TJägerboom in der Kritik: Sorge um das Jagdwesen im Stader Nachbarkreis

Die Jagd ist in. Immer mehr Frauen und Männer machen den Jagdschein. Um die 400.000 Jäger sollen hierzulande durch die Wälder streifen. Foto: Schulze/dpa
Immer mehr Jäger streifen durch deutsche Wälder. Viele von ihnen sind hochmodern ausgerüstet. Die Nachtzieltechnik verändere den jagdlichen Kompass, sagen Kritiker und fürchten, dass das jagdliche Handwerk allmählich verloren geht.
Landkreis Cuxhaven. „Ist das noch meine Jagd?“ Diese Frage stellt sich Klaus Dammann-Tamke aus Ohrensen immer öfter. Einige Entwicklungen im Jagdwesen bereiten dem 68-Jährigen große Sorge. Der ehemalige Tierarzt und leidenschaftliche Jäger beklagt vor allem die zunehmende Kommerzialisierung der Jagd. „Wir laufen Gefahr, dass das jagdliche Handwerk dabei auf der Strecke bleibt“, so seine Befürchtung.
Mit 13 das erste Reh erlegt
Dammann-Tamke stammt aus einer alten Jägerfamilie; er saugt den Jagdtrieb quasi mit der Muttermilch auf. Schon mit acht Jahren bekommt er sein erstes Luftgewehr, erlegt damit einen Eichelhäher und eine Elster, die beide ausgestopft noch heute des Jägers Wohnung zieren.
Mit 13 darf der junge Klaus schon allein auf Jagd und schießt seinen ersten Rehbock, etwas später macht er seinen Jagdschein. An der Hand erfahrener Jäger taucht er immer tiefer in die Geheimnisse des Waidwerks ein. Versierte jagdliche Lehrmeister seien auch heute noch für Jungjäger unerlässlich, meint Dammann-Tamke. Doch die Realität sehe oft anders aus.

Der ehemalige Tierarzt Klaus Dammann-Tamke ist auf einem Bauernhof in Ohrensen aufgewachsen und geht in seinem Heimatort seit 52 Jahren auf die Jagd. Foto: Jakob Brandt
Jagen ist hip. 400.000 Jäger soll es hierzulande bereits geben. Und die Zahl steigt weiter. Klaus Dammann-Tamke spricht von einem Jägerboom. Davon profitiere eine ganze Industrie, angefangen von privaten Jagdschulen und Jagdausrüstern über die Modebranche, Jagdmedien und die Automobilindustrie bis zu Jagdhundezüchtern, Vermittlern von Revieren und Anbietern von Jagdreisen.
Wo sollen all die Jäger hin?
„Ich sehe diese Entwicklung sehr kritisch“, sagt Dammann-Tamke. „Bei einer immer kleiner werdenden Jagdfläche: Wo sollen sich all die Jungjäger entfalten und die nötige Erfahrung und Praxis sammeln?“ Der Ohrenser glaubt auch nicht, dass alle Inhaber des „Grünen Abiturs“ wirklich jagen wollen und unterscheidet zwischen Jagdscheininhabern und Jägern. Er vermutet, dass einige die Jagdprüfung nur ablegen, um sich legal eine Waffe kaufen zu können.
Privaten Jagdschulen steht der erfahrene Jäger ebenfalls kritisch gegenüber. Diese bieten oft zwei- oder dreiwöchige Kompaktkurse zur Erlangung des Jagdscheins an. Dammann-Tamke nennt sie Turbo-Lehrgänge. Der 68-Jährige bezweifelt, dass die Jungjäger in der kurzen Zeit eine solide Grundausbildung erhalten. Manch einer unterliege hernach der Fehleinschätzung, mit dem Jagdschein in der Hand bereits ein vollwertiger Jäger zu sein.
Jäger werden ist ein langer Prozess
Klaus Dammann-Tamke spricht von einem jagdlichen Lernprozess und hält es für unerlässlich, dass ein erfahrener Jäger sich des jungen Kollegen annimmt und ihn praktisch und theoretisch weiter ausbildet. „Wenn ein Turbo-Lehrgang mit solch einer Unterweisung kombiniert wäre, ähnlich dem Führerschein mit 17, könnte ich damit leben.“
„Problemtiere“
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Bei der Masse an Jungjägern lasse sich dies aber wohl kaum umsetzen. „Es bedarf keiner Hellseherei, um zu prophezeien, dass ein erheblicher Teil der Jungjäger vermutlich nie einen dauerhaften Bezug zur praktischen Jagd finden und sich mittelfristig anderen Interessenfeldern zuwenden wird,“ sagt Dammann-Tamke. „Viele Jungjäger werden nach einigen Jahren frustriert aufgeben, andere sich nur an Drückjagden beteiligen oder einen Jagdurlaub im Ausland buchen.“
Jäger gestalten aktiv Lebensräume
Unter Jagd versteht der Ohrenser „ein Leben im Revier, das man in- und auswendig kennt.“ Und: „Nachhaltig sollte die Jagd sein. Dabei schöpft man nur so viel ab, wie nachwächst.“ Nachhaltigkeit beinhalte auch eine aktive Lebensraumgestaltung, wie Hecken anpflanzen, Wildäcker einsäen, Wegränder gestalten. Und letztlich auch verantwortliches Handeln. „Wir sollten nicht die letzten Tiere einer Art erlegen“, sagt Dammann-Tamke, stellt aber auch klar: „Beute machen gehört dazu.“
Nachtsichttechnik verändert die Jagd
Und hier kommt das „Wie“ ins Spiel. Mit moderner Wärmebild- und Infrarot-Technik lasse es sich heute viel einfacher jagen als in früheren Jahren, sagt der versierte Jäger. „Mit Nachtsichtgeräten und Nachtzielgeräten kann man selbst in tiefster Nacht auf Jagd gehen.“
In Niedersachsen ist es seit Kurzem erlaubt, mit der neuen Technik Wildschweine und Räuber wie Fuchs, Marder, Dachs und Nutria zu jagen. Einige Jäger erlegen damit aber auch Reh- und Damwild, ist Dammann-Tamke überzeugt. Folge: Das Wild werde immer scheuer.
„Ich lehne diese Technik nicht grundsätzlich ab“, sagt der 68-jährige Waidmann. „Es sollte sich aber jeder fragen, ob er diese Technik in seinem Revier wirklich braucht.“
Bei der Bekämpfung der Afrikanischen Schweinepest, bei der es darum gehe, die Zahl der Schwarzkittel schnell und nachhaltig zu reduzieren, habe die Technik ihre Berechtigung. „Wir sollten aber immer im Auge haben, dass durch Technisierung der Jagd die Weitergabe des jagdlichen Handwerks durch erfahrene Praktiker droht verloren zu gehen“, so Dammann-Tamke.