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Unheilbare Krankheit

TMit Mattis durchs Leben: Welche Stärke in der Liebe einer Familie steckt

Liebevoll begleiten Svenja und Sascha Meier ihren Sohn Mattis.

Liebevoll begleiten Svenja und Sascha Meier ihren Sohn Mattis. Foto: Meier

Mattis ist dreieinhalb Jahre alt. Ihm bleibt nicht viel Lebenszeit. Seine Eltern Svenja und Sascha Meier gehen liebevoll mit ihm durchs Leben. Aber sie versuchen auch, auf den Abschied vorbereitet zu sein.

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Von Grit Klempow
Montag, 15.12.2025, 05:45 Uhr

Hagenah. Gleich zwei Mal innerhalb weniger Wochen geriet das Leben von Svenja und Sascha Meier aus den Fugen. Vor Freude, als ihr Sohn Mattis am 25. April 2022 zur Welt kam. Ihr Wunschkind. Und nur zehn Wochen später wieder, vor Sorge. Mattis wirkte abwesend, wollte nicht mehr trinken. Für Svenja und Sascha Meier begann mit dieser ersten Fahrt ins Elbe Klinikum, dem Verdacht auf einen Stoffwechseldefekt und die Überweisung zu Spezialisten eine Odyssee.

Den Eltern hat sich diese Zeit eingebrannt. Der Arzt, der ihnen später den ersten Verdacht als vermeintliche Diagnose „um die Ohren gehauen hat“, sagt Svenja Meier. „Das war übel“, sagt ihr Mann.

Die Sorge wird zur Gewissheit

Wenige Tage später der Komplett-Check und Entwarnung. Die Eltern waren erleichtert. Sie wurden entlassen, „mit einem relativ gesunden Kind“, sagt Sascha Meier. „Wir bekamen den Hinweis, dass er entweder gesund ist oder etwas ganz anderes hat“, sagt Svenja Meier.

Mattis trank gut, er konnte mit vier Wochen seinen Kopf in Bauchlage halten. Gute Zeichen nähren die Hoffnung. Im August 2022 hatte Mattis einen Krampfanfall. Ein neuer Verdacht, aber keine Bestätigung. Ein Gentest ließ die Sorge um Mattis zur Gewissheit werden. Ihr Sohn hat das Menkes-Syndrom.

Seltene Erkrankung

„Am 12. September 2022 hatten wir den Termin bei der Humangenetik“, sagt Svenja Meier. Natürlich hat sie das Datum im Kopf. Das Menkes-Syndrom ist eine Kupferstoffwechselstörung, die immer wieder kleine Krampfanfälle verursacht. Eine seltene Erkrankung. Nach Schätzungen sind etwa drei bis vier Neugeborene pro Jahr in Deutschland betroffen.

Das Syndrom wird über die Mutter vererbt - meistens an Söhne. Wie hätte sie es wissen sollen? In ihrer Familie sind keine Fälle bekannt. „Es ist ein Defekt am X-Chromosom. Ich kann den ausgleichen“, sagt Svenja Meier. „Mattis nicht.“

Jeder Krampfanfall hinterlässt Spuren

Es sind immer wieder kleinere Krampfanfälle, die Mattis zu schaffen machen, sogenannte Myoklonien. „Das sind kleine Muskelzuckungen, als ob er sich erschrecken würde“, sagt Svenja Meier. Jeder Krampfanfall hinterlässt Spuren, schädigt das Gehirn.

Das Leben mit Mattis‘ Diagnose ist Alltag geworden. Alltäglich ist es nicht. „Jeder Tag ist eine Herausforderung“, berichtet Svenja Meier. Aber zwischen Arztterminen und Therapien „versuchen wir, ihm so viel Liebe wie möglich zu schenken und schöne Erinnerungen zu sammeln.“ Mit der medizinischen Betreuung am UKE in Hamburg fühlen sich Meiers gut aufgehoben.

Mattis Meier ist dreieinhalb Jahre alt. Ihm bleibt nicht viel Zeit. Seine Eltern begleiten ihn liebevoll durchs Leben.

Mattis Meier ist dreieinhalb Jahre alt. Ihm bleibt nicht viel Zeit. Seine Eltern begleiten ihn liebevoll durchs Leben. Foto: Meier

Im September letzten Jahres zog die Familie zum ersten Mal ins Kinderhospiz. Ein Entlastungsurlaub. „Ich habe schon lange nicht mehr so viel gelacht wie in der Woche“, sagt Svenja Meier. Die Kinder haben lebensverkürzende Krankheiten, „die Eltern gehen doch alle den gleichen Weg“, sagt sie. Das verbindet.

