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TOhne Träumerei: Wie junge Schiris den Sprung in höhere Ligen schaffen

Calvin Meglin bei seinem Einsatz in Hedendorf gegen den FC O/O, es war ein umkämpftes Derby, das den jungen Schiri und seine Assistenten einige Male herausforderte.

Calvin Meglin bei seinem Einsatz in Hedendorf gegen den FC O/O, es war ein umkämpftes Derby, das den jungen Schiri und seine Assistenten einige Male herausforderte. Foto: Schmietow

Der 16-jährige Calvin Meglin pfeift schon in der Bezirksliga: So funktioniert der Aufstieg im Schiedsrichterwesen bis nach oben - mit Tipps von Bundesliga-Schiri Deniz Aytekin.

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Von Lars Wertgen
Samstag, 06.09.2025, 07:50 Uhr

Wiepenkathen. Es ist Sonntag, 15 Uhr im Sportpark Fischerhude. Der TSV Fischerhude-Quelkhorn empfängt die U23 des Rotenburger SV. 22 Männer warten darauf, dass Calvin Meglin die Saison eröffnet. Der 16-Jährige ist der einzige Jugendliche auf dem Feld.

Der Schiedsrichter pfeift sein erstes Spiel in der Bezirksliga. Der Schüler ist aufgeregt. Er pfeift an, die Nervosität verfliegt sofort. „Ich war sofort konzentriert“, sagt er. Meglin ist direkt angekommen – aber nicht, um zu bleiben.

Erste Spiele nur zu Hause

Seit er drei ist, spielt Meglin beim TSV Wiepenkathen. Als 12-Jähriger will er Fußball aus einer anderen Perspektive kennenlernen. Yannick-Fynn Blattner inspiriert ihn. Blattner pfeift mittlerweile in der Jugend-Regionalliga.

Meglin schaut dessen Spiele. Ihn interessieren nicht die Teams, sondern Schiri Blattner - und Meglin sagt sich: „Das will ich ausprobieren.“

Es folgt der schnelle Schritt in die Praxis: Meglin meldet sich zum Anwärterlehrgang an, absolviert die Prüfung und wird 2022 mit 13 Schiedsrichter.

Im ersten Jahr pfeift er nur Jugendspiele seines Heimatvereins, später kommt er häufig als Assistent zum Einsatz.

Sein erstes Spiel als angesetzter Schiedsrichter: C-Juniorinnen in Apensen. „Ich war natürlich aufgeregt, aber weil ich wusste, was mich erwartet, hat es viel Spaß gemacht“, sagt Meglin.

Platzsturm in der Kreisliga

Die erste Delle lässt nicht lange auf sich warten. In einer Kreisliga-Partie der A-Jugend kommt es zu einer Rudelbildung, Zuschauer stürmen den Platz. „Das hat einen schon mitgenommen“, sagt Meglin. Er hinterfragt sich sofort.

Vor Ort sind zwei erfahrene Schiedsrichterkollegen. Sie sagen ihm, er hätte nicht viel ändern können. „Das zu hören, tat gut“, sagt Meglin. Der Zuspruch schärft seine innere Haltung.

Fünf Gelbe beim Debüt

Intern fällt Meglin früh auf: „Calvin ist in jungen Jahren schon sehr reflektiert und versucht, ein Spiel wann immer möglich mit Persönlichkeit und persönlicher Ansprache zu leiten, bevor er das Mittel der persönlichen Strafe einsetzt“, sagt sein Coach Jonas Mirbach.

Schnell trauen sie ihm Herrenspiele zu und nach zahlreichen positiven Beobachtungen meldet ihn der Kreis-Schiedsrichter-Ausschuss für den Bezirk Lüneburg. Meglin absolviert zusätzliche Regeltests und den Helsen-Test, eine sehr intensive Laufprüfung.

Sein Bezirksliga-Debüt ist dankbar. Rotenburg gewinnt deutlich, Meglin zeigt fünf Gelbe Karten. Er ist zufrieden, auch wenn er immer Dinge finde, die er besser machen könne.

„Ihm fehlt es sicher noch, wie sollte es auch anders sein, an Erfahrung. Zum Beispiel muss er lernen, dass es nicht jeder Spieler gut mit ihm meint und viele versuchen, für sich den größtmöglichen Vorteil herauszuholen“, weiß Mirbach.

