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Wildtier 2024

TIgel in Not: Weg in den Winterschlaf kostet 100 Euro

Der hustende Igel bekommt nicht nur Medikamente gegen Lungenwürmer, sondern auch mehrmals am Tag das Inhalationsgerät vor die Nase.

Der hustende Igel bekommt nicht nur Medikamente gegen Lungenwürmer, sondern auch mehrmals am Tag das Inhalationsgerät vor die Nase. Foto: Klempow

Der Igel ist das Wildtier, das uns nah ist. Igel trippeln durch Gärten, stöbern unter Büschen, schlafen von Laub bedeckt im Unterholz. So sollte es sein. So ist es nicht mehr überall. Die Igel hungern und leiden wie noch nie. Aber es gibt Hilfe.

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Von Grit Klempow
Sonntag, 21.01.2024, 17:30 Uhr

Landkreis. Immer mehr Igeln geht es nicht gut. Andrea Breimeier aus Hagenah tut, was sie kann, um dem „Wildtier des Jahres 2024“ zu helfen. Sie hat in den vergangenen Jahren „einen Kurs nach dem anderen gemacht“, hat sich Rat und Hilfe von anderen Igelstationen geholt. Denn winzige Igel so zu pflegen, dass sie an ihrem Auffindeort zum richtigen Zeitpunkt wieder ausgesetzt werden können, ist eine Herausforderung.

Die Neuzugänge sind in großen, offenen Plastikboxen untergebracht. Die sind leicht zu reinigen. Sie stehen auf Wärmematten. Die Igel schlafen in Häuschen oder Kuschelhöhlen. Ein Schnarren ertönt. Lucca hustet.

Andrea Breimeier gibt den Wildtieren Namen, das erleichtert die Dokumentation ihres Zustands und sie sind einfacher auseinanderzuhalten. Lucca wurde in Drochtersen gefunden. Sein Husten ist ein Zeichen für Lungenwürmer. Diese Parasiten machen den hungernden Igeln zusätzlich zu schaffen.

Gäbe es Nahrung, stünde es vielleicht anders um die Stacheltiere. So aber dürsten sie in trockenen Sommern und hungern, weil es weniger Insekten gibt. Sie sind Fleischfresser und Einzelgänger.

Andrea Breimeier pflegt und päppelt leidende Igel, bis sie wieder gesund an ihren Fundort gebracht werden.

Andrea Breimeier pflegt und päppelt leidende Igel, bis sie wieder gesund an ihren Fundort gebracht werden. Foto: Klempow

Igel vertilgen etwa 300 Käfer pro Nacht

Nachts gehen sie auf die Jagd. Insekten, Schmetterlingslarven oder Ohrenkneifer stehen auf dem Speiseplan. Etwa 300 Laufkäfer benötigt ein einziger Igel pro Nacht, um satt zu werden. Aber die sind für die Jäger im Garten immer schwieriger zu finden.

Der Panzer von Laufkäfern enthält beispielsweise Chinin. „Das bewirkt eine gewisse Immunität gegen Endoparasiten“, sagt Andrea Breimeier. Fehlen die Insekten, fressen Igel nur aus purem Hunger Nacktschnecken. Die aber sind einer der Hauptüberträger von Parasiten. Ein Teufelskreis.

Gezieltes Entwurmen

Andrea Breimeier lässt die Kotproben untersuchen, um gezielt entwurmen zu können. Sie betreut ihre Schützlinge in enger Zusammenarbeit mit einem Tierarzt. Sie badet die Tiere bei Milbenbefall. Sie füttert die Igel, beginnt mit kleinsten Portionen, um keinen Insulinschock auszulösen.

Etwa 10 bis 15 Gramm am Tag legen sie zu, es ist ein langer Weg. Manche Igel sind kaum größer als ein Handteller. Winzlinge ab 60 Gramm hat sie schon über den Berg gebracht. Etwa 600 Gramm sollten die Jungtiere wiegen, um überleben zu können.

Weg zum Winterschlaf kostet mehr als 100 Euro

Vitamine, Biotin, Kalk, eine Darmaufbaukur - je nach Bedarf bekommen die Igel, was sie brauchen. „Bloß keine Milch“, warnt sie. Die führt zum Tod. Igel sind extrem laktoseintolerant. Andrea Breimeier päppelt sie mit Katzen-Ersatzmilch und Lactase als Zusatzstoff.

Auch die ist nicht gerade günstig. Futter, Medikamente und Kotuntersuchungen im Labor gehen ins Geld, Tierarzt-Besuche sowieso. Einen Igel so zu päppeln, dass er gesund und rund in den Winterschlaf gehen und wieder ausgesetzt werden kann, kostet schnell mehr als 100 Euro.

Spendenaktion von Kitz & Co

Umso glücklicher ist Andrea Breimeier über die Unterstützung der Wildtierretter von Kitz & Co. Die haben eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Der Krautsander Künstler Jonas Kötz hat einen Igel als Logo beigesteuert, der sich nun auf Frühstücksbrettchen oder Thermosflaschen findet, die Kitz & Co für den guten Zweck verkauft. Der Clou sind die Igel-Futter- oder Schlafhäuser. Die kann jeder im Garten aufstellen, um die wilden Mitbewohner dauerhaft zu unterstützen.

