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Kriminalität

TTabuthema häusliche Gewalt: Dieser Mann wurde misshandelt - durch Frauen

Mirco S. (Name geändert) wollte sich von seiner Ex-Freundin trennen. Dann rammte sie ihm ein Messer in den Oberschenkel. Bis heute leidet er an den Folgen.

Mirco S. (Name geändert) wollte sich von seiner Ex-Freundin trennen. Dann rammte sie ihm ein Messer in den Oberschenkel. Bis heute leidet er an den Folgen. Foto: rm

Ein Einzelfall? Ganz sicher nicht. Mirco S.* wurde Opfer häuslicher Gewalt durch Frauen. Als der Bremerhavener sich trennen wollte, stach seine Ex-Freundin mit einem langen Küchenmesser zu. Es sind mehr Männer betroffen, als man denkt.

Von Denise von der Ahé Samstag, 21.09.2024, 17:50 Uhr

Bremerhaven. Mirco S.* will seinen Namen nicht öffentlich nennen. Der Bremerhavener hat schon schlechte Erfahrungen gemacht, wenn er seine Geschichte erzählte. Als Mann wurde er Opfer häuslicher Gewalt durch Frauen. Damit ist er bei Weitem nicht alleine.

Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und der Weißen Ring Stiftung belegt, dass jeder zweite Mann in Deutschland mindestens einmal in seinem Leben Gewalt in einer Beziehung erlebt. Dabei erfahren Männer häufiger psychische als körperliche Gewalt.

„Mein engster Freundeskreis weiß von meiner Geschichte“, sagt Mirco S., der mittlerweile um die 50 Jahre alt ist. „Aber wenn ich andere kennenlerne, behalte ich das für mich.“

Selbst von einem Freund musste er sich schon anhören „Du bist doch ein kräftig gebauter Mann, du kannst dich doch wehren“. Damit nicht genug. Der Freund lachte sogar. Dieses Unverständnis hat Mirco S. so verletzt, dass er den Kontakt abbrach. „Der Mann hat immer diese super mega Rolle“, sagt er. „Die Gesellschaft nimmt gar nicht wahr, dass es auch solche Fälle gibt.“

In beiden Fällen waren die Täter Frauen

Zweimal hat der Bremerhavener in seinem Leben Gewalt durch Frauen erfahren – in einer Beziehung und in einer Wohngemeinschaft. Bei der ersten Gewalterfahrung war Mirco S. Anfang 30. „Ich wollte mich von meiner damaligen Freundin trennen. Sie nahm in der Wohnung ein Küchenmesser und rammte es mir in den Oberschenkel. Sie sagte: ,Wenn du dich trennst, hat das Leben für mich keinen Sinn mehr.‘“

Mirco S. wurde schon belächelt, weil er Opfer von Frauengewalt wurde.

Mirco S. wurde schon belächelt, weil er Opfer von Frauengewalt wurde. Foto: rm

„Ich war geschockt“, erinnert sich Mirco S. an den Moment. „Nachbarn haben den Notarzt gerufen, sie ist davongelaufen. Dann stellte sie mir jahrelang nach, bis sie irgendwann auch wegen anderer Straftaten ins Gefängnis kam. Ich habe mehrere Strafanzeigen erstattet. Selbst eine gerichtlich erwirkte Bannmeile von 150 Metern hat nie was gebracht. Sie hat angerufen, geklingelt, sie stand auf einmal da, auch auf der Arbeit. Das war eine schlimme Zeit. Selbst ein Umzug half damals nichts.“

Weißer Ring: 800 Fälle von Partnerschaftsgewalt pro Jahr in Bremerhaven

Der Landesvorsitzende der Opferschutzorganisation Weißer Ring im Land Bremen, Hans Jürgen Zacharias, weiß: „Männer begreifen oft nicht, was ihnen passiert ist, und reden sich dann ein, es sei nicht so schlimm. Das hat mit dem eigenen Weltbild zu tun. Viele leiden an Spätfolgen.“ Es sei wichtig, Männer und Frauen bei dem Thema nicht gegeneinander auszuspielen. Männer seien in der Partnerschaft häufiger psychischer Gewalt ausgesetzt, aber auch das Werfen von Gegenständen, Schubsen und körperliche Gewalt kämen vor, sagt Zacharias.

Er geht von etwa 800 Fällen von Partnerschaftsgewalt pro Jahr in Bremerhaven aus, in vermutlich 20 bis 30 Prozent seien Männer die Opfer. „Das Dunkelfeld ist groß“, sagt Zacharias. „Die Gewalt geht durch alle Schichten.“

Der Weiße Ring sei eine erste Anlaufstelle im System und unterstütze Opfer dabei, weitere Hilfsangebote zu finden. Beispielhaft nennt er Psychologen, Anwälte oder die Bremer Beratungsstelle „Neue Wege“. „Ein großes Problem ist, dass alle Hilfsangebote unterfinanziert sind“, sagt Zacharias.

Mirco S.: Ich kann kein Vertrauen mehr aufbauen

Die zweite Gewalterfahrung mit einer Frau machte Mirco S. vor etwa fünf Jahren. „Das war eine Mitbewohnerin in einer WG“, erzählt er. „Es gab immer mal Reibereien, sie hatte es mit der Ordnung nicht so, die Miete zahlte sie nicht pünktlich. Dann habe ich mal das WLAN-Passwort geändert und gesagt: ,Das bekommst du wieder, wenn du deine Schulden gezahlt hast.‘ Dann stand sie auf einmal mit einem Messer im Türrahmen.“

Doch Mirco S. reagierte schnell, schloss die Tür, rief die Polizei. Die Mitbewohnerin bekam ein Hausverbot für zehn Tage, der Vermieter kündigte der Frau fristlos.