Mit Top-Noten nach oben

Für Meglin zählt nun ein beobachtungsbasiertes System: Schiedsrichter-Beobachter vergeben nach standardisiertem Bogen Noten für Regelkunde, Spielführung, Auftreten und Fitness – diese Bewertungen steuern die Einstufung von Meglin und können die Tür zum Verband öffnen.

Jedes Jahr stehen Pflichtchecks an: ein Lauftest und ein schriftlicher Regeltest; die Ergebnisse fließen direkt in die Einstufung der nächsten Saison ein.

Liefert Meglin über längere Zeit Top-Noten, meldet der Bezirks-Schiedsrichterausschuss ihn für die Verbandsschiedsrichterliste. Anschließend folgen weiterführende Lehrgänge, engmaschigere Beobachtungen und Ansetzungen in Landes- und Oberliga.

Calvin Meglin bei einem Einsatz auf Kreisebene.

Calvin Meglin bei einem Einsatz auf Kreisebene. Foto: Berlin

Leistung schlägt Alter

Auch als 17- oder 18-Jähriger kann Meglin bei nachgewiesener Eignung in höheren Ligen angesetzt werden, sofern Fitness und Regelarbeit stimmen.

Der Unterschied zur Bezirksebene: Auf Verbandsebene steigen Tempo, taktische Komplexität und Bewertungsdichte – die Fehlertoleranz ist geringer, konstante Leistungen unter Druck werden noch strenger eingefordert. Nur wenige schaffen pro Saison den Sprung in die Regionalliga.

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Spieler riechen Unsicherheit

Calvin Meglin ist nicht frei von Fehlern. Natürlich nicht. Ihm passieren auch schlechte Pfiffe. Die müsse man direkt vergessen. „Wenn man noch an eine Situation von vor fünf Minuten denkt, verpasst man die nächste“, sagt Meglin. Nach dem Spiel hat er genügend Zeit, nachzudenken.

Dass Meglin als Jugendlicher Partien von Erwachsenen leitet, eckt bei den Spielern nicht an. „Man hat mich noch nie wegen meines Alters angemacht“, sagt er. „Er tritt deutlich reifer und charakterstärker auf, als es sein Alter vermuten lässt“, erklärt Hammann. Er setzt für den NFV-Kreis Stade die Jung-Schiedsrichter an.

Andere Talente haben es schwieriger

Spieler testen Grenzen, wenn ein Schiedsrichter unsicher wirkt. „Das lässt sich aber nicht am Alter festmachen, sondern betrifft auch ältere Schiedsrichter“, so Hammann. Persönlichkeit, Kommunikation und Handlungsschnelligkeit seien entscheidend.

Damit das gut gelingt, führen die Verantwortlichen junge Schiedsrichter vorsichtig heran. Sie pfeifen erst Jugend- und Frauenspiele, holen sich Erfahrung als Assistenten und werden in Patenprogrammen begleitet. „Darüber lernen sie viele Skills und wie sie es schaffen, Probleme zu verhindern.“ Erst wer eine gewisse Reife und Erfahrung mitbringt, wird in Herrenspielen eingesetzt.

Die Eigenschaften hat Calvin Meglin bereits erlernt und spürt sie im Alltag: „Ich bin selbstbewusster und offener. Mir fällt es nicht mehr so schwer, mit Fremden zu reden. Ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen.“

Deniz Aytekin gilt als der wohl beste Schiedsrichter Deutschlands.

Deniz Aytekin gilt als der wohl beste Schiedsrichter Deutschlands. Foto: Bernd Thissen/dpa

Karriere-Tipps von Deniz Aytekin

Von der Bundesliga will er nicht träumen. „Das zu schaffen, ist sehr schwierig.“ Er wolle erst einmal in der Bezirksliga gute Spiele machen und alles komme dann, wie es kommen soll.

Der Weg scheint allerdings vorgezeichnet, und damit es klappt, hat Deniz Aytekin Tipps: „Langfristiger Erfolg kommt durch Disziplin“, sagt Deutschlands Top-Schiedsrichter dem TAGEBLATT. Viele würden bei Rückschlägen zu früh aufgeben.

Und wenn Spieler, Trainer oder Zuschauer über die Stränge schlagen: „Der Spaß und die Leidenschaft an dem Hobby sollten langfristig überwiegen.“ Er erinnert sich an den eigenen Start: „Ich habe permanent gepfiffen, mehrere Spiele am Wochenende.“ Viel Erfahrung, schnell gelernt.

Beherzigt Meglin das, hört er seinen Lieblingssatz nach Spielen sicher noch häufiger: „Gut gepfiffen, gerne beim nächsten Mal wieder.“

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