Zähl Pixel
Interview

T„Uns wird definitiv Hurenhass entgegengebracht“

Undine de Rivière hat sich auf erotische Hypnose spezialisiert.

Undine de Rivière hat sich auf erotische Hypnose spezialisiert. Foto: Undine de Rivière

Als sogenannte Bizarrlady entführt Undine de Rivière ihre Gäste in erotische Traumwelten. Daneben kämpft die studierte Physikerin für die Rechte von Prostituierten.

Von Guido Behsen Sonntag, 26.05.2024, 12:00 Uhr

Hamburg. Sexarbeiterin Undine de Rivière spricht über erotische Hypnose und ihren Alltag zwischen digitaler und analoger Sexarbeit.

TAGEBLATT: Es ist Dienstagnachmittag, wobei unterbreche ich Sie gerade?

Undine de Rivière: Heute ist Bürotag. Ich beantworte E-Mails und Chatanfragen und vor allen Dingen mache ich ein bisschen Contentproduktion. Letzte Nacht habe ich zwei Audio-Dateien aufgenommen, die ich heute bearbeite.

Wie darf ich mir erotische Onlineproduktion vorstellen?

Ich habe mich hauptsächlich auf eine bestimmte Nische spezialisiert, mit der ich mich schon lange auch persönlich beschäftige. Das ist erotische Hypnose. Ich führe Menschen über Hypnose-Rituale in eine veränderte Realitätswahrnehmung. Eine Traumreise, so wie man sich eine geführte Meditation vorstellt. Aber eben nicht über die Blumenwiese, sondern vielleicht in einen Swingerclub oder in eine mittelalterliche Orgie. Man kann auch nur durch Suggestionen jemanden fesseln. Die Person hat dann das Gefühl, dass sie sich wirklich nicht bewegen kann.

Mit Hypnose zum Höhepunkt

Hypnose funktioniert über Audioaufnahmen?

Ja. Es gibt Hypnoseaufnahmen, die normalerweise dem Coaching oder der persönlichen Weiterentwicklung dienen. In der erotischen Hypnose geht es darum, Gefühle von Erregung zu erzeugen, bis hin zu einem Orgasmus. Das funktioniert für viele Menschen tatsächlich nur anhand von Audiofiles. Ich wollte das schon seit langer Zeit als Digital-Download anbieten. Und als wir 2020 wegen Corona nicht mehr eins zu eins im Kundenkontakt arbeiten durften, dachte ich mir: Super, jetzt habe ich endlich Zeit für dieses Projekt. Das funktioniert so gut, dass ich mir wirklich überlegen muss, ob ich überhaupt noch Menschen treffen kann. Dabei fasse ich einfach zu gerne Leute an...

...zum Beispiel in Ihrer Rolle als Domina. Oder ist die Bezeichnung am Ende gar nicht richtig?

Eigentlich ist meine Lieblingsbezeichnung einfach Sexarbeiterin oder Sexworker. Begriffe wie Domina oder auch Bizarrlady finde ich eher schwierig, weil sie implizieren, dass da etwas Merkwürdiges, Fremdartiges passiert. Dabei finde ich das, was mir meine Gäste entgegenbringen, sehr verständlich. Die Bedürfnisse sind nachvollziehbar, auch wenn die Strategien, diese Bedürfnisse zu erfüllen, vielleicht ungewöhnlich sind.

Die Trennung von Arbeit und Privatleben ist oft schwierig

Wie ist das Verhältnis von Online-Arbeit und direktem Kundenkontakt?

Seit ich den Online-Shop hochgezogen habe, mache ich weniger Eins-zu-eins-Sessions und verbringe inzwischen weit über die Hälfte meiner Arbeitszeit online. Ich kann mich ja nicht klonen. Bis 2020 hatte ich nicht mal einen Social-Media-Account. Heute muss ich schon sehr schauen, dass ich da nicht zu viel unterwegs bin. Hier noch mal schnell ein Foto machen und da noch mal eben was hochladen – das beeinträchtigt das Privatleben.

Influencer-Schicksal.

Genau. Im Prinzip sind diejenigen, die Online-Sexwork machen, genauso geschlagen wie alle anderen Influencer. Das Privatleben und den Job zu trennen, ist mir früher wesentlich leichter gefallen.

Undine de Riviére finanzierte als Stripperin ihr Studium

Früher ist das Stichwort: Sie feiern in diesem Jahr eine Art Jubiläum.

30 Jahre Sexwork, ja. Im Sommer vor 30 Jahren bin ich an der Uni einem Kommilitonen begegnet, der sich nach einer wilden Nacht mit mir als Kunde von Peepshows geoutet hat. Da haben sich Stripperinnen auf einem Drehteller ausgezogen und man konnte von draußen durch halb durchlässige Spiegel zuschauen. Ich war davon total fasziniert, denn ich habe damals schon unheimlich gerne getanzt und hatte auch keine Berührungsängste. Nachdem ich also jemanden kennengelernt hatte, der schon mal einen Fuß in so ein Etablissement gesetzt hatte, bestand ich darauf, dass er mich mitnimmt.

