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Corona

TPhantom-Debatte oder ernsthafte Erkrankung? Ärzte berichten über Long Covid

Was viele Long-Covid-Betroffene erst einmal akzeptieren müssen: Auch kleine Aufgaben im Haushalt kosten viel Energie.

Was viele Long-Covid-Betroffene erst einmal akzeptieren müssen: Auch kleine Aufgaben im Haushalt kosten viel Energie. Foto: Annette Riedl

Selbst einfache Tätigkeiten werden zu viel: Ist Long Covid eine ernsthafte Erkrankung oder eine Phantom-Debatte? Vier Ärzte aus der Region sagen jetzt, was mittlerweile über die Corona-Spätfolgen bekannt ist.

Von Denise von der Ahé Dienstag, 12.03.2024, 10:30 Uhr

Bremerhaven. Verstärkte Kurzatmigkeit, enorme Erschöpfung, starker Haarausfall: Seitdem sie vor anderthalb Jahren heftig an Corona erkrankte, leidet eine 63 Jahre alte Bremerhavenerin an den Spätfolgen. „Meine Ärztin sagte mir, dass Covid die Lungenfunktion beeinträchtigen und als Katalysator für bis dahin nicht so massiv zutage getretenes Asthma bronchiale und die Lungenkrankheit COPD wirken kann“, sagt die Long-Covid-Patientin. „Laut Hautarzt kann Covid Gefäße im ganzen Körper zerstören, auch zuweilen die haarfeinen der Kopfhaut“, sagt die Frau, die erkennbar belastet ist.

Damit nicht genug: „Der Kardiologe hat als Auswirkung der Corona-Infektion eine Herzmuskelentzündung festgestellt.“ Trotzdem lässt sie sich nicht unterkriegen: „Ich lebe damit. Hilft nichts.“ Die Nordsee-Zeitung hat zwei Allgemeinmediziner und zwei Lungenfachärzte befragt, was mittlerweile über die Spätfolgen von Corona bekannt ist.

Wie häufig kommt Long Covid vor?

Aktuell berichten etwa 10 bis 20 Prozent aller Covid-Patienten über bleibende Symptome nach der primären Infektion, so der Infektiologe Professor Tobias Welte von der Medizinischen Hochschule Hannover. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Infektionszeitpunkt nehme die Anzahl der noch symptomatischen Patienten ab. Er geht davon aus, dass nach mehr als zwölf Wochen noch ungefähr zwei Prozent der Patienten betroffen sind.

In den Arztpraxen gibt es durchaus Unterschiede. „Ich behandele zurzeit nicht einen einzigen Patienten mit Long Covid“, sagt Hausärztin Dr. Birgit Lorenz. „Ich hatte eine Patientin, die in der Pflege arbeitet und sich in der ersten Covid-Welle infiziert hatte. Sie hatte ein Jahr lang mit Folgesymptomen zu tun und ist inzwischen genesen. Insgesamt scheinen solche Betroffenen viel seltener zu sein, als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach denkt.“

Dr. Jan Helge Kurschel, Allgemeinmediziner und neuer Bezirksstellenvorsitzender der Ärztekammer Bremerhaven, versorgt derzeit fünf Long-Covid-Fälle von insgesamt 5000 Patienten im Patientenstamm seiner Praxis. Seine Erfahrung: „Da ein Test zum Nachweis eines Long- oder Post-Covid-Syndroms nicht existiert, ist die Einschätzung rein subjektiv und nur durch die Aussagen des Patienten selbst zu belegen.“

Er hält die Bezeichnung Long Covid für schwierig: „Es ist davon auszugehen, dass zum jetzigen Zeitpunkt nahezu jeder Mensch Kontakt mit dem Virus hatte. Deshalb ist eine Unterscheidung, ob Symptome einer Erkrankung durch die Virusinfektion bedingt oder unabhängig davon entstanden sind, allenfalls durch eine zeitliche Korrelation zu vermuten. Beweisen kann man das nicht. Da sich die Therapie nur an den Symptomen orientiert, ist die jetzige Diskussion über Long-/Post-Covid-Syndrome wissenschaftlich sicherlich spannend, für die ärztliche Praxis aber nicht hilfreich.“

Ist Long Covid Panikmache oder eine ernste Erkrankung?

„Ich nehme Long- und Post-Covid sehr ernst“, sagt Dr. Lina Liem-Busch, Lungenfachärztin im Ameos-Poliklinikum in Bremerhaven. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die beiden Begriffe synonym verwendet. Die Leitlinien für Mediziner bezeichnen Beschwerden, die länger als einen Monat andauern, als Long Covid. Von Post Covid spricht man, wenn diese nach drei Monaten noch nicht abgeklungen sind. Der Einfachheit halber sprechen wir in diesem Artikel von Long Covid.

