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Landwirtschaft

TWarum eine Zahnarzthelferin jetzt auf einem Bauernhof arbeitet

Die alleinerziehende Jennifer Rückert aus Hessen hat in Brobergen den totalen Neuanfang für sich gewagt. Seit zwei Jahren arbeitet sie auf dem Milchhof Hudaff.

Die alleinerziehende Jennifer Rückert aus Hessen hat in Brobergen den totalen Neuanfang für sich gewagt. Seit zwei Jahren arbeitet sie auf dem Milchhof Hudaff. Foto: Knappe

Zahnarzthelferin Jennifer Rückert arbeitet seit zwei Jahren in einem Milchviehbetrieb in Brobergen. Dass Landwirte auf fachfremde Mitarbeiter setzen, ist ein Trend - und hat einen Grund.

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Von Katja Knappe
Mittwoch, 05.03.2025, 11:26 Uhr

Himmelpforten. Jennifer Rückert hatte bis 2023 nichts mit Landwirtschaft zu tun. Die Hessin ist gelernte Zahnarzthelferin, arbeitete dann zehn Jahre lang bei der Post. Wegen der Liebe kam sie vor zwei Jahren nach Brobergen, eine Trennung folgte. Die alleinerziehende 35-Jährige hat drei Kinder im Alter von drei, sieben und zehn Jahren.

„Ich suchte einen Job, den ich mit den Kindern vereinbaren konnte“, erzählt Jennifer Rückert. So kam sie zum Milchviehbetrieb von Andre Hudaff in Brobergen, mit 180 Milchkühen, Kälbern, Acker- und Weideland. Er beschäftigt fünf Aushilfen und mit Jennifer Rückert eine Festangestellte. Erst half sie beim Melken, von 4 bis 7 Uhr. Nachdem ihr jüngster Sohn in den Kindergarten kam, stockte die Hessin auf Vollzeit auf, arbeitet nun vor allem morgens bis mittags und an Wochenenden.

Hessin in Brobergen: „Ich will hier nicht mehr weg“

„Ich versorge Kälber und Kühe, behandele die Tiere, gebe auch Spritzen, melde sie an und ab. Es macht mir alles Spaß“, sagt Rückert. Ihre alten Freunde aus Hessen können ihre Vorliebe fürs Leben auf dem Land und die Arbeit im Stall nicht verstehen. Sie fragen mich ,Was machst Du hier?‘“, erzählt Rückert. Für sie ist das keine Frage mehr. „Ich will hier nicht mehr weg.“

„Das Ziel ist, dass Jenny später Herdenmanagerin wird“, sagt Andre Hudaff. Dafür soll sie aber erst noch Lehrgänge besuchen. Die Umstellung auf Melkroboter läuft gerade und soll die Arbeitszeiten verbessern.

Jennifer Rückert ist eine von mittlerweile vielen fachfremden Arbeitskräften in der Landwirtschaft. 750 Vollerwerbsbetriebe, davon knapp 450 Milchviehbetriebe, gibt es im Landkreis Stade. Die Mitarbeiterstrukturen haben sich grundlegend geändert.

Bis zur Jahrtausendwende seien es überwiegend reine Familienbetriebe gewesen, sagt Rolf Hahn, Leiter des Beratungsrings Oldendorf. „Mittlerweile haben unsere Familienbetriebe eine Größe erreicht, wo es ohne Mitarbeiter nicht mehr geht“, so Hahn. Die jungen Landwirte wollen ein anderes Leben führen als ihre Eltern. Sie wollen auch Freizeit, Urlaub und am gesellschaftlichen Leben der Freunde teilhaben.

Landwirte als Arbeitgeber für fachfremde Mitarbeiter

Im Durchschnitt arbeiteten pro Betrieb vier Menschen: zwei aus der Familie und zwei Mitarbeiter, sagt Hahn. Rechnerisch entspreche ein Mitarbeiter drei Aushilfen. Verbreitet sei ein Beschäftigungsmodell mit einem Festangestellten und drei Aushilfen.

