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Gleichberechtigung

TKampf gegen Widerstände: Als in Hüll vor 50 Jahren endlich Mädchen zur Feuerwehr durften

Historische Aufnahme: die erste Feuerwehrmädchengruppe Hüll.

Historische Aufnahme: die erste Feuerwehrmädchengruppe Hüll. Foto: privat

Eine Jugendfeuerwehr mit Mädchen: Was heute völlig normal ist, führte vor 50 Jahren zu einem Sturm der Entrüstung. Ein Mann aus Hüll ließ sich davon nicht beirren und sorgte dafür, dass die kleine Ortschaft Pionierin im Landkreis Stade wurde.

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Von Katja Knappe
Sonntag, 10.03.2024, 08:40 Uhr

Hüll. Die Ortsfeuerwehr Hüll ist in Sachen Gleichberechtigung eine Pionierin im Landkreis Stade. Aktuell ist die Mehrzahl der Hüller Jugendfeuerwehr-Mitglieder weiblich: Von 20 Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 16 Jahren sind zwölf Mädchen. Heute sind solche Zahlen eine Selbstverständlichkeit. Doch bei der Gründung der Hüller Jugendfeuerwehr 1974 sah die Lage ganz anders aus.

Damals hatten sich Ortsbrandmeister Werner Hardekopf und der Feuerwehrmann und Lehrer Günter König sowie einige Jugendliche zusammengefunden. Und siehe da - gleich eine ganze Gruppe von Mädchen wollte in die neue Jugendfeuerwehr eintreten. Für den künftigen Jugendwart Günter König war es selbstverständlich, dass Mädchen dabei mitmachen durften. Denn eigentlich kann jeder Einwohner einer Gemeinde ab einem bestimmten Alter einer Freiwilligen Feuerwehr beitreten.

Niedersachsen droht mit einem Disziplinarverfahren

Doch Mädchen in der Jugendwehr waren damals im Landkreis ein Novum - und die Hüller Ortswehr stieß auf massive Widerstände. Am 19. März 1974 schrieb die Gemeinde Drochtersen: Die Aufnahme weiblicher Personen in eine Jugendfeuerwehr könne als Verstoß gegen das Niedersächsische Feuerschutzgesetz gesehen werden, da zu der Zeit nur männliche Personen einer Freiwilligen Feuerwehr beitreten könnten. Vom Kreisbrandmeister hieß es am 26. Juli 1974: „Die Freiwillige Feuerwehr der Ortschaft Hüll muß, so bedauerlich es auch ist, vorerst darauf verzichten, Mädchen in die Jugendfeuerwehr aufzunehmen“.

Bis 1992 dauerte es, bis aus den Reihen der Jugendfeuerwehr erstmals eine junge Frau in die Einsatzabteilung wechselte: Kerstin Schütt, geborene Daß, war die erste Feuerwehrfrau in der Gemeinde.

Bis 1992 dauerte es, bis aus den Reihen der Jugendfeuerwehr erstmals eine junge Frau in die Einsatzabteilung wechselte: Kerstin Schütt, geborene Daß, war die erste Feuerwehrfrau in der Gemeinde. Foto: privat

Jugendwart Günter König und Ortsbrandmeister Werner Hardekopf haben sich von den Widerständen aber nicht beirren lassen - sie gründeten kurzerhand die Jugendfeuerwehr - und zwar mit Mädchen. 13 Jungen und 12 Mädchen gehörten zu den Gründungsmitgliedern, erzählt Drochtersens Gemeindejugendfeuerwehrwart Ulf König. Er ist der Sohn des 1998 verstorbenen Günter König und trat früh in dessen Fußstapfen. Er ist stolz auf seinen Vater: „Er wurde damals wegen der Aufnahme der Mädchen noch zum Land Niedersachsen zitiert und ihm wurde mit einem Disziplinarverfahren gedroht“, erzählt Ulf König. Sein Vater habe damals nur gesagt: „Sollen sie doch!“.

Ulf König, Antje Funck und Tochter Katrin sowie Jugendfeuerwehrwartin Kim Kristin König (von links). Ihr verstorbener Großvater Günter König kämpfte vor 50 Jahren für eine Jugendfeuerwehr mit Mädchen in Hüll.

Ulf König, Antje Funck und Tochter Katrin sowie Jugendfeuerwehrwartin Kim Kristin König (von links). Ihr verstorbener Großvater Günter König kämpfte vor 50 Jahren für eine Jugendfeuerwehr mit Mädchen in Hüll. Foto: Knappe

Mädchen mussten mit 16 wieder austreten

Die vollzogene Gründung hatte einen Haken: Wegen des Einflusses der übergeordneten Gremien mussten die Mädchen sich dazu bereit erklären, auf eine Übernahme in die Einsatzabteilung zu verzichten. „Immer wieder wurde den Mächen erzählt, dass sie mit 16 Jahren aus der Jugendfeuerwehr austreten müssten. Sie glaubten dieser Aussage“, schreibt die Hüller Ortswehr auf ihrer Internetseite.

Die Mädchen, die 1974 in die Jugendfeuerwehr eintraten, sind längst nicht mehr dabei. Bis 1992 sollte es zur ersten Hüller Feuerwehrfrau dauern: In dem Jahr wechselte mit der damals 16-jährigen Kerstin Schütt, geborene Daß, erstmals ein weibliches Mitglied der Hüller Jugendwehr in die Einsatzabteilung. Sie war auch die erste Feuerwehrfrau in der Gemeinde Drochtersen.

Berührungsängste hatten sich schnell erledigt

„Ich habe gar nicht in Frage gestellt, ob ich wechsele oder nicht, das war für mich selbstverständlich“, erinnert sich die Pionierin. Sie, ihr Vater, zwei Brüder und später auch ihre jüngere Schwester waren teils zeitgleich in der Feuerwehr. In den ersten eineinhalb Jahren hätten viele der männlichen Kollegen zurückhaltend reagiert - „nicht negativ, aber abwartend“, erinnert sich Kerstin Schütt. Dann waren die Berührungsängste erledigt, sagt sie. Ihre vier Jahre jüngere Schwester Antje Funck ist heute noch Feuerwehrfrau in Hüll - und deren Tochter Kathrin Funck ist seit zwei Jahren bei den Aktiven. Sie liebt „den Adrenalinkick, wenn der Pieper geht und man losrennt. Und dass man hier gemeinsam etwas bewirkt“, erzählt die 18-jährige.

Der 50. Geburtstag der Hüller Jugendfeuerwehr am 12. Juli wird dieses Jahr groß gefeiert. Außerdem wird Hüll am 25. Mai Gastgeber für die Kreisjugendfeuerwehr-Wettbewerbe sein. Da wartet viel Arbeit auf Kim Kristin König. Die 32-Jährige ist die Enkelin von Günter König, dem Gründungs-Jugendwart der Ortswehr. Seit 2022 ist sie selbst Jugendwartin in Hüll - dank der Vorarbeit ihres Großvaters, der sich für die Gleichberechtigung in Hüll stark gemacht hat.

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