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TSchwalbeninvasion beim Sperrwerk auf Krautsand

122 Mehlschwalbennester begeistern Vogelfreunde am Ruthenstrom-Sperrwerk auf Krautsand. Der Nachwuchs fordert piepsend Nahrung, die Elterntiere flitzen hin und her, um Insekten heranzuschaffen.

122 Mehlschwalbennester begeistern Vogelfreunde am Ruthenstrom-Sperrwerk auf Krautsand. Der Nachwuchs fordert piepsend Nahrung, die Elterntiere flitzen hin und her, um Insekten heranzuschaffen. Foto: knappe

Manchem Ausflügler, der auf Krautsand die Aussicht auf Wasser, Schafherden und Boote genießen will, bleibt bei einem Blick himmelwärts erst mal die Spucke weg. Das Sperrwerk am Ruthenstrom beherbergt eine der größten Schwalbenkolonien der Region.

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Von Katja Knappe
Samstag, 06.07.2024, 15:50 Uhr

Krautsand. Oben, in vier, fünf Metern Höhe piepst es vernehmlich und fordernd. Immer wieder sausen Schwalben in Richtung Dach, liefern in Sekundenbruchteilen erbeutete Insekten ab und stürzen sich wie kleine Blitze wieder in die Lüfte, um über der Wasserfläche des Ruthenstroms und der Elbe weitere Nahrung zu erbeuten.

Es piepst aus 122 Lehmnestern

Lehmnest an Lehmnest pappt oben im Winkel zwischen Dach und Mauerwand des Sperrwerks, einige auch übereinander: 122 Mehlschwalbenpaare haben hier aus Hunderten kleiner Lehmkügelchen ihre Domizile gebaut. Allenthalben schauen aus den Nestern kleine Köpfchen mit weit geöffneten Schnäbeln. Unter der Brücke finden sich zudem acht Nester von Rauchschwalben. Das sind die Schwalben mit den typischen gabelartigen Schwalbenschwänzen, die ihre Kinderstuben bevorzugt in Viehställen errichten.

Das Sperrwerk am Ruthenstrom hat 2023 im Landkreis sogar den Schwalben-Zählrekord gebrochen: 135 Mehlschwalbennester waren es im Vorjahressommer, gefolgt vom Sielhaus in Balje mit 128 besetzten Mehlschwalbennestern. Dicht dahinter rangiert in der Zählung wieder Krautsand: 105 Nester wurden an den Hallen der Hatecke-Werft gezählt. Auch das Pegelhäuschen Stader Sand ist ein begehrter Nistplatz: 96 Mehlschwalbennester zählte Jannette Hagedorn-Schüch vom Landkreis Stade vor wenigen Tagen.

Seit Frühjahr 2014 werden Schwalben im Landkreis Stade gezählt, damals startete hier das Artenschutzprojekt „Schwalben willkommen“. Es läuft als Gemeinschaftsprojekt des Naturschutzamtes in Kooperation mit den Naturschutzverbänden Nabu Stade, BUND Stade und der Ornithologisch naturkundlichen Arbeitsgemeinschaft (ONAG). Alle Bürger im Kreis wurden aufgerufen, besetzte Niststandorte zu melden.

Ein beliebter Hingucker bei Touristen wie Einheimischen: Im Dachüberstand des Sperrwerks am Ruthenstrom hat eine der größten Schwalbenkolonien des Landkreises ihr Zuhause. Die Tiere lassen sich hier gut beobachten. Und ein Schutzbrett gegen den Schiet gibt es auch.

Ein beliebter Hingucker bei Touristen wie Einheimischen: Im Dachüberstand des Sperrwerks am Ruthenstrom hat eine der größten Schwalbenkolonien des Landkreises ihr Zuhause. Die Tiere lassen sich hier gut beobachten. Und ein Schutzbrett gegen den Schiet gibt es auch. Foto: Knappe

Mehl- und Rauchschwalbe gelten als besonders geschützt und sind in der Roten Liste als gefährdet eingestuft. Die Uferschwalben sind streng geschützt und auf der Vorwarnliste. Bundesweit gehen die Bestände stetig zurück.

