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TWarum es im Stader Supermarkt plötzlich still wird

Sie alle setzen sich für die Stille Stunde ein: Jani Olsen (von rechts), Sören Schmidt, Irina Meyer, Britta Lambers und Christine Plath.

Sie alle setzen sich für die Stille Stunde ein: Jani Olsen (von rechts), Sören Schmidt, Irina Meyer, Britta Lambers und Christine Plath. Foto: Bisping

Stille Stunde in Stade: Ganz entspannt und reizarm einzukaufen könnte viele Kunden interessieren. Für einige Menschen ist das Angebot dieses REWE-Marktes aber eine besondere Hilfe.

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Von Alexandra Bisping
Donnerstag, 04.07.2024, 20:54 Uhr

Stade. Einkaufen gehen, das versucht Jani Olsen früh morgens oder spät abends zu erledigen. Denn sonst wird diese lebensnotwendige Aktivität für ihn zur Last. Menschen - zu viele. Geräusche - zu laut. Licht - zu hell. Jani Olsen gehört zu Personen mit sensibler Wahrnehmung. Er hat das Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus.

Besonders anstrengend sind für ihn viele Menschen. „Sie sind nervig und rempeln einen an“, sagt er. Erleichternd war es für ihn während der Corona-Zeit, dass alle zueinander Abstand halten mussten.

Reizüberflutung ist für Autisten problematisch

Auch lautes Telefonieren oder lautes Kindergeschrei ist für ihn sehr belastend. „Das soll nicht falsch rüberkommen: Ich mag Kinder“, fügt er hinzu. Es sind eben die lauten Geräusche.

Damit Menschen wie Jani Olsen einmal pro Woche wortwörtlich in Ruhe einkaufen gehen können, führt Sören Schmidt in seinem Rewe-Markt in der Stader Altstadt (Steile Straße 1) die Stille Stunde ein. Die erste ist für Sonnabend, 6. Juli, von 19 bis 20 Uhr geplant.

Das passiert bei einer Stillen Stunde im Markt

Es werden dann die Bildschirme abgestellt, es wird kein Piepsen mehr zu hören sein. Auch auf Durchsagen will das Rewe-Team weitestgehend verzichten und nur die dringendsten Mitteilungen über die Lautsprecher schicken. Und natürlich wird keine Musik gespielt.

„Ich bin dankbar dafür, dass die Gruppe vorher eine Begehung im Markt gemacht hat“, sagt Sören Schmidt. Bei dem von ihr vorgeschlagenen Maßnahmenkatalog sei vieles unproblematisch umsetzbar oder reduzierbar.

Zum Beispiel das Licht zu dimmen oder die Beschallung auszuschalten. Auch die Leergut-Automaten sollen in dieser Stunde nicht piepsen, Warenregale nicht eingeräumt werden. Ein Geräusch muss bleiben: Die Ventilatoren können nicht ausgeschaltet werden.

Das Konzept für die Stille Stunde stammt von Theo Hogg, einem Angestellten in einem neuseeländischen Supermarkt mit autistischem Kind. Das Konzept wird dort flächendeckend praktiziert, auch in Deutschland beiteiligen sich 189 Märkte an dem inklusiven Schritt.

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Zuvor will das Rewe-Team mit Plakaten auf die Aktion aufmerksam machen und andere Menschen dafür sensibilisieren. Auf die Kundschaft, so Schmidt, könne man aber nur bedingt Einfluss nehmen.

Für seinen Vorschlag konnte Jani Olsen Britta Lambers von der Selbsthilfekontaktstelle des Paritätischen Stade gewinnen. Citymanagerin Christine Plath vom Stade Marketing wurde ebenfalls mit ins Boot geholt. Sie stellte den Kontakt zu Sören Schmidt her.

Dass alles gleich beim ersten Mal glatt läuft, davon geht Sören Schmidt nicht aus. „Wir haben aber die Bereitschaft und den Willen, es umzusetzen“, sagt er. Schmidt vermutet, dass das Interesse groß sein wird - nicht nur bei Betroffenen.

Autismus - was ist das eigentlich?

“Autismus wird diagnostisch in „Frühkindlichen Autismus“, „Asperger-Syndrom“ und „Atypischer Autismus“ eingeteilt und als Entwicklungsstörung des zentralen Nervensystems angesehen“, informiert das Umweltbundesamt auf seiner Website.

Zahlen, wie häufig es in Deutschland vorkommt, liegen nicht vor. Weltweit gibt es nach Schätzungen 0,6 bis 1 Prozent Autisten, bei Jungen tritt es viermal häufiger auf als bei Mädchen.

Autismus ist nicht heilbar, also keine Krankheit. Es ist eine Behinderung. „Autisten haben manchmal tolle Begabungen“, sagt Britta Lambers. Jani Olsen ergänzt, er kenne zum Beispiel jemanden, der innerhalb weniger Tage eine neue Sprache lernen könne.

Jani Olsen selbst ist Bauingenieur, genauer gesagt, Tragwerksplaner. In der Schule sei er schlecht gewesen, gibt er zu. „Mir hat das keinen Spaß gemacht, ich habe Hauptschulabschluss“, sagt er. Dann habe er sich hochgekämpft, seinen Meister gemacht und einen Uni-Abschluss mit 2,3.

In seiner Freizeit programmiert er gerne - Jani Olsen hat seinen eigenen 3D-Drucker gebaut. Außerdem mag er Gärtnern, das Wachsen der Pflanzen beruhigt ihn. Sein Schwerpunktinteresse aber ist alles, was mit Bauen zusammenhängt.

Wenn er einkaufen geht, sagt Jani Olsen, trägt er InEar-Kopfhörer mit ANC, Active Noise Cancellation. Dadurch fallen Umgebungsgeräusche weitestgehend weg. Vielleicht braucht er sie in der Stillen Stunde nicht und kann in Ruhe einkaufen gehen.

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