TKlage gegen Preisexplosion: So geht es für die Harsefelder weiter

Sven Grüschow (von links) Christian Krammig, Frank Dohrmann und Peter Herzog sind in der IG Fernwärme Harsefeld aktiv. Foto: Bisping
Die Preisexplosion war intransparent: In Harsefeld klagen Anwohner gegen ihren Fernwärmelieferanten. Wie geht es nach dem ersten Verhandlungstag weiter?
Harsefeld. Von dem ersten mündlichen Verhandlungstag vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht (OLG) hatte sich Christian Krammig etwas mehr versprochen. „Ich war ein bisschen enttäuscht, dass kaum Mitstreiter anwesend waren“, sagt der Harsefelder, der extra nach Schleswig gefahren war.
Worum geht‘s in dem Verfahren? Die Interessengemeinschaft IG Fernwärme Harsefeld hatte sich einer Sammelklage gegen HanseWerk Natur angeschlossen (das TAGEBLATT berichtete). Der Grund für die Klage, die die Verbraucherzentrale Bundesverband führt, ist die Preispolitik des Fernwärmelieferanten. Die Klage soll dafür sorgen, dass HanseWerk Natur seine Abrechnungen rückwirkend anpasst und seinen Kunden das sich daraus ergebende Guthaben erstattet.
Der Stand nach der ersten mündlichen Verhandlung
Laut Abrechnungen hatte HanseWerk Natur in Harsefeld in der Vergangenheit kräftig zugelangt. Vor allem in den Jahren 2022/23 gab es bis zur Preisbremse der Bundesregierung enorme Preiserhöhungen. Sie wurden unter anderem mit dem Ukrainekrieg begründet. Wie berichtet, musste Frank Dohrmann, Besitzer eines Einfamilienhauses, plötzlich 530 Euro zahlen - pro Monat. In Harsefeld sind nach Angaben der IG 250 Privathaushalte betroffen.
Ronny Jahn, Leiter Team Sammelklagen der Verbraucherzentrale Bundesverband, teilt auf Nachfrage mit: Zum Stand vom 2. April seien 3296 Verbraucherinnen und Verbraucher an der Klage beteiligt. Betroffene könnten sich auch weiterhin beim Bundesamt für Justiz zur Klage anmelden und so daran teilnehmen.
Wie geht’s jetzt weiter? „Im Anschluss an die mündliche Verhandlung haben wir mit HanseWerk Natur vereinbart, ein Güterichterverfahren durchzuführen und im Rahmen dessen Vergleichsgespräche aufzunehmen“, sagt Ronny Jahn. Diese seien derzeit für Juni geplant. „Der Fortgang des Verfahrens hängt davon ab, wie sich die Gespräche entwickeln.“
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Christian Krammig hat sich inzwischen in die Formeln hineingefuchst. Für den Verbraucher sei das ein undurchsichtiges System, sagt er. Zu dieser Problematik will er unbedingt die Politik mit ins Boot holen, hat dazu schon die jüngst gewählte Bundestagsabgeordnete Vanessa Zobel (CDU) angeschrieben. „Uns drückt hier der Schuh“, sagt Krammig.
Finanzmathematiker befasst sich seit Jahren mit dem Thema
Der Harsefelder steht auch in Kontakt mit Werner Siepe. Der Finanzmathematiker lebt im nordrhein-westfälischen Erkrath und ist selbst von den Preisexplosionen eines Fernwärmelieferanten betroffen. Er gehört zur Interessengemeinschaft Fernwärme Hochdahl und verfolgt das Thema seit Jahren. Siepe hatte sich durch den Dschungel der intransparenten Arbeitspreisformeln gearbeitet. Er hatte Studien verfasst, Fernwärmeanbieter verglichen und massive Preisunterschiede belegt. Mehrere Medien zitierten ihn.
Zum TAGEBLATT sagt er über das Verfahren: „Vernünftig wäre ein Vergleich.“ Denn gebe es vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht einen Verlierer, könnte der vor den Bundesgerichtshof ziehen. „Das würde Jahre dauern“, sagt er.
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Inzwischen gibt es unter waermepreise.info ein Vergleichsportal. Es soll Kunden Preisvergleiche von Fernwärmelieferanten ermöglichen. Ein Blick zeigt: Die Unterschiede sind gravierend - nachvollziehbar sind sie kaum. Beispielsweise reichen die Preise für ein Einfamilienhaus von 8,73 Cent pro Kilowattstunde (brutto) im bayerischen Schwandorf (angeboten von der Stadt Schwandorf) bis 35,94 Cent pro Kilowattstunde (brutto) im schleswig-holsteinischen Stockelsdorf (angeboten von den Gemeindewerken Stockelsdorf).
Werner Siepe sagt: „Wer sich das anschaut, wird erschlagen.“ Es sei wenig aufschlussreich, der Laie könne damit nichts anfangen. „Dort steht immer noch nicht, wie die Preise zustandekommen. Für mich kann nur etwas transparent sein, was der Laie auch versteht.“
HanseWerk Natur: Monopolist im Harsefelder Wohnquartier
In dem Harsefelder Wohnquartier, in dem auch Krammig wohnt, hat HanseWerk Natur das Monopol. Noch härter als Immobilienbesitzer dürfte das die Mieter treffen. Sie sind davon abhängig, ob ihre Vermieter gegen die Preisentwicklung selbst aktiv vorgehen.
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Zur starken Preiserhöhung in Harsefeld antwortet Ove Struck, Leiter Kommunikation bei HanseWerk Natur, auf TAGEBLATT-Anfrage: „Bedingt durch die Ukraine-Krise wurde zwischen Mitte 2021 und 2023 die Versorgungssicherheit insbesondere in der Bundesrepublik akut bedroht.“ Die weltpolitische Situation habe dazu geführt, dass sich die Großhandelspreise für Erdgas teilweise vervielfacht hätten.
Dadurch sei es zu extremen Preissteigerungen für Erdgas gekommen, „von denen auch wir als Unternehmen direkt betroffen waren“, so Struck. Und weiter: „Da wir in dieser Zeit Erdgas als Brennstoff für die Wärmeerzeugung einkaufen mussten, um die Wärmeversorgung unserer Kunden sicherzustellen, sind in der Folge unsere Wärmepreise ebenfalls deutlich angestiegen.“ Das Unternehmen sieht die Klage weder zulässig noch begründet, begrüßt aber, „dass das Gericht zu einer Klärung der in Rede stehenden Rechtsfragen beiträgt, die aufgrund der unklaren Gesetzeslage bestehen“.
Inzwischen habe sich auch das Bundeskartellamt eingeschaltet, informiert die Verbraucherzentrale Bundesverband auf ihrer Webseite. Weiter heißt es, es erhärte sich bei der Behörde der Anfangsverdacht, dass einzelne Unternehmen unzulässige Preisanpassungsklauseln für ihre Kunden verwendet haben.
Das OLG hat jetzt den nächsten Verhandlungstag angesetzt. Er findet am 2. Juni um 10.30 Uhr in Schleswig statt.