TRaus aus der Obdachlosigkeit: Mike Junge hat es geschafft

Mike Junge war wohnungslos. Bei Lebensraum Diakonie wurde ihm geholfen. Jetzt arbeitet er dort als ehrenamtlicher Berater. Foto: Richter
Mal schlief er im Parkhaus, mal in einer Scheune: Der Stader Mike Junge war ein halbes Jahr obdachlos. Wieder eine Wohnung zu bekommen, war extrem schwierig. Jetzt hilft er anderen.
Stade. „Ich habe mich immer durchgeboxt“, sagt Mike Junge. Der 48-jährige Stader wohnte im Altländer Viertel, als er 2019 obdachlos wurde. Für ihn war klar, dass er auch damit allein klarkommen musste: „Ich habe bei Bekannten auf der Couch, aber auch oft auf der Straße übernachtet. Mal im Parkhaus, mal in einer Scheune.“
In Deutschland geht es Jahr für Jahr vielen Menschen so wie Mike Junge. Laut Statistischem Bundesamt waren zum Stichtag 31. Januar 2024 insgesamt 439.500 Menschen im Rahmen der Wohnungsnotfallhilfe durch die Kommunen oder in Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände untergebracht - 18 Prozent mehr als im Vorjahr.
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Ein Drittel aller Wohnungslosen sind nichtdeutscher Staatsangehörigkeit
In dieser Zahl sind aber nicht solche Menschen erfasst, die wie Mike Junge auf der Straße leben, provisorisch bei Verwandten oder Bekannten oder in Wohnwagen unterkommen. Sie alle gelten als wohnungslos, weil ihnen kein mietrechtlich abgesicherter Wohnraum zur Verfügung steht. Etwa ein Drittel aller Wohnungslosen sind nichtdeutscher Staatsangehörigkeit.
Für Mike Junge ging es nur noch ums Überleben, nachdem er seine Wohnung verlor: „Ich habe Flaschen gesammelt und geschnorrt.“ Jemand riet ihm irgendwann, sich eine Postadresse einzurichten, um Unterstützung vom Amt beantragen zu können. So kam er nach einem halben Jahr Obdachlosigkeit in die Bremervörder Straße zum Verein Lebensraum Diakonie, der Wohnungsnotfallhilfe leistet.
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Mike Junge hatte irgendwann keine Kraft mehr
„Man muss solche Hilfe auch annehmen können. Ich wollte das lange nicht“, sagt Junge. Es dauerte, bis er sich eingestehen konnte, dass er keine Kraft mehr hatte. Zum ersten Mal und von da an regelmäßig meldete er sich in der Stader Beratungsstelle des Vereins Lebensraum Diakonie.
Durch Zufall wurde bald ein Zimmer in der Dreier-WG im oberen Stock des Gebäudes frei, die der Verein für Notfälle zur Verfügung stellt. Erst war Mike Junge skeptisch, dann sagte er zu. Ein gute Entscheidung, sagt er heute: „Es gab WG-Dienste, wir haben zusammen gekocht. Das Leben wurde wieder normaler.“
Wenn Duschen nicht mehr selbstverständlich ist
Mit normal meint Mike Junge: ein WC und ein Bad zu haben, in dem er sich pflegen konnte; die Möglichkeit, sich selbst etwas zu kochen, und einen Rückzugsort, um zur Ruhe zu kommen. „Früher war ich im Haushalt nicht so strukturiert, aber jetzt klappt das“, berichtet er.
Heute lebt Junge in seiner eigenen Wohnung. Erst mietete der Lebensraum Diakonie sie für ihn an, nach drei Jahren wurde sie ihm als Hauptmieter übergeben. Junge arbeitet jetzt ehrenamtlich für den Verein, macht Telefondienst, erklärt Hilfesuchenden die Abläufe und genießt es, abends nach Hause zu kommen und sich aufs Sofa fallen zu lassen: „Da freue ich mich drauf. Das gibt mir Stärke.“

Das Team von Lebensraum Diakonie an der Bremervörder Straße berät Menschen in Wohnungsnotfällen. Von links: Matthias Lauer, Manfred Röder, Christina Jaismann, Mike Junge, Daniela Faber und Andrea Klefke. Foto: Richter
Das Sozialarbeiter-Team von Lebensraum Diakonie begleitet Menschen wie Mike Junge seit 40 Jahren. „Eigentlich ist das kein Anlass zur Freude“, sagt Geschäftsbereichsleiterin Daniela Faber aus Lüneburg, wo der Sitz des Vereins ist, der Beratungsstellen in mehreren Orten in Norddeutschland hat. In vier Jahrzehnten hat sich der Bedarf nicht verringert. Damals begann es mit einem Mitarbeiter, heute sind es vier.
Wohnungsnot ist als Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Nicht nur in den Metropolen. „Der Raum Stade gehört zu den hochpreisigen. 730 Euro Miete für ein möbliertes Zimmer - das zahlt hier zum Teil sogar das Jobcenter“, berichtet Sozialarbeiter Matthias Lauer. Eine wichtige Forderung des Vereins: Es müsste mehr sozialen Wohnungsbau geben.
Kaffee trinken, aufwärmen, duschen
„Da liegt einer an der Bushaltestelle. Können Sie da mal hinfahren?“ Solche Anrufe kommen vor, berichtet die Stader Teamleiterin Andrea Klefke. Die Beratungsstelle ist von Montag bis Freitag geöffnet.
Besucher können in Ruhe einen Kaffee trinken, Kontakte knüpfen, sich austauschen - und sich vor allem aufwärmen, duschen, Wäsche waschen, PC, Internet und Telefon nutzen oder Zeitung lesen.
Die Grundfinanzierung übernimmt das Landessozialamt. Im Auftrag der Stadt Stade hat das Lebensraum-Team mit 14 Wochenstunden die aufsuchende Arbeit in den städtischen Unterkünften und Hilfsangebote bei drohender Zwangsräumung übernommen.
Die Wohnstätte unterstützen sie mit Mieter-Beratung, zum Beispiel bei Schulden. Oft benötigen Betroffene einen Arztbesuch oder eine Schulden- oder Suchtberatung, berichtet Sozialarbeiter Matthias Lauer, der an den Unterkünften von Tür zu Tür geht. Er stellt dann Kontakt zu Beratungsstellen her.
Zum 40-jährigen Bestehen und am Tag der Wohnungslosen Menschen bittet der Lebensraum Diakonie am 11. September 2024 in die Bremervörder Straße 9 in Stade. Von 11 bis 14 Uhr haben alle, die sich gemeinsam dafür engagieren wollen, Wohnungslosigkeit zu überwinden, Gelegenheit für informative Gespräche, Austausch und Kennenlernen. Es gibt ein buntes Rahmenprogramm.