„Weil noch vieles unklar und Long Covid eine Ausschlussdiagnose ist - ohne laborchemischen Nachweis -, kann die Therapie für Behandler und Patienten herausfordernd sein“, sagt Liem. Eine Studie mit Patienten, die keine Corona-Infektion durchgemacht haben, aber dennoch unter den gleichen Symptomen wie extremer Erschöpfung leiden, erschwere die Lage. „Unbedingt notwendige, aber nicht ausreichende Therapiekapazitäten, wie zum Beispiel in Psychotherapie und Physiotherapie sowie Rehakliniken, erschweren Patienten einen Zugang zu notwendigen Therapien“, sagt Liem. Bei einigen Patienten könne die Covid-Infektion zu einer Erstdiagnose einer Erkrankung oder vorübergehenden Verschlechterung der chronischen Erkrankungen führen. „Es gibt aber auch Patientinnen, die vorher fit und sportlich waren, und jetzt unter Long Covid leiden“, sagt die Ärztin.

Was sind typische Symptome?

Die Wahrscheinlichkeit, Long Covid zu bekommen, sei geringer, wenn man geimpft sei, sagt der Bremer Lungenfacharzt Dr. Hans Jörg Baumann. „Wen es doch erwischt, der entwickelt vor allem eine deutliche Mattigkeit, das Fatigue-Syndrom. Auch kleine Tätigkeiten im Haushalt bedeuten für die betroffenen Patienten eine Höchstleistung.“ Wer sich trotz dieser starken Erschöpfung zu Aktivitäten zwinge, weil zum Beispiel die Kinder versorgt werden müssen, bekomme schnell ein „Post-Exertional Malaise“, das heißt: Die Symptome verschlimmern sich nach der Anstrengung. „Nach einer banalen Anstrengung erfordert es eine unangemessen lange Erholungsperiode von zwei bis drei Tagen“, sagt Baumann. „Die Leute fallen in ein tiefes Loch.“

Die psychische Komponente mache es schwer: Weil man das Leiden den Menschen nicht direkt ansehe, führe das in der Gesellschaft schnell zu Missverständnissen. Das wiederum verstärke den Leidensdruck für die Patienten.

Weitere Symptome von Long Covid können zum Beispiel lang anhaltender Husten und Luftnot sein. Man dürfe jetzt aber auch nicht alle Beschwerden mit Long Covid etikettieren, warnt Baumann. Das sei zum Glück nicht mehr so oft der Fall wie zu Beginn der Pandemie.

Wie wird Long Covid diagnostiziert und behandelt?

„Einen laborchemischen Nachweis für Long Covid gibt es nicht“, sagt Baumann.

Daher seien für die Diagnostik intensive Gespräche mit den Patienten erforderlich. Bei Symptomen wie Kurzatmigkeit wird die Lungenfunktion untersucht. Oft wird auch ein Röntgenbild von der Lunge gemacht. „Einigen Patienten hilft eine Physiotherapie, die neben dem Pacing Atemtechniken, Atemübungen oder Entspannungstechniken vermitteln kann“, weiß Liem. „Ergänzend sind eine intensive psychosomatische Betreuung, Psychotherapie und gegebenenfalls auch Rehabilitation Therapieoptionen.“

Baumann setzt vor allem auf das Pacing, das Patienten zum Beispiel in den auf Long Covid spezialisierten Rehakliniken lernen. Patienten trainieren, die von der Erkrankung vorgegebenen individuellen Belastungsgrenzen durch Energiemanagement einzuhalten. Häufig kämen die Patienten aus Rehakliniken zurück und berichteten, dass sich die Beschwerden verbessert hätten.

Was ist das Bremer Long-Covid-Netzwerk?

Baumann gehört dem Bremer Long-Covid-Netzwerk aus Fachärzten, Physio- und Ergotherapeuten, Kassen und Rentenversicherungen an. Ziel ist, Patienten schnell an zuständige Stellen weiterzuleiten. Baumann berichtet, dass die Nachfrage inzwischen gering ist. Sie war am Anfang der Pandemie deutlich höher, aber da gab es die Strukturen noch nicht.

Dennoch behandelt Baumann einige Long-Covid-Patienten: „Es sind wenige, aber die sind wirklich stark belastet. Ich hatte schon zwei tragische Fälle. Die Patienten haben länger als ein Jahr gebraucht, um den ersten Arbeitsversuch starten zu können.“ Wer sofort über die Grenzen gehe, könne leicht scheitern.

Können die Patienten Hoffnung haben?

„Ich mache immer Hoffnung“, sagt Liem. „Den meisten Long-Covid-Patienten geht es im Verlauf besser.“

Liem motiviert Patienten, auf keinen Fall aufzugeben und eine positive Grundhaltung zu bewahren. Entscheidend sei eine gute Begleitung. Natürlich sei das wegen des Fachkräfte- und Zeitmangels „eine echte Herausforderung“. Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt, der bei Bedarf an Fachärzte überweist.

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