Die Frage nach dem Abschied

Im vergangenen Jahr fürchteten sie, Mattis könnte es nicht schaffen. Er neigt zu häufigen Infekten und einer starken Sekretbildung, die ihm das Atmen schwer macht. Vier Wochen war er mit einer schweren Lungenentzündung im Krankenhaus. „Da habe ich zum ersten Mal gedacht, ich muss ohne ihn nach Hause fahren“, beschreibt Svenja Meier ihre Angst. Es war knapp, aber Mattis hat es noch einmal geschafft. Und plötzlich war sie da, diese Frage: „Wie bestatten wir unser Kind?“

Meiers haben darauf eine Antwort gefunden. Deshalb steht der zu Herzen gehende Wunsch nach einem Baum im Friedwald in ihrem Spendenaufruf. Sie haben mit sich gerungen, den Aufruf zu starten, aber: „Wir haben keine Reserven mehr“, sagt Svenja Meier. „Ich weiß gar nicht, wie andere das schaffen“, ergänzt Sascha Meier. Er arbeitet in der IT einer Hamburger Bank. Sie kommen finanziell eigentlich klar, aber jetzt ist es zu viel geworden. Wie sie das benötigte behindertengerechte Auto anschaffen sollen, steht in den Sternen.

Umzug nach Hagenah

Das bräuchten sie eigentlich nach ihrem Umzug. Sie hatten ihr Reihenhaus in Stade 2020 kernsaniert - aber die vielen Ebenen und noch mehr Stufen machten den Alltag mit Mattis‘ Pflege unmöglich. Meiers zogen in einen Bungalow nach Hagenah und bauten behindertengerecht um. „Wir haben viel stemmen können“, sagt Sascha Meier. Die Rücklagen sind aufgebraucht. Einen Baum im Friedwald zu erwerben, vorbereitet zu sein - „es wäre eine Sorge weniger“, sagt Sascha Meier.

Hinter dem Spendenaufruf steckt ein leiser Appell, es Familien in ihrer Situation nicht noch schwerer zu machen. Mal ist das Gesundheitsamt, im Kindergarten das Sozialamt zuständig. Manchmal könnte es vielleicht einfacher sein. Dann müsste der Antrag auf einen Therapiestuhl, auf ein Pflegebett oder einen zweiten Reha-Buggy nicht ein zweites Mal begründet werden.

Kämpfe um Unterstützung

Andere würden schneller unterstützt, ist ihr Eindruck. „Wir sehen, dass sogenannte Stammkunden des Sozialamtes häufig schneller die dringend benötigte zweite Versorgung oder Ausstattung erhalten“, meint Sascha Meier. „Und wir? Wir kämpfen seit Monaten darum. Warum ist das so?“ Es frustriere sie, immer wieder erklären zu müssen, dass Mattis‘ Bedarf wachse – so wie jedes Kind wächst.

Mattis ist so groß wie gesunde Dreijährige. Seit der Kinder-Intensivpflegedienst Flügelchen ins Haus kommt, kann Svenja Meier wieder 20 Stunden in der Woche arbeiten und die Eltern können mal wieder etwas als Paar unternehmen. Ein Stück Normalität.

Denn Großeltern und Familie können kaum unterstützen. Das sei keine böse Absicht, eher Unsicherheit und Berührungsängste im Umgang mit Mattis. „Sie haben Angst, etwas falsch zu machen.“ Aber es bedeutete auch, dass die Eltern nahezu jede Stunde des Tages alleine stemmen mussten. Jetzt wissen sie Mattis bei Flügelchen in guten Händen.

Ein Baum im Friedwald

Mattis besucht den heilpädagogischen Lebenshilfe-Kindergarten in Stade. „Er ist da schon derjenige, der am meisten eingeschränkt ist“, sagt seine Mama. Durch seine Muskelschwäche kann er nicht sitzen, nicht laufen, nicht sprechen. „Und doch zeigt er uns jeden Tag auf seine eigene Weise, wie stark er ist und wie viel Liebe in ihm steckt.“ Sascha Meier hat einen trockenen Humor. Er und seine Frau lachen trotz aller Sorgen viel.

„Für uns soll der Baum im Friedwald ein Ort sein, an dem wir zur Ruhe kommen, Kraft schöpfen und irgendwann wieder als Familie vereint sein können“, sagen sie.

Kinder mit Menkes-Syndrom werden im Durchschnitt zwischen sieben Monate und drei Jahre alt. „Das ist sehr individuell“, sagt Sascha Meier. Mattis ist jetzt dreieinhalb Jahre alt. Für Meiers, die ihren Sohn liebevoll durchs Leben begleiten, kommt das schwierigste Stück des Weges noch.

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