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Unterrichtsversorgung

TMassive Kürzungen: Darum fehlen am Vincent-Lübeck-Gymnasium so viele Lehrer

VLG-Schulleiter Rouven Wauschkies und die stellvertretende Schulelternratsvorsitzende Berit Rauhhaus sprechen angesichts des Lehrermangels von einer Mängelverwaltung.

VLG-Schulleiter Rouven Wauschkies und die stellvertretende Schulelternratsvorsitzende Berit Rauhhaus sprechen angesichts des Lehrermangels von einer Mängelverwaltung. Foto: Stehr

Die Unterrichtsversorgung am Vincent-Lübeck-Gymnasium war im ersten Schulhalbjahr sehr gut. Im zweiten Halbjahr hat sich die Situation gewaltig verschlechtert. Das sind die Gründe.

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Von Lena Stehr
Sonntag, 23.02.2025, 10:55 Uhr

Stade. Was fällt heute aus? Diese Frage stellen sich täglich Schüler, Lehrkräfte und Eltern in der Region, wenn sie früh morgens den Vertretungsplan online checken. Wie berichtet ist der Landkreis Stade in Sachen Lehrerversorgung Schlusslicht in Niedersachsen. Nach der Schulstatistik zum Stichtag vom 31. August 2023 lag die durchschnittliche Versorgung bei den allgemeinbildenden Schulen bei 90,3 Prozent.

Um 100 Prozent Unterricht für die Schüler zu gewährleisten, bräuchte es laut Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) aber eine Unterrichtsversorgung von 107 Prozent. Am stärksten betroffen sind neben Förderschulen vor allem Oberschulen, Haupt- und Realschulen.

„Das ist eine reine Mängelverwaltung“

Obwohl die Gymnasien nicht in den Top Ten des Lehrkräftemangels im Kreis auftauchen, sind auch sie stark betroffen. Wenn nämlich anderswo Lehrer fehlen, werden von besser versorgten Schulen Lehrer abgeordnet.

„Das ist eine reine Mängelverwaltung“, sagt Rouven Wauschkies, Schulleiter am Vincent-Lübeck-Gymnasium (VLG) in Stade. Hier werden derzeit 1200 Schülerinnen und Schüler von der 5. bis zur 13. Klasse beschult. Zum Kollegium gehören 97 Lehrkräfte - 13 von ihnen müssen nun allerdings auch an der Grundschule Campe, der Grundschule Hagen, der IGS Stade und vor allem an der Oberschule Stade unterrichten.

„Im vergangenen Jahr sah es eigentlich ganz gut bei uns aus, die Unterrichtsversorgung ist spürbar hochgegangen“, sagt Wauschkies. Alle fünf ausgeschriebenen Lehrerstellen konnten zum 1. August 2024 neu besetzt werden, zwei weitere Lehrkräfte kehrten zudem nach einer mehrjährigen Pause zurück. Doch wie gewonnen, so zerronnen: Im Dezember sei die Mitteilung von der Schulbehörde gekommen, dass 90 Lehrerstunden abgeordnet werden müssen. „Wir haben diese Stunden aber ja nicht übrig gehabt, sondern sie fehlen jetzt bei uns, die Qualität sinkt wieder“, sagt Wauschkies.

Am VLG musste zum zweiten Halbjahr massiv gekürzt werden: Religion sowie Werte und Normen im fünften Jahrgang, Geschichte im sechsten, Erdkunde im siebten, Politik-Wirtschaft im achten, Geschichte im neunten und Darstellendes Spiel im elften. Auch der AG-Bereich ist betroffen. Es sei darauf geachtet worden, dass jeder Schüler nur ein Fach habe, das gekürzt wird. Kein Jahrgang werde doppelt belastet. In der Oberstufe sei nur in Kursen ohne Abiturprüfung gekürzt worden.

Am VLG fällt derzeit viel Unterricht aus. Schulleiter Rouven Wauschkies zeigt auf den Vertretungsplan.

Am VLG fällt derzeit viel Unterricht aus. Schulleiter Rouven Wauschkies zeigt auf den Vertretungsplan. Foto: Stehr

Die ganze Planung sei enorm aufwendig, obwohl ein Online-Programm bei der Stundenplanung helfe, so Wauschkies. Aus dem Kursunterricht in der Oberstufe, der etwa 40 Prozent ausmache, könne er zum Beispiel niemanden rausnehmen.

„Wir müssen dann gucken, welche Lehrkräfte und welche Stunden wir anderswo irgendwie herauslösen können“, so der Schulleiter. Das Ganze passiere in enger Abstimmung mit den Schulen, an die die VLG-Lehrkräfte abgeordnet werden. Nicht immer können alle Wünsche erfüllt werden. So wollte die Oberschule gern eine Mathelehrkraft, doch die wird am VLG selbst gebraucht.

Um die Belastung für die betroffenen Kollegen möglichst gering zu halten, werde darauf geachtet, dass jeder maximal an drei Tagen in der Woche an der anderen Schule sei und möglichst nicht hin und her pendeln müsse. Doch auch das sei nicht immer zu realisieren. Bei der Planung müsse dann zum Beispiel auch die Fahrtzeit zwischen dem VLG und der Oberschule einkalkuliert und dabei auch die Baustelle in der Harsefelder Straße berücksichtigt werden, so Wauschkies.

Im Auto auf der Straße statt im Unterricht

„Lehrer müssen nun wertvolle Zeit auf der Straße verbringen, anstatt im Unterricht“, sagt Berit Rauhhaus, stellvertretende Vorsitzende des Schulelternrats am VLG. Bund und Land nähmen billigend in Kauf, dass Unterricht in wichtigen Nebenfächern wie Politik oder Geschichte ausfalle.

Um die Unterrichtsversorgung in den kommenden Jahren sorgt sie sich auch angesichts der bevorstehenden Pensionierungswelle von Lehrkräften der Babyboomer-Generation. Dass die niedersächsische Kultusministerin Julia Willie Hamburg von einer stabilen Unterrichtsversorgung spreche und sich über 2296 neue Lehrkräfte freue, die 2024 dazugewonnen wurden, schlage sich in Stade leider nicht nieder, so Rauhhaus. Viele junge Lehrkräfte wollten lieber in größere Städte wie Lüneburg und landen meist nicht in der Peripherie.

Vor Ort helfen sich die Schulen derweil untereinander, wo sie können, betont Wauschkies. Er selbst war auch schon abgeordnet, musste vor vier Jahren an der Hauptschule Thuner Straße aushelfen. „Es ist auch eine Chance, mal aus dem eigenen Saft rauszukommen“, sagt er. Dennoch sei diese Art der Mängelverwaltung eine große Belastung für alle. Und: In den kommenden zehn Jahren werde es wohl nicht besser werden.

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