„Mein Leben hat sich komplett verändert“, sagt Mirco S. „Es ist für mich schwierig, eine Beziehung aufzubauen. Ich wurde depressiv, abhängig von Alkohol. Seit vielen Jahren bin ich Single.“

Früher arbeitete er in der Disposition bei einer Zeitarbeitsfirma. Jetzt hofft er, einen Therapieplatz zu finden, aus der Langzeitarbeitslosigkeit heraus zu kommen und sich im Bereich Design und Eventplanung selbstständig machen zu können.

In Bremerhaven gab es zum Tabu-Thema Gewalt an Männern zuletzt eine soziale Kampagne von Studentinnen der Hochschule. Dafür bekamen sie viel Zuspruch. Die Fraktion Bündnis Deutschland brachte jüngst einen Antrag in die Stadtverordnetenversammlung ein.

Bündnis Deutschland sieht Ungleichbehandlung zwischen Frauen und Männern

„Schaut man sich die Hilfsmöglichkeiten für männliche Opfer an, stößt man in Bremerhaven auf eine Ungleichbehandlung“, sagt die BD-Fraktionsvorsitzende Julia Tiedemann. Laut BD-Antrag soll daher unter anderem die Frauenberatungsstelle in „Gewaltschutzberatungsstelle“ umbenannt werden.

„In einer Anfrage der Bürgerschaftssitzung hat sich für Bremerhaven ein Defizit in der Versorgung von männlichen Opfern häuslicher Gewalt gezeigt“, sagt Tiedemann. „Ebenso wurde durch das Verhalten vieler Abgeordneter klar, dass diese das Thema für lächerlich halten, was meiner Meinung nach ein Schlag ins Gesicht der Opfer ist.“

Angebote für Opfer häuslicher Gewalt müssten für alle Betroffenen gleichermaßen niedrigschwellig und ausreichend vorhanden sein. „Für Bremerhaven trifft dies nicht zu“, sagt Tiedemann. „Männliche Opfer häuslicher Gewalt sind auf eine genauere Recherche angewiesen, um zu erkennen, welche Stelle für sie als Ansprechpartner dient.“

Aus ihrem Umfeld kann Tiedemann von einem Fall psychischer Gewalt berichten. „Der Familienvater hatte mehrfach angekündigt, die Gasleitung manipulieren zu wollen, um das Haus in die Luft zu jagen“, sagt Tiedemann. „Die Mutter übte physische Gewalt auf ihn aus. Der junge Mann, damals noch knapp minderjährig, wusste nicht, wohin er sich wenden kann. Ans Jugendamt wollte er sich aus Angst um die sofortigen Konsequenzen nicht wenden. Andere Hilfe war für ihn nicht ersichtlich. Letztlich wuchs er aus der Situation heraus.“

Mirco S. träumt immer noch von den Schreckensmomenten. Die Narbe in seinem Oberschenkel erinnert ihn bis heute daran. „Ich versuche, sie nicht anzuschauen. Denn sonst kommen alle Erinnerungen wieder hoch.“

Sein Hund hilft ihm in den schwersten Stunden

Er möchte wieder arbeiten. „Es gibt Tage, an denen ich richtig motiviert bin“, sagt er. „Dann gibt es wieder Zeiten, in denen die Erinnerungen hochkommen. Das schwächt mich.“

Kraft gibt ihm sein Hund, der seit acht Jahren sein Begleiter ist. „Wenn ich depressiv bin, spürt er das und stellt etwas an, so dass ich lachen muss“, sagt Mirco S. „Oder er beruhigt mich. Der ist richtig gut.“

*Name von der Redaktion geändert

Hier gibt es Hilfe für Opfer Häuslicher Gewalt im Kreis Stade

Die BISS Beratungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt richtet sich an Frauen und Männer, die Opfer von häuslicher Gewalt oder Opfer durch Stalking (Nachstellungen) sind. Die Beratung ist kostenlos, vertraulich und zu nichts verpflichtend. Kontakt: Telefon: 04141 / 53 44 15 (Mo.-Do., 10-12 Uhr, Do. 14-16 Uhr), E-Mail: biss@awostade.de, Internet: www.biss-stade.de.

Die Beratungsstelle Lichtblick richtet sich an Frauen und Jugendliche aus Buxtehude und dem Kreis Stade, die Opfer sexueller Gewalt sind.

Kontakt: Telefon: 04161 / 714 715 (Mo. + Mi.: 11.30 Uhr bis 13 Uhr), E-Mail: lichtblick@awostade.de, Internet: www.awostade.de/beratungsstelle-lichtblick.

Das Schutz- und Beratungs­zen­trum für Frauen in Stade richtet sich an weibliche Opfer von häuslicher und partnerschaftlicher Gewalt. Das Frauenhaus bietet Frauen, die Gewalt erleben oder von Gewalt bedroht sind, eine sichere Unterkunft. Kontakt: Telefon: 04141-44123, E-Mail: frauenhaus@landkreis-stade.de, Internet: www.staderfrauenhaus.de.

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 116 016 und via Online-Beratung unterstützen werden Betroffene aller Nationalitäten, mit und ohne Behinderung rund um die Uhr unterstützt. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte werden anonym und kostenfrei beraten.

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