürfen nicht aneinander reiben, sagt er. Außerdem macht er seit einigen Wochen Beindehnübungen. Daran denken viele nicht, aber gerade diese vermeintlich kleinen Dinge sind wichtig, sagt Seeger.

Das Durchstehen ist eine Kopfsache, ist der 54-Jährige überzeugt. „Du musst mental willensstark sein, um das zu machen“, sagt er. „Die körperliche Fitness, die kommt unterwegs von allein.“

Zecken gefährlicher als Bären

Sechs Monate wird Seeger in der Wildnis verbringen. In den Wäldern kann er auf Bären treffen und auf Klapperschlangen. Ob er Angst hat? Nein, sagt Seeger. „Du musst die Augen offen halten und bestimmte Regeln beherzigen.“ Also nicht mit Schnitzel im Zelt schlafen, denn das lockt die Bären an. „Das gefährlichste sind die Zecken“, sagt Seeger. Etwa fünf bis zehn Prozent der Wanderer erkranken an Borreliose. Davor hat er Respekt.

Ankunft im September

Wenn alles klappt, wird er im September am Mount Katahdin in Maine ankommen. Dort lässt sich jeder Hiker ablichten. Das wird ein emotionaler Moment sein. „Ich hoffe, ich halte durch“, sagt Seeger.

Den ganzen Appalachian-Trail nehmen sich nur die wenigsten Wanderer vor, sie nennen sich „Thru-Hiker“.

Den ganzen Appalachian-Trail nehmen sich nur die wenigsten Wanderer vor, sie nennen sich „Thru-Hiker“. Foto: dpa-Themendienst

Dass er mental das Zeug dazu hat, daran glaubt er fest. Hauptsache, der Körper macht mit. So lange schon träumt er von diesem Trail und jetzt wird dieser Traum endlich wahr. Er ist kurz still, dann lächelt er und sagt: „Eigentlich will ich jetzt nur noch losgehen.“

Aus der Ferne dabei

Der Applachian Trail (AT) ist einer der längsten Weitwanderwege der Welt. Auf einer Länge von 3.500 Kilometern führt er durch 14 US-Bundesstaaten - von Georgia bis nach Maine. Jedes Jahr machen sich 3000 bis 4000 Menschen auf, den AT zu wandern. Einer von ihnen ist Jörg Seeger. Sechs Monate will der gebürtige Dipshorner unterwegs sein. Wir bleiben dabei mit ihm in Kontakt und berichten an dieser Stelle in loser Folge von seinem Abenteuer.

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