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T„Politisches Konjunkturprogramm“ für Rechte: Stefan Aust rechnet ab

Stefan Aust, Journalist und Buchautor, führte bei der AGV-Versammlung in Bremervörde eine lange Mängelliste für den deutschen Staat auf.

Stefan Aust, Journalist und Buchautor, führte bei der AGV-Versammlung in Bremervörde eine lange Mängelliste für den deutschen Staat auf. Foto: Klöfkorn

Wie geht es Deutschland 2025? Der Stader Journalist Stefan Aust findet dafür deutliche Worte, die einer Abrechnung mit den politisch Verantwortlichen gleichkommen.

Von Rainer Klöfkorn Donnerstag, 22.05.2025, 09:50 Uhr

Bremervörde. Die Zustandsbeschreibung des Deutschland von 2025 geriet zu einer Abrechnung mit den dafür politisch Verantwortlichen: Auf Einladung des Arbeitgeberverbandes (AGV) Stade Elbe-Weser-Dreieck sprach der Journalist und Autor Stefan Aust im voll besetzten Saal des Bremervörder Hotel Daub über die aus seiner Sicht langjährigen Fehlentwicklungen, zurückzuführen auf eine parteiübergreifend inkompetente Politik. Austs Hoffnung: Dass die neue Koalition endlich die Realitäten anerkenne und daraus die notwendigen Lehren ziehe.

Geboren in Stade und Abi am Athenaeum

Eine umfangreiche Vorstellung des Referenten konnte sich AGV-Vorsitzender Dr. Michael Schröder sparen. Aust, geboren in Stade, wo er am Athenaeum sein Abitur machte, gehört seit Jahrzehnten zu den profiliertesten und einflussreichsten Journalisten Deutschlands. Die Liste seiner Tätigkeiten ist lang. Unter anderem war er Chefredakteur vom „Spiegel“ und von „Spiegel TV“, Herausgeber der Tageszeitung „Die Welt“ sowie Autor von Büchern über die Rote Armee Fraktion (RAF). Journalisten müssten „nüchterne Beobachter am Rande der Geschichte“ sein und keine Aktivisten, beschrieb Aust seine berufliche Einstellung.

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In seiner Zeit bei „Spiegel TV“ fielen der Mauerfall und die gravierenden Veränderungen im Osten. An die Wiedervereinigung habe er 1989 nicht geglaubt. Er habe sich einfach nicht vorstellen können, dass die Sowjetunion auf einen großen Teil ihres Machtbereiches verzichten werde. Deshalb sei er auch nicht überrascht gewesen, dass Putin den geplanten Beitritt der Ukraine zur Nato als Übertreten einer Roten Linie betrachtete. Der 24. Februar 2022 sei ein Tag des bösen Erwachens gewesen.

Stefan Aust (links) und AGV-Vorsitzender Dr. Michael Schröder.

Stefan Aust (links) und AGV-Vorsitzender Dr. Michael Schröder. Foto: Klöfkorn

Auf „Gas von Putins Gnaden“ angewiesen

Schon vor dem Überfall auf die Ukraine sei es für Deutschland hochriskant gewesen, sich bei der Gaslieferung von einem einzigen Lieferanten abhängig zu machen. Aber für die teuren und zugleich ineffektiven und unsicheren erneuerbaren Energien seien große Mengen von russischem Gas notwendig gewesen.

Aust ironisch: Das Erneuerbare bei den „Erneuerbaren“ sei „das Gas von Putins Gnaden“ gewesen. Zudem wurden Kernkraftwerke abgestellt und die politisch-ideologische und übereilte Energiewende eingeleitet nach dem Motto: „Am deutschen Wesen sollte immer noch die Welt genesen.“ Mit der Folge, dass die Abhängigkeit von China immer größer werde.