Ein Drittel der Festangestellten käme mittlerweile aus anderen Branchen. Vor allem Betriebe mit 100 bis 200 Kühen oder bis 200 Sauen setzten eher auf Aushilfen, größere hätten gern eine festangestellte Kraft dabei.

Landwirt Stefan Kaminsky aus Hagenah gehört mit 400 Milchkühen, 300 Hektar Land, drei Betriebsstellen, vier Festangestellten, drei Lehrlingen und einer studentischen Aushilfskraft zu den größeren Betrieben. Durch die Mechanisierung sind viele schwere körperliche Arbeiten entfallen. Mitarbeiter düsen mit kleinen Radladern oder E-Scootern umher.

Vor sechs Jahren warb Kaminsky einen Freund aus Kindertagen als Mitarbeiter: Thorsten Kröger aus Schwinge ist Werkzeugmechaniker und arbeitete 19 Jahre lang bei einem Verpackungshersteller, er stammt selbst von einem Nebenerwerbshof.

Kinderfreund verkürzt Arbeitsweg und spart Auto ein

Ab und zu half Kröger bei Stefan Kaminsky beim Füttern aus. Er mag die Arbeit mit Tieren. 2019 fragte Kaminsky den Kinderfreund, ob er als Vollzeitkraft einsteigen wolle. Kröger überlegte mit der Ehefrau und rechnete. „Es war ein gutes und lohnendes Angebot. Da hab ich es gewagt.“

„Mein Arbeitsweg hat sich auf 700 Meter verkürzt, ich komme mit dem Rad und konnte ein Auto einsparen. Stefan hat mich gleich auf Lehrgänge geschickt“, sagt Kröger. „Eine vernünftige Einarbeitung ist wichtig“, betont Berater Hahn.

Bei Kaminsky wird vorwiegend mit Melkrobotern gearbeitet, dadurch entfallen Pflicht-Melkzeiten: die Kühe entscheiden, wann sie Milch geben. Digitale Halsbänder übermitteln Melk-, Futter- und Vitaldaten jeder Kuh an den Computer. Manchmal checkt Thorsten Kröger die Daten schon daheim am Handy.

Viele Höfe bieten Jobs in flexiblen Zeitfenstern

Kröger arbeitet in der Regel von 6.30 bis 16.30 Uhr, gegen 8 Uhr gibt es eine Stunde Frühstückspause, dann noch eine Mittagszeit. „Der Arbeitstag wird bei uns zu 50 Prozent verplant, der Rest der Arbeit kommt individuell“, erläutert Kaminsky. Auf vielen Höfen ist es heute möglich, nur in bestimmten Arbeitsbereichen und in bestimmten Zeitfenstern zu arbeiten.

Höfe können vom Know-how fachfremder Mitarbeiter profitieren. „Thorsten hat viel von seiner vorherigen Firma eingebracht - gerade, was betriebliche Ablaufplanung angeht. Das ist ihm selbst gar nicht so bewusst. Aber ich hab‘s gemerkt“, sagt Kaminsky. Ihm liegt daran, als Arbeitgeber attraktiv zu sein: „Je mehr Angestellte, desto besser. Ich muss auch mal krank sein können.“ Und Freizeit will er auch.

Landwirt Stefan Kaminsky (links) hat seinen Freund aus Kindertagen, Thorsten Kröger, für die Landwirtschaft geworben. Kröger wechselte den Beruf - und bereut nichts.

Landwirt Stefan Kaminsky (links) hat seinen Freund aus Kindertagen, Thorsten Kröger, für die Landwirtschaft geworben. Kröger wechselte den Beruf - und bereut nichts. Foto: Knappe

Thorsten Kröger (42) beim Abhorchen einer Kuh. Er arbeitet gern mit den Tieren.

Thorsten Kröger (42) beim Abhorchen einer Kuh. Er arbeitet gern mit den Tieren. Foto: Knappe

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