Zähl Pixel
Schleuserprozess

TNeues Gutachten: 24-jährige Angeklagte ist nicht verhandlungsfähig

Angeklagt, aber nicht verhandlungsfähig: Die 24-Jährige fiel seit Beginn des Prozesses mit Ausbrüchen auf.

Angeklagt, aber nicht verhandlungsfähig: Die 24-Jährige fiel seit Beginn des Prozesses mit Ausbrüchen auf. Foto: Helfferich

Im Prozess vor dem Stader Landgericht gegen eine fünfköpfige Schleuserbande wird das Verfahren gegen eine 24-jährige Angeklagte abgekoppelt und der Haftbefehl ausgesetzt. Eine sachliche Kommunikation mit der Angeklagten sei derzeit nicht möglich.

author
Von Susanne Helfferich
Dienstag, 23.07.2024, 05:50 Uhr

Stade. Die 24-Jährige beschäftigte von Anfang an mit dauerhaftem Reden und unkontrollierbaren Ausbrüchen alle Beteiligten des Mammutprozesses. Immer wieder musste das Verfahren unterbrochen, die Angeklagte ermahnt oder zeitweise ausgeschlossen werden. Schließlich hatte die 4. Große Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Reinecker entschieden, ein psychiatrisches Gutachten einzuholen.

Verhandlungsauftakt war am 11. Juni vor der 4. Großen Strafkammer. Angeklagt sind drei Frauen und zwei Männer. Sie sollen sich zu einer Bande zusammengetan haben und zwischen März 2021 und September 2023 illegal und gegen Bezahlung Menschen auf unterschiedlichen Wegen nach Deutschland geholt haben. Dabei sollen sie immer wieder dieselben Ausweispapiere verwendet haben, teilweise manipuliert. Auf 31 Fälle kommt die Anklage. Insgesamt soll die mutmaßliche Bande mehr als 300.000 Euro eingestrichen haben. Um das zu klären, waren 50 Verhandlungstage bis Ende des Jahres angesetzt.

Federführend soll eine 49-jährige Mutter von sieben Kindern gewesen sein. Zwei ihrer Kinder, die 24-jährige Tochter und der 28-jährige Sohn, sind mitangeklagt. Außerdem wird ein älteres Ehepaar, 43 und 51 Jahre alt, beschuldigt. Das Gericht hatte bisher versucht, mit der Staatsanwaltschaft und den jeweiligen Verteidigern Verständigungsgespräche zu führen. Bei solchen Gesprächen geht es um das zu erwartende Strafmaß im Fall eines Geständnisses. Bisher ohne Erfolg.

Angeklagte wird erneut aus Gerichtssaal geführt

Bestimmend blieb das Verhalten der 24-Jährigen. Nach einer ersten Begutachtung, die zunächst die Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten nicht ausgeschlossen hatte und bei weiterer Beobachtung des Prozesses revidiert wurde, beauftragte die Kammer den forensischen Psychiater und Rechtsmediziner Harald Schmidt mit einem erneuten Gutachten.

Schmidt bestätigte, dass eine sachliche Kommunikation mit der 24-Jährigen derzeit nicht möglich sei. Ihre Äußerungen seien nicht sinnhaft, sondern wahnhaft bis hin zu Verschwörungstheorien. Und wie auf Stichwort steht die Angeklagte auf und ruft: „Dieser Mann hat Gesicht.“ Zwei Justizmitarbeiter versuchen, sie zu beruhigen, doch sie steigert sich weiter rein, schlägt auf den Tisch und ist nicht zu beruhigen. Oberstaatsanwalt Kai-Thomas Breas beantragt, sie aus dem Gerichtssaal zu führen. Nach kurzer Beratung folgt die Kammer dem Antrag. Die 24-Jährige wird gegen ihren Willen weggeführt.

Zweiter Gutachter erkennt drastische Störungen

Harald Schmidt berichtet anschließend von dem Begutachtungsgespräch in der JVA. Zeitweise sei es möglich gewesen, die Angeklagte durch energische Ansprache punktuell zu fokussieren, doch sei sie immer wieder abgeschweift. Immer wieder sei sie in stereotype Verhaltensmuster zurückgekehrt. Er habe sie nicht länger als fünf Minuten fokussieren können. „Wenn ein Mensch nicht sinnhaft kommunizieren kann, ist er nicht verhandlungsfähig“, sagt er.

Der Psychiater geht von einer Anpassungsstörung aufgrund drastischer Veränderungen aus. Es gebe ein Bündel von Belastungselementen: Die 24-Jährige habe eine Flucht hinter sich, wurde inhaftiert, ihre älteren Kinder sind in Obhut genommen worden und das jüngste wurde in der Haft entbunden. Es gebe eine strenge Kausalbeziehung: Ohne diese Erfahrungen wäre diese Erkrankung nicht eingetreten, so Schmidt auf Nachfrage von Verteidiger Hartmut Pawlitzki, er gehe davon aus, dass sich der Zustand verbessert, wenn sie nicht mehr inhaftiert ist.

Schließlich folgte die Kammer dem Gutachten und stellte für den aktuellen Zeitpunkt die Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten fest, da eine sachgemäße Kommunikation nicht möglich sei. Das Gericht entschied, das Verfahren gegen die 24-Jährige abzutrennen und den Haftbefehl vorläufig auszusetzen. „Der Vollzug der U-Haft ist nicht sinnvoll, da sie Anlass der bestehenden Erkrankung ist“, so die Vorsitzende. Der Prozess wird am 31. Juli ohne die junge Frau fortgesetzt.

Weitere Artikel