Kritische Haltung gegenüber der Windkraft

Vor den AGV-Mitgliedern und Gästen machte der Journalist keinen Hehl aus seiner Skepsis gegenüber dem menschengemachten Klimawandel („Eine neue Religion, die anzuzweifeln der Gotteslästerung nahekommt“). Schon 1974 formulierte er im „Spiegel“ seine Bedenken gegenüber den hohen Erwartungen in die Nutzung der Windkraft. 50 Jahre später sieht er sich bestätigt. Seit Monaten, so Aust, produzierten die Anlagen extrem wenig Energie.

Falsch sei die Annahme, die Demokratie aufgrund der russischen und chinesischen Bedrohung gefährdet zu sehen. In Gefahr sei sie vielmehr, weil sie ihre eigenen Verheißungen nicht mehr erfülle. Beispiele aus Sicht des 78-Jährigen gibt es viele, wie die Diskussionen über Bürgergeld und Vier-Tage-Woche sowie die staatliche Subventionierung von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO), die er am liebsten ersatzlos streichen würde. Unverständlich ist für Aust auch, dass die Deutschen Waffen in die Ukraine lieferten und gleichzeitig eine hohe Zahl ukrainischer Kriegsdienstverweigerer durch Bürgergeld subventionierten.

Aust kritisiert „De-facto-Abschaffung“ der Bundeswehr

Als einen „gewaltigen Fehler“ in seiner umfangreichen Mängelliste bezeichnete Aust die Aussetzung der Wehrpflicht. Sie komme einer „De-facto-Abschaffung“ der Bundeswehr gleich und sei ein horrender Eingriff in die Sicherheit und Stabilität des Landes. Deutschland dürfe nicht nur „bedingt abwehrbereit“, sondern müsse unbedingt verteidigungsfähig sein. Es gehe um nichts weniger als die Verhinderung eines Krieges.

Der früheren Kanzlerin Angela Merkel bescheinigte der Journalist, mit ihrer Migrationspolitik ein „politisches Konjunkturprogramm“ für rechte Gruppen und Parteien geschaffen zu haben. Natürlich müssten politisch Verfolgte Asyl erhalten. Doch die unkontrollierte Zuwanderung zerstöre die humanitäre Verpflichtung, allzu viel des Gutgemeinten werde zum Feind des Guten. Viele arbeitende Menschen wollten nicht so recht einsehen, warum praktisch jeder Migrant Anspruch auf Aufnahme in den Sozialstaat Deutschland habe.

Große Hoffnung auf eine Veränderung der politischen Lage schien Aust nicht zu haben. Ob der neue Kanzler Friedrich Merz die Probleme des Landes einigermaßen in den Griff bekomme, werde sich zeigen. Stelle er sich jedoch der Realität, könnte das in der „Marienkäfer-Koalition“ zu weiteren Konflikten führen. Aust: „Vielleicht wird sich Merz dann an den ersten Wahlgang erinnern und sich fragen, warum er den zweiten riskiert hat.“

Durchaus interessantes Regierungsteam

Doch Aust verbreitete zumindest ein wenig Optimismus. Das von Merz zusammengestellte Team sei interessant und könnte - beispielsweise in den Problembereichen Wirtschaft und Energie - das Land auf den Boden der Realität zurückbringen. Statt teuren Illusionen hinterherzulaufen und sich ständig als Retter der Welt aufzuspielen.

Und dennoch: Es werde sich zeigen, ob die Deutschen dem Konkurrenzkampf mit den amerikanischen und asiatischen Industriegiganten mithalten könnten. Die Hauptgefahr bestehe darin, dass China auf dem Weg zur Weltmacht Nummer 1 sei. Zwar regiere in dem Land eine kommunistische Partei, aber das Wirtschaftssystem basiere auf dem Können der Bevölkerung und der Geschäftsleute. China sei stärker und aggressiver geworden, der Westen dagegen schwächer und zaghafter. „Es wird Zeit für eine Rückkehr zur Realität - auch zur Realpolitik“, zog Stefan Aust ein Fazit seiner Ausführungen.

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