Was ist dann passiert?

Es hieß, man würde ab und an Aushilfen für einzelne Schichten oder ganze Tage brauchen. Ich habe dann als Springer praktisch mein komplettes Studium finanziert. In der Regel alle ein bis zwei Wochen ein bis zwei Tage für rund zehn Stunden. Das war eine kompakte Art, Geld zu verdienen.

Sie haben Physik und im Nebenfach Informatik studiert. Beiden Gattungen sagt man einen Hang zu Rollenspielen nach...

Stimmt (lacht)! Ich habe in meiner Freizeit auch viel in der Fachschaft rumgehangen und Tabletop-Rollenspiele gespielt.

Auf das Studium folgte die Sexarbeit

Bei den Peepshow-Auftritten ist es ja nicht geblieben. Wie ging es weiter?

Ich bin in den Semesterferien auch mal woanders hin und habe Läden kennengelernt, in denen man die Trennscheibe zwischen Tänzerin und Gast herausnehmen konnte. Damals war die Förderung der Prostitution noch strafbar, und die Betreiber haben ihren Gewerbeschein riskiert. Aber es war ein offenes Geheimnis, und wir haben darüber mehr verdient als über das eigentliche Strippen. Also habe ich langsam meine Grenzen ausgelotet. Irgendwann hat dann jemand 200 Mark dafür geboten, einmal meinen Busen anfassen zu dürfen. Das war damals echt viel Geld und ich dachte: Okay, schauen wir mal, wie das so ist. Danach habe ich das öfter gemacht.

Und schließlich wurde die Prostitution Ihr Beruf.

Ich habe zunächst mein Studium im Ausland beendet. Danach stellte sich die Frage: Gehst du jetzt in die Wirtschaft, in die Forschung – oder machst du Sexarbeit? Ich habe mir also vorgenommen, ein halbes Jahr lang Sexarbeit in Vollzeit auszuprobieren. Und dabei bin ich dann einfach geblieben.

Bizarrlady arbeitet im Homeoffice

Zu der Zeit sind Sie nach Hamburg gekommen. Auch, weil Hamburg für das Rotlicht bekannt ist?

Es waren zwei Aspekte. Ich kannte und mochte Hamburg, weil meine Eltern auf dem Weg in den Nordsee-Urlaub hier oft einen Zwischenstopp eingelegt haben. Zum anderen hatte die Stadt eine blühende BDSM-Subkultur. Ich wollte da hin, wo es Partys gibt und Stammtische und wo man Menschen treffen kann, die so ticken wie ich.

Sie haben im Laufhaus und im Studio gearbeitet. Inzwischen arbeiten Sie in der eigenen Wohnung. Fällt Ihnen das nicht schwer?

Meine Gäste zu Hause zu treffen, war einfacher, als ich gedacht habe. Es hat noch nie irgendjemand außerhalb der vereinbarten Zeiten geklingelt. Ich habe viele Stammgäste und die benehmen sich alle ordentlich. Ich schaue aber auch sehr genau darauf, was das für Menschen sind, die ich treffe. Ich bin auch nicht telefonisch erreichbar, sondern nur per Mail. Ich kann zwischen den Zeilen lesen und merke meistens recht gut, ob es passt oder nicht.

Haben Sie dennoch auch schon einmal richtiges Lehrgeld bezahlt?

In den Zeiten, in denen ich mit Laufkundschaft gearbeitet habe, wusste man natürlich nie genau, wer da kommt. Wenn ich mal irgendwo neu war, gab es immer mal Leute, die gucken wollten, ob sie Grenzen pushen können. Da habe ich schon manchmal Sachen gemacht, von denen ich erst hinterher gemerkt habe, dass es mir zu viel war. Heute kommt das noch ganz selten vor.

Zu Übergriffen kam es also nicht?

Wenn, dann gab es Situationen im Graubereich, in denen ich sagen musste: Danke, und jetzt zieh dich an und geh nach Hause! Mir sind keine Dinge passiert, die mich ernsthaft traumatisiert hätten. Aber natürlich ist es ein Stress, wenn man die Grenzen ständig verteidigen muss.

Gewerkschaft für Sexarbeiterinnen ist notwendig

Auch darum sind Sie Mitgründerin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD). Das klingt nach Gewerkschaft.

Das kann man so sagen. Seit 2001 hatten wir in Deutschland das Prostitutionsgesetz, das war eigentlich ein Schritt Richtung Entkriminalisierung. Dagegen hatte Schweden 1999 die Nachfrage unter Strafe gestellt. Seitdem gab und gibt es Bestrebungen, dieses Verbot in andere Länder zu exportieren, auch 2012, als zum Beispiel die „Emma“ (Zeitschrift von Alice Schwarzer, d. Red.) ein Verbot der Prostitution forderte. Daraufhin haben sich etwa 50 Kolleginnen zusammengetan und den Berufsverband gegründet. Heute sind wir knapp 1000.

Die Gründung hat damals für Schlagzeilen gesorgt.

