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Bestattungskultur

TWarum dieser Stader Imam in Gräber steigt

Talha Üzüm, der Imam der Moschee an der Wallstraße in Stade, steht am Totentisch auf dem muslimischen Grabfeld auf dem Friedhof Campe.

Am Totentisch hält Talha Üzüm, Imam der Moschee an der Wallstraße in Stade, eine kurze Trauerrede am Sarg, bevor der Verstorbene beerdigt wird. Foto: Anping Richter

Seit 2021 gibt es in Stade einen muslimischen Friedhof. Gott sei Dank, findet Talha Üzüm. Der Imam der Moschee an der Wallstraße ist dabei, wenn Stader Muslime ihre Toten begraben - mit Tränen und einem Blick nach Mekka.

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Von Anping Richter
Mittwoch, 22.11.2023, 16:00 Uhr

Stade. Dort, wo sie sich zu Hause fühlen, wollen die meisten Menschen sich auch bestatten lassen. Immer mehr Muslime möchten inzwischen ein Grab in Deutschland. Seit zwei Jahren gibt es deshalb in Stade das muslimische Grabfeld auf dem Friedhof Campe.

„Wenn ich morgen sterbe, möchte ich hier begraben werden, damit meine Kinder zum Grab kommen können“, sagt Talha Üzüm. Der 32-jährige Imam der Stader Moschee an der Wallstraße, kennt sich auf dem Friedhof gut aus: 13 Gräber sind inzwischen belegt, mehrere Bestattungen hat er geistlich begleitet. In vier der Gräber wurden Babys beigesetzt.

„Zwei von diesen kleinen Kindern habe ich mit meinen eigenen Händen ins Grab gelegt und dabei geweint. Ich darf das, ich bin ein Mensch, auch wenn mir der theologische Hintergrund hilft“, sagt Üzüm, der selbst Vater von zwei kleinen Kindern ist.

Bestattung im weißen Leinentuch muss extra beantragt werden

Traditionell werden Muslime nicht im Sarg bestattet, sondern nur in ein weißes Leichentuch gehüllt. Viele, aber nicht alle, bevorzugen diese Art der Beisetzung, die in Deutschland erst seit einigen Jahren erlaubt ist und extra beantragt werden muss. Es ist üblich, dass islamische Bestattungen möglichst kurze Zeit nach dem Tod stattfindet.

Zu weinen, sich sogar auf die Brust zu schlagen und seine Trauer zu zeigen, sei völlig in Ordnung und nach dem Islam legitim, erklärt der Imam, der sich als Seelsorger um Sterbende und deren Angehörige kümmert. Er hält es biologisch und psychisch auch für notwendig: „Trauer nicht zuzulassen, kann krank machen.“

Die Hinterbliebenen dürfen Leid und Kummer ausleben, sollten aber nicht in den Irrtum verfallen, mit Gott zu hadern und unpassende Worte auszurufen: „Der Tod ist Schicksal. Alles Schlechte, das uns widerfährt, ist eine Prüfung, und Gott belohnt uns nach dem Tod für alle Schmerzen und alles Leid des menschlichen Lebens.“

Dem Toten solle Achtung und höchster Respekt gezeigt werden. Das gilt ebenso für den Sterbenden, erklärt der Imam, der traditionell als Seelsorger dazugeholt wird, wenn der Tod bevorsteht. Er spreche dann ruhig und tröste, indem er daran erinnert, dass der Abschied von den Lieben nur für kurze Zeit ist, weil sie nach dem Tod im Paradies für immer vereint sein werden.

Bei Durst gibt der Imam dem Sterbenden Wasser

„Oft spürt der Sterbende plötzlich starken Durst. Dann benetze ich seinen Mund oder seine Lippen mit etwas Wasser“, berichtet Talha Üzüm. In Stade wird er meist erst nach dem Tod hinzugerufen, oft ins Krankenhaus.

Dort ist er als Seelsorger für die Angehörigen da und führt auch die rituelle, von Gebeten begleitete Waschung des Leichnams durch. Dabei wird der Genitalbereich abgedeckt und die Reinigung unter der Abdeckung ausgeführt. Schließlich wird der Verstorbene in das weiße Leinentuch gehüllt.