Die Ursachen sind vielfältig: Die Veränderung landschaftlicher Strukturen, Nahrungsmangel durch den Insektenschwund, Gefahren während der Zugzeit, illegale Zerstörung von Nestern. Moderne glatte Hauswände und energetische Sanierungen schrecken die Schwalben ab: Mehlschwalben, die Dachunterstände bevorzugen, brauchen raue Wände, an denen der Lehm klebt. Und wenn bei energetischen Sanierungen kleinste Löcher in Dachgewerken dichtgemacht werden, ist das schlecht für den akrobatischen Mauersegler, der in kleinste Lücken einfliegt.

Vogelklo - einfache Bretter lösen das Problem

Obwohl nistende Schwalben früher stets als Glücksbringer galten, sind sie heute bei einigen Menschen zumindest am eigenen Haus nicht willkommen: Vor allem wegen des Vogelkots, der während der Aufzucht der Jungen von oben herunterkleckert. Dagegen helfen 30 Zentimeter breite Kotbretter, die 50 Zentimeter unterhalb der Nester angebracht werden - auch beim Sperrwerk am Ruthenstrom ist ein sehr langes Brett über die ganze Gebäudebreite installiert. „Bei den vielen Meldungen, die ich über das Projekt erhalten habe, kommt das Thema Vogelkot sehr selten vor“, so Hagedoorn-Schüch.

Nest an Nest brüten die Mehlschwalben - sie lieben es gesellig unterm Dach. Alte Nester werden nach Möglichkeit wieder genutzt und nur ausgebessert - das spart wertvolle Energie.

Nest an Nest brüten die Mehlschwalben - sie lieben es gesellig unterm Dach. Alte Nester werden nach Möglichkeit wieder genutzt und nur ausgebessert - das spart wertvolle Energie. Foto: Knappe

1000 Melder machen mit bei Artenschutzprojekt

Das Artenschutzprojekt „Schwalben willkommen“ werde gut angenommen von den Bürgern, erzählt Projektkoordinatorin Janette Hagedoorn-Schüch vom Naturschutzamt. Inzwischen gebe es knapp 1000 Melder, teils Mitglieder der ONAG und viele Privatleute, die Nester melden.

2015 wurden insgesamt 1832 Brutpaare bei Rauchschwalben gezählt, 2023 waren es 1868. Bei den Mehlschwalben waren es 2015 genau 1231 Brutpaare, im Vorjahr 2443. Bei den Uferschwalben sind es nach wie vor stets unter 1000 Brutpaare. Die Gesamtzahlen schwanken stark und sind teils wenig aussagekräftig, da neue Standorte und Melder hinzukommen. Da an vielen Stellen aber mittlerweile jährlich gezählt werde, seien inzwischen auch Vergleiche gut möglich, sagt Hagedoorn-Schüch. Im bundesweiten Vergleich seien die hiesigen Bestände in den vergangenen Jahren einigermaßen stabil geblieben, sagt Hagedoorn-Schüch.

Dass die Schwalben sich in Wassernähe wohlfühlen, liegt daran, dass über dem Wasser häufig noch viele Insekten zu finden sind. Die Schwalben bringen bis Sommerende meist zwei Bruten durch, Rauchschwalben in Ställen schafften mitunter bis Anfang September sogar noch eine dritte Brut. Die Glücksbringer sind standorttreu und nutzen gern alte Lehmnester, die sie stetig ausbessern - der Bau von neuen Nestern kostet viel Energie.

Bürger können Schwalben unter die Flügel greifen: Etwa mit Lehmpfützen, die den ganzen Sommer über nass gehalten werden müssen. Auch Nisthilfen und Kunstnester gibt es. Wenn ein Schwalbennest da ist, stehen die Chancen auf weitere Ansiedlungen gut: Schwalben sind Koloniebrüter.

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