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Flüchtlingskrise 2015

TSyrischer Zahnarzt braucht vier Jahre für Neuanfang in Drochtersen

Angekommen in Drochtersen: Zahnarzt Wesam Breik.

Angekommen in Drochtersen: Zahnarzt Wesam Breik. Foto: Helfferich

Vor gut einem Jahr hat der Syrer Wesam Breik eine Zahnarztpraxis in Drochtersen übernommen. Der Weg dahin war beschwerlich. Jetzt ist er angekommen. Zur Freude der Patienten.

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Von Susanne Helfferich
Montag, 20.10.2025, 11:50 Uhr

Drochtersen. Als der 35-Jährige nach dem plötzlichen Tod von Zahnarzt Cornelius Frankenstein die Praxis übernahm, atmeten Patienten und Praxisteam auf. Aber auch Wesam Breik konnte durchatmen.

2015, als der Bürgerkrieg in Syrien tobte, floh der junge Zahnarzt nach Deutschland. Doch er konnte nicht einfach eine Praxis suchen und in seinem Beruf arbeiten. Er musste seine Approbation (Zulassung) neu beantragen, mehrere Fortbildungen machen und Prüfungen bestehen.

Dabei hatte der Zahnarzt in Syrien schon alles erreicht: Er war ein Überflieger, legte mit 17 Jahren sein Abitur ab, fünf Jahre später hatte er seinen Studienabschluss als Zahnmediziner in der Tasche und mit nur 22 Jahren die Praxiszulassung. Drei Jahre konnte er in seiner eigenen Zahnpraxis arbeiten, bis der Krieg ausbrach.

Wegen des Bürgerkriegs ohne Perspektive in Syrien

„Als mir klar wurde, dass es keinen Frieden geben wird und man damit rechnen musste, irgendwann getötet zu werden, wollte ich raus“, erzählt Breik. Es fällt ihm merklich schwer über diese Zeit zu sprechen. Immer wieder macht er Pausen, sucht nach den richtigen Worten.

„Man ist mittendrin gewesen; egal, ob man zum Militär musste oder in einer Stadt viel Schreckliches erlebt hatte“, erzählt er. Wenn Sicherheit und Gerechtigkeit nicht mehr gegeben seien, bleibe keine Perspektive für das Leben, so Breik. Er schluckt und sagt: „Ich habe die Praxis an einen Kollegen weitergegeben, von dem ich mir sicher war, das wird schon gut laufen.“ Aber auch der habe zwei Jahre später das Land verlassen.

Erst mit der Ankunft in Deutschland habe er realisiert, nicht mehr zurückkehren zu können, weil immer die Gefahr bestehe, festgenommen zu werden. Für ihn gebe es nicht mehr die Möglichkeit, nach Syrien zu reisen; auch nicht zu Besuch.

Arbeitsagentur riet ihm von erneutem Studium ab

„Man weiß ja nicht, wohin die Reise noch geht“, sagt Wesam Breik. Der Umgang mit den Ämtern und den Anträgen, ohne richtigen Ansprechpartner, sei schwierig gewesen. Ein Problem war, dass er manche Unterlagen nicht parat hatte. Und er hatte keine Kraft dafür, sich darum zu kümmern. „Es wurde immer mehr Papier angefordert. Da wird man richtig verzweifelt und denkt, es geht nicht mehr weiter.“

Er erinnert sich an ein Beratungsgespräch in der Agentur für Arbeit, um weiter als Zahnarzt zu arbeiten. Dort wurde ihm gesagt, es lohne sich nicht, die Prüfungen abzulegen. Er solle lieber eine dreijährige Ausbildung machen - nicht einmal in seinem Bereich. „Vielleicht ist die Erfolgsrate so gering, dass es sich für die Agentur nicht lohnt. Aber ich war schockiert.“

Großer Stress: Für jede Prüfung nur zwei Versuche

War ihm klar gewesen, dass er alle Prüfungen, die er in Syrien abgelegt hatte, hier noch einmal machen musste? „Ja, aber wenn man mittendrin ist, fühlt es sich ganz anders an. Gerade weil ich mehrere Prüfungen hintereinander ablegte.“ Parallel hospitierte er über mehrere Monate in verschiedenen Praxen, auch Allgemeinmedizin und Chirurgie. „Für jede Prüfung hatten wir nur zwei Versuche“, so Breik. Hätte das nicht geklappt, wäre alle Mühe vergebens gewesen.

Nachdem er einen Teil der Prüfungen bestanden hatte, durfte er eine Stelle als Assistenzzahnarzt annehmen. Die restlichen Prüfungen musste er innerhalb eines Jahres bestehen - dann hatte er seine Approbation für Deutschland. Vier Jahre nach seiner Ankunft. Zunächst lebte und arbeitete Wesam Breik in Baden-Württemberg. Dann nahm er eine Stelle in Buxtehude an, wo er bis zur Übernahme der Drochterser Praxis arbeitete.

„Die Menschen sind offen, gerade in kleinen Orten“

Wesam Breik war gezielt nach Deutschland gekommen. Ärzte würden in Deutschland gebraucht, der Arbeitsmarkt sei groß und das Land bemühe sich, Ausländer zu integrieren und ihnen Arbeit zu geben. Die Menschen seien offen, gerade in kleineren Orten. Sie kümmerten sich mehr als in großen Städten. Da lässt sich der Syrer auch nicht durch AfD und rechte Äußerungen irritieren. „Ich fühle mich hier nicht als Fremder.“ Inzwischen hat er mit Alaa Dawwara einen weiteren syrischen Zahnarzt in seine Praxis geholt.

Alles richtig gemacht? Erst nickt er, räumt aber gleich ein: „Weniger Sorgen wäre gar nicht so schlecht.“ Er verweist auf Syrien und die Gräueltaten gegen Minderheiten. Ganze Dörfer würden verbrannt, auch sein Elternhaus. „Ich habe mich immer mit Syrien verbunden gefühlt. Jetzt fühlt es sich fremd an.“

TAGEBLATT-Serie

„Wir schaffen das“: Der Satz von Angela Merkel vom 31. August 2015 ist in Deutschland zum Synonym der großen Flüchtlingskrise geworden. Zehn Jahre danach nimmt das TAGEBLATT dies zum Anlass, für eine Serie, die in loser Folge erscheint. In Gesprächen mit Zeitzeugen stellen wir die Frage: Was haben wir heute geschafft? Und was ist noch zu tun?

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