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Im Krieg gestorben

TVater starb im Krieg: Ein Leuchtturm ist der emotionale Anker der Tochter

Renate Beese und das Bild vom Leuchtturm „Roter Sand“, das sie hat malen lassen.

Renate Beese und das Bild vom Leuchtturm „Roter Sand“, das sie hat malen lassen. Foto: Polgesek

Der Leuchtturm „Roter Sand“ steht für Aufbruch und Abschied. Für Renate Beese ist er ein emotionaler Anker, der die Erinnerung an ihren Vater wachhält.

Von Maike Wessolowski Sonntag, 20.07.2025, 10:00 Uhr

Bremerhaven. Der Leuchtturm „Roter Sand“ steht in der Wesermündung. Für viele Menschen ist er ein Symbol für Aufbruch und Abschied: ein Sehnsuchtsort.

Für Renate Beese aus Bremerhaven steht er für eine Sehnsucht, die nie erfüllt werden kann. Die nach dem Vater, der dort nach ihrer Kenntnis Leuchtturmwärter war. Er starb, als sie noch klein war.

Heinrich August Karl Wedemeyer wurde 1907 geboren und war gelernter Maler. Er hat mit seiner Familie in der Wülbernstraße in Wesermünde gewohnt. 1941 wurde Renate geboren.

Der Leuchtturm als emotionaler Anker

Vielleicht ist es die nie gestillte Sehnsucht nach einem Vater. Vielleicht der Rückblick auf ein langes und bewegtes Leben. In jedem Fall fällt es Renate Beese schwer, über die Erinnerungen zu sprechen, obwohl sie es möchte.

„Als ich die Diskussion in der NORDSEE-ZEITUNG über die mögliche Versetzung des Turms gelesen habe, dachte ich,nein, er muss dort bleiben, wo er ist‘“, sagt sie.

Sie zeigt ein Schwarz-Weiß-Foto. Ein Mann im Regenmantel. Die Gesichtszüge sind unter dem großen Südwester kaum zu erkennen. Er hält ein Fernglas in der Hand. Ihr Vater.

Letzte Reise führte in den Krieg

Renate Beese und ihr Mann Sigurd vermuten, dass das Foto aus den Jahren 1939 bis 1941 auf der Haube des Turms entstanden sein muss. Der Förderverein Leuchtturm „Roter Sand“ mit Sitz in Bremerhaven hat über das Personal keine Daten.

Renate Beese, geborene Wedemeyer, hat auf den Verbleib des Turms auf See eine emotionale Sicht. Der Turm ist der Ort, den sie mit dem Vater verbindet, den sie nur aus Erzählungen der Tante kennt. „Meine Mutter hat nie über ihn gesprochen“, sagte sie. „Er hat Angst vor Wasser gehabt“, weiß sie noch. Das regelmäßige Abschiednehmen gehört zum Job als Leuchtturmwärter dazu. Doch die letzte Reise des Vaters ging nicht zum Leuchtturm „Roter Sand“, sondern in den Krieg.

Die Tante hat ihre Erinnerungen an Renate weitergegeben: „Er ist lächelnd, mit einem Taschentuch winkend durch die Wülbernstraße gegangen. Es war, als wüsste er, dass er dieses Mal nicht wiederkommt“, sagt sie, und ihre Stimme bricht.

Dem Abschied folgt eine Geburtstagskarte für Renate im Mai 1944 per Feldpost. Der letzte Gruß ist eine weitere Postkarte an das Kleinkind, datiert am 18. Juni: „Die schönsten Grüße aus weiter Ferne, dein Pappi“.

Renates Vater stirbt am 16. August 1944, mit 37 Jahren. „Ertrunken in der Adria um 21.30 Uhr“ steht auf dem Totenschein.

Kriegswitwe muss die Familie allein durchbringen

Die Kriegswitwe Else Wedemeyer muss sich und zwei Mädchen allein durchbringen, sie geht putzen. Eine „schwierige Zeit“, weiß der Schwiegersohn Sigurd Beese. Er hat viele Erinnerungen aufgeschrieben. Für die Enkelin, wie er sagt. Der Traum seiner späteren Frau, eine Friseurausbildung zu machen, scheitert.

Mit 14 Jahren muss Renate Wedemeyer arbeiten als Bedienung in einer Konditorei. Später näht sie Fischereinetze im Fischereihafen. Beim Schlittenfahren lernt sie ihren heutigen Mann kennen. Sie heiraten 1960, die Kinder werden in 61 und 62 geboren.

Allein mit zwei Kindern an Land

Sigurd Beese fährt sieben Jahre zur See und beschreibt es als „die schönste Zeit“. Renate Beese bleibt mit zwei Kleinkindern an Land. Nachdem keine Funker mehr benötigt werden, arbeitet ihr Mann bei einer Versicherung im Außendienst.

Im Alter von 40 Jahren lernt die Tochter des Leuchtturmwärters Fußpflegerin und sagt noch mit 84 Jahren: „Füße sind mein Leben.“ Bis heute macht sie noch Hausbesuche beim Stammkunden.

Schicksalsschläge bleiben ihr nicht erspart. Die Schwester stirbt, und auch die Mutter geht früh. 1972, im Alter von 59 Jahren. Die Beeses müssen ihren Sohn beerdigen, die Tochter ist auf den Rollstuhl angewiesen. Die Enkelin wohnt in Süddeutschland. Der fehlende Vater hat die Kindheit geprägt. Renate Beese verwahrt die wenigen Erinnerungsstücke wie einen Schatz: eine Gürtelschnalle, die von der Adria zurückgeschickt wurde, Fotos, die Postkarten.

Ein unerfüllter Wunsch nach Nähe

Ihr Lieblingsstück ist eine kolorierte Postkarte, die Kinder auf Nachttöpfen sitzend zeigt. „Viele schöne Grüße von deinem Pappa“ steht darauf. Renate Beese weiß nicht, ob sie vom Turm kam oder aus dem Krieg.

Die letzte Hoffnung, mehr über den Vater zu erfahren, ist eine Anfrage ans Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt, das den Turm früher betrieben hat. Die Antwort steht noch aus.

Renate Beese hat sich ein Bild malen lassen, das sie täglich anschauen kann. Der Leuchtturm „Roter Sand“ in bewegter See.

Sollte der Turm nun doch Richtung Land versetzt werden, dann hofft Renate Beese auf Bremerhaven. Die letzte Hoffnung, einen nie verwirklichten Wunsch zu erfüllen: Den Leuchtturm zu betreten, den sie so sehr mit ihrem Vater verbindet.

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