Mit dem Thema Sex hatten wir natürlich viel mehr Aufmerksamkeit als andere Interessensverbände. Dafür haben andere auch nicht so viel Hass gegen sich.

Kann man da wirklich von Hass sprechen?

Es ist definitiv Hurenhass, der uns entgegengebracht wird. Es wird so getan, als möchte man die Sexarbeiter retten. Aber es geht in Wahrheit darum, die Gesellschaft vor der Sexarbeit zu retten. Häufig ist es eine pseudofeministische Argumentation, die behauptet, wenn man Sexarbeit abschafft, würde das die Geschlechtergerechtigkeit voranbringen. Der Meinung bin ich überhaupt nicht.

Was ist Ihre Meinung?

Meine Vision wäre einfach eine Welt, in der alle Geschlechter Sexarbeit anbieten und nachfragen können. Menschen sollten Alternativen haben, auch solche, die aufgrund von Behinderungen, von Alter, von Krankheit eben nicht die Möglichkeit haben, sich anders sexuell auszuleben. Ich finde es ganz furchtbar, wenn so getan wird, als wären wir eine Belastung für die Gesellschaft. Dabei sind wir vielmehr eine Bereicherung.

Viele Sexarbeiter sind nicht angemeldet

Sie sprechen von Ihrer Vision. Was wäre Ihre Prognose?

Schwer zu sagen. Durch das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 haben wir eine sehr starke Regulierung. Es bedeutet unter anderem, dass wir Sexarbeit anmelden müssen. Allein diese Anmeldung ist datenschutzrechtlich eine Katastrophe, weil Angaben über das Sexualleben gemacht werden müssen. Womöglich wird noch in irgendeiner Form nachgebessert, also zum Beispiel die Anmeldepflicht gekippt. Nach meiner persönlichen Schätzung ist momentan ungefähr ein Drittel der Sexworker angemeldet.

Wie ist es um die Sexarbeit in Hamburg nach Corona bestellt?

Infolge der Schließung der Bordelle sind viele Kolleginnen mit Migrationshintergrund nach Hause gefahren. Andere haben sich eigene Infrastrukturen geschaffen und zwangsläufig entweder Kunden zu Hause besucht oder sich zu Hause besuchen lassen. Das ist natürlich ein erhöhtes Risiko, aber es bleibt auch mehr Geld bei der Sexarbeiterin. Wir haben auf jeden Fall weniger Sexworker in Betrieben als vor Corona. Die Struktur hat sich verschoben, hin zur Vermittlung übers Internet.

Da schließt sich der Kreis. Heute verbringen Sie den Bürotag vor dem Rechner, was liegt ab morgen an?

Diese Woche habe ich noch zwei Termine. Der eine ist morgen und dauert mit etwas Vor- und Nachbereitung vielleicht vier Stunden. Dann habe ich Freitag noch einen Termin über sechs, sieben Stunden. Und am Donnerstag sitze ich mit politischen Gremien, Beratungsstellen und Behörden an einem Tisch und es geht um Sexarbeitspolitik. Die Woche ist also ausgefüllt. Manchmal wäre mir lieber, wenn ich einfach in Ruhe anschaffen gehen könnte, wann ich möchte.

Zur Person: Undine de Rivière, Jahrgang 1973, wuchs im Südwesten Deutschlands auf. Früh merkte sie, dass erotische Darbietungen und, wie sie sagt, „Schundromane“ einen starken Reiz auf sie ausübten. Ihr Physik-Studium finanzierte sie als Stripperin in Peepshows. Nach dem Abschluss kam sie im Jahr 2000 nach Hamburg, wo sie seitdem als Prostituierte arbeitet, vornehmlich im Bereich BDSM (umgangssprachlich: Sadomaso). 2013 war Undine de Rivière Gründungsmitglied des bundesweiten Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD), 2018 erschien ihr Buch „Mein Huren-Manifest. Inside Sex-Business“. Undine de Rivière lebt und arbeitet im Hamburger Stadtteil St. Georg. Ihren Beziehungsstatus bezeichnet sie als „Beziehungsanarchistin in einem polyamoren Netzwerk“.

Bitte ergänzen Sie...

Mein Lieblingsort in Hamburg ist... der Hansaplatz direkt vor meiner Haustür. Ich wohne einfach gern mitten im Leben.

Und mein Sehnsuchtsort ist... aktuell der Regenwald in der Nähe von Brisbane, Australien. Da war ich viel zu lange nicht mehr.

Schönheit bedeutet für mich... Authentizität und In-sich-selbst-Ruhen.

Ich habe eine Schwäche für... sehr dunkle Schokolade, so ab 90 Prozent.

Wütend macht mich... die Stigmatisierung und der Hass, der uns als Sexarbeitenden von manchen Menschen entgegengebracht wird.

Einmal im Leben tauschen würde ich gern mit... einem beliebigen Rockstar bei einem Live-Konzert. Eine riesige Menschenmenge zum Toben zu bringen, muss ziemlich sexy sein.

Weitere Artikel