TWas eine 55-Jährige als Telefonseelsorgerin erlebt

Die Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge haben ein offenes Ohr für jeden Anrufenden (Symbolbild). Foto: dpa
Einsamkeit, Angst, Erschöpfung - die Anliegen der Menschen sind vielfältig, aber oft ähnlich. Für viele ist ein Gespräch mit der Telefonseelsorge der erste Schritt zur Entlastung. Aber auch die Helfenden stoßen an ihre persönlichen Grenzen.
Carla ist Jahrgang 1975. Ihren richtigen Namen sollen wir nicht nennen, denn das wichtigste Merkmal der Telefonseelsorge ist: Alles ist anonym - auch die Identität der Helfenden. Seit sechs Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich in der Telefon- und Chatseelsorge der hannoverschen Landeskirche.
Etwa 15 Stunden im Monat, das entspricht zwei Schichten pro Woche, widmet Carla ihrem Ehrenamt. Neben dieser Tätigkeit arbeitet sie hauptberuflich in einer sozialen Einrichtung. „Das ist aber kein Muss. Jeder, der helfen will, kann sich für die ehrenamtliche Ausbildung bewerben. Menschen mit Erfahrungen aus den verschiedensten Bereichen sind sehr wertvoll“, betont die 55-Jährige.
Umfassende Ausbildung für ein anspruchsvolles Ehrenamt
Im Jahr 2018 begann Carla ihre einjährige Ausbildung zur Telefonseelsorgerin. Diese umfasst Grundwissen zu verschiedenen Problemfeldern, methodische Hilfen für die Gesprächsführung und die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit. „Selbstkenntnis und Selbsterfahrung sind wichtige Voraussetzungen für die Arbeit“, bestätigt die Seelsorgerin. Daher werden die Helfenden intensiv geschult, denn die Gespräche können emotional sehr belastend sein.
Nach mehreren Hospitationen besteht die letzte Ausbildungsphase aus ersten eigenständigen Telefonaten, die supervisorisch begleitet werden. In der Supervision wird das eigene berufliche Handeln mithilfe eines Supervisors, der den „Blick von außen“ mitbringt, reflektiert. Dieses Gespräch findet einmal im Monat verpflichtend statt. Seitdem gehört Carla zu den etwa 450 ehrenamtlich Tätigen, die ein offenes Ohr für jeden haben, unabhängig von den Sorgen und Ängsten der Anrufenden. Ihre wichtigste Aufgabe: Zuhören.
In der Chatseelsorge seien es hauptsächlich junge Menschen, die immer häufiger Hilfe suchen, stellt die 55-Jährige fest. Besonders seit Corona hätten die Ängste bei Kindern und Jugendlichen zugenommen. „Es kommt auch vor, dass nicht die Betroffenen selbst anrufen, sondern Eltern oder Freunde, die sich um nahestehende Personen sorgen. Es ist gut, dass wir gegenseitig aufeinander achten“, betont Carla.
Vielfältige Sorgen - ein Ziel: Klarheit schaffen
Die Themen der Gespräche sind vielfältig und dennoch oft ähnlich: Einsamkeit, Angst, Erschöpfung, Stress, Probleme in Familie oder Partnerschaft, depressive Verstimmungen, Mobbing, Suchtprobleme oder Sinnkrisen. Für die Anrufenden ist es eine große Hilfe, einfach mal über alles sprechen zu können. Ihnen wird zugehört - ohne Urteil oder Kritik. Jeder Anruf wird ernst genommen. Oft kommen die Anrufenden selbst zu hilfreichen Einsichten oder können ihre Gedanken ordnen, einfach dadurch, dass sie darüber sprechen.
„Der Ratsuchende ist der Experte für sein Thema“, erklärt Carla. „Wir können keine Lösung anbieten, aber wir können Wegbegleiter sein. Manchmal hilft es schon, die Anrufenden zu spiegeln und ihre Gedanken in Worte zu fassen.“ Besonders schön sei es, wenn man trotz anfänglicher Unsicherheiten eine gemeinsame Ebene findet. „Ein gutes Gespräch ist für mich, wenn ich Erleichterung schaffen und für Ruhe und Klarheit sorgen konnte“, sagt sie.
Die emotionalen Herausforderungen der Ehrenamtlichen
Doch auch die Seelsorgerin selbst stößt manchmal an ihre Grenzen - etwa, wenn sie selbst einen persönlichen Bezug zu einem Thema hat. „Wir sind eben auch Menschen mit Empfindungen“, erklärt sie. Selbstfürsorge ist daher ein zentrales Element, ebenso wie der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, um Distanz zu schaffen. Trotzdem gebe es Gespräche, die nachhallen und sie durch den Tag begleiten würden. „Einmal hat mich eine junge Mutter aus dem Krankenhaus angerufen. Sie wusste, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte und wollte ihren Partner nicht mit ihren Ängsten belasten. Bei uns hat sie ein offenes Ohr gefunden. In diesem Moment konnte auch ich meine Tränen nicht zurückhalten.“
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Telefonseelsorge: Ein Angebot mit wachsendem Bedarf
Im Jahr 2024 wurden in den sechs Telefonseelsorgestellen der hannoverschen Landeskirche 50.300 Seelsorgegespräche geführt. Hinzu kamen 5.895 Gespräche per Chat und 1.951 Kontakte per E-Mail. Diese Zahlen gab Daniel Tietjen, landeskirchlicher Beauftragter für die Telefonseelsorge, bekannt. „Die niedrigschwelligen Angebote der Telefonseelsorge sind für viele Menschen eine wichtige Unterstützung“, so Tietjen. Auch für 2025 rechnet er mit einem hohen Bedarf.
Carla hat zum Abschluss einen besonderen Wunsch an die Menschen: „Für andere da zu sein, ist gerade in diesen Zeiten besonders wichtig. Viele verlieren ihren Glauben an die Menschheit und sehen die Welt nur noch mit einem negativen Blick. Wir versuchen am Telefon oder im Chat ein positives Erlebnis mit einem anderen Menschen entgegenzusetzen. Generell sollten wir im Alltag wieder öfter mit einem Lächeln auf andere zugehen.“
Kontakt zur Telefonseelsorge
Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Menschen sein, die Ihnen nahe stehen. Sie können auch mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen. Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0 800/ 111 0 111 und 0 800/ 111 0 222. Der Anruf bei der Telefonseelsorge ist kostenfrei. Er taucht weder auf der Telefonrechnung, noch im Einzelverbindungsnachweis auf.