„Die Futterhäuser werden von den Tieren gut angenommen“, sagt Susanne Lüdtke von Kitz & Co. Das beweisen die Videos von Wildkameras. Klappen vor den Eingängen verhindern, dass sich huschende Nager bedienen. „Wer Igel füttern will, kann ganzjährig Katzenfutter mit hohem Fleischanteil von über 60 Prozent bereitstellen. Das gibt es auch günstig im Discounter“, sagt Andrea Breimeier. Und eine Wasserschale, die immer gut gefüllt ist.

Andrea Breimeier und Susanne Lüdtke (rechts) zeigen ein Igel-Futterhaus, das Kitz & Co anbietet.

Andrea Breimeier und Susanne Lüdtke (rechts) zeigen ein Igel-Futterhaus, das Kitz & Co anbietet. Foto: kitz & Co

Winterschlaf ab dem Herbst

Im Idealfall verkrümeln sich Igel rund und gesund ab Herbst zum Winterschlaf. Die letzte Zeit zeigt aber: Der Rhythmus ist im Wandel. Immer öfter sind die stacheligen Wildlinge zu hungrig, um in den Winterschlaf zu finden. Oder es ist für die Jahreszeit verwirrend warm und sie irren durch die Gärten. Dann fehlt die natürliche Nahrung - und sie verhungern.

Aber woran ist zu erkennen, ob ein Igel Hilfe braucht? „Generell ist es immer ein Warnzeichen, wenn ein Igel tagsüber zu sehen ist“, sagt Andrea Breimeier. „Kranke Igel sind apathisch, rollen sich kaum ein, sind oft mager. Ihre Augen stehen nicht halbkugelig hervor, sie sind eingefallen, schlitzförmig“, heißt es vom Verein Pro Igel.

„Das letzte Jahr war wirklich extrem“, sagt Andrea Breimeier. Alle Igel-Stationen seien komplett überlaufen gewesen. Nicht erst im Herbst kamen die entkräfteten Tiere. „Ohne Ende“ wurden tote Igelmütter und hilflose Jungtiere gefunden. „Auch ich habe hier ganz viele davon gehabt. Schon im Sommer.“

Verletzte Tiere sind darunter. Aufgestöbert von Hunden. Mähroboter sind ebenso eine Gefahr für Igel. Aber auch jetzt noch werden Igel gefunden - zu einer Zeit, in der sie eigentlich schlafen sollten. Vor ein paar Tagen noch zog ein Hochwasser-Opfer in eine der Plastikboxen. Der Igel hockte mitten auf dem Deich, umgeben von Wasser.

Inzwischen ist ein weiterer wilder Gast aus der Plastikbox in ein Winterschlafquartier im Kaninchenstall umgezogen. Von dort wird er mit Beginn des Frühjahrs an seinen Fundort zurückkehren.

Grundschüler spendet für die Igel

Das Pensum von Andrea Breimeier mit der Rund-um-Betreuung ist enorm - und ohne ihr Netzwerk aus Unterstützern, das stabile Igel übernimmt, oder die Hilfe von anderen Stationen kaum zu leisten. Dafür ist sie dankbar. Und für die Wertschätzung anderer. Xavier

zum Beispiel. Der Grundschüler aus Heinbockel hatte Weihnachtsschmuck gebastelt und verkauft. Den gesamten Erlös von 70 Euro spendete er der Igelrettung. Auch Liedtkes haben einen Laubhaufen und einen Igel im Garten.

Xavier Liedtke ist Igelfreund und hat mit einer eigenen Spendenaktion die Igelrettung unterstützt.

Xavier Liedtke ist Igelfreund und hat mit einer eigenen Spendenaktion die Igelrettung unterstützt. Foto: Lüdtke

Wildtier-Schützer sorgen sich, dass der Igel vielleicht das erste heimische Wildtier ist, das mit dem Klimawandel nicht mehr überlebensfähig ist.

Doch jeder kann die Folgen abfedern. Das geht vor allem über das Zufüttern und eine Igeltränke im eigenen Garten. Das funktioniert auch über „Schmuddelecken“ mit Laub- und Reisighaufen oder einer Benjeshecke und naturnahen Gärten, in denen sich Insekten tummeln.

Igel stöbern in der Nachbarschaft

Igelschutz könnte ein Gemeinschaftsprojekt für Nachbarschaften werden. Die flitzenden Wildtiere haben nachts einen Radius von fünf Kilometern - wenn sie die Möglichkeit haben. Dafür braucht es aber Schlupflöcher in Zäunen und keine mit Stabmatten abgeriegelten Grundstücke.

Andrea Breimeier lässt sich nicht entmutigen und nimmt sich jedes hilfebedürftigen Igels ehrenamtlich an. „Jedes Leben zählt“, sagt sie und bereitet eine Kochsalzlösung vor - der hustende Lucca ist jetzt mit Inhalieren dran.

Wer Andrea Breimeier unterstützen möchte, spendet an:

Spendenkonto: IBAN DE79241511160000802843

TSV Tierhilfe Stade e.V./Kitz&Co

Vermerk „Igelrettung“

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