Der 32-jährige Imam ist 1992 in Hamburg geboren und aufgewachsen. Nach dem Abitur überlegte er kurz, Französisch auf Lehramt zu studieren und beschloss dann doch, einen Kindheitstraum zu verfolgen und Imam zu werden.

Nach einem fünfjährigen Theologie-Studium in Istanbul kehrte er zurück nach Hamburg, wo er zwei Jahre lang Imam der Ayasofya-Moschee in Wilhelmsburg war. Er erinnert sich gerne an diese Zeit: Mit einem christlichen Kollegen, einem Pastor, pflegten sie den interreligiösen Dialog und luden einmal im Jahr zum gemeinsamen Friedensgebet.

An hohen Feiertagen besuchen 300 Menschen die Stader Moschee

Seit vier Jahren ist Üzüm Imam der Mevlana-Moschee an der Wallstraße, die zur türkisch-islamischen Union DITIB gehört und dem Präsidium für religiöse Angelegenheiten der Türkei untersteht. Auch in Stade hat Üzüm im ersten Corona-Winter vor drei Jahren mit dem damaligen Superintendenten Thomas Kück einen interreligiösen Friedengottesdienst gestaltet, damals in St. Cosmae.

Die muslimische Gemeinde an der Wallstraße hat 95 offizielle Mitglieder und wird an großen Feiertagen von mehr als 300 Menschen besucht. Sie kommen aus der Türkei, verschiedenen arabischen Ländern, aus Albanien und Bosnien. Die Sprache in der Moschee ist Deutsch, sagt Üzüm: „Besonders bei den Kindern und Jugendlichen kommt das sowieso besser an.“

Pläne für ein muslimisches Grabfeld gab es schon vor seiner Zeit in Stade. Doch er war dabei, als es mit dem Architekten an die konkreten Planungen ging. Vom Friedfhofseingang aus sind es fünf Minuten Fußmarsch. Beim Betreten fällt zur Linken eine steinerne Anlage mit mehreren Wasserhähnen auf.

Hier können sich die Besucher vor dem Gebet auf traditionelle Art die Hände, das Gesicht und die Füße waschen. Rechter Hand steht ein massiver Steintisch. Hier wird der Sarg abgestellt, hier versammelt sich die Trauergemeinde vor der Bestattung, hier hält der Imam eine Rede. „Nur einige kraftvolle Worte, keine lange Rede. Stille ist auch wichtig“, sagt Üzüm. Der Trauer der Hinterbliebenen solle Raum gegeben werden.

Das muslimische Grabfeld auf dem Camper Friedhof in Stade.

Seit zwei Jahren gibt es das muslimische Grabfeld auf dem Camper Friedhof in Stade. 13 Gräber sind bereits belegt, vier davon sind Kindergräber. Foto: Anping Richter

Das Gesicht der Verstorbenen ist im Grab nach Mekka gewandt

Danach schultern vier Träger den Sarg oder den in ein weißes Leinentuch gehüllten Leichnam und tragen ihn zum Grab. Leiche oder Sarg werden behutsam ins Grab hinabgelassen. Bevor die Leiche auf der Erde abgelegt ist, ist es angemessen, stehen zu bleiben. Sobald sie abgelegt ist, setzen sich die Anwesenden.

Der Imam steht unten im etwa 1,50 Meter tiefen Grab. Die Gräber auf einem muslimischen Friedhof sind immer so ausgerichtet, dass die rechte Seite nach Mekka weist, also nach Südosten, und der Imam das Gesicht des Verstorbenen dorthin wenden kann.

Die Hinterbliebenen werfen schließlich je eine Schaufel Erde auf das Grab und sprechen ein Gebet. Am 40. Tag nach der Bestattung kann es dann noch einmal ein Treffen der Trauergesellschaft im Haus des Verstorbenen geben.

Das muslimische Grabfeld in Stade ist insgesamt 1700 Quadratmeter groß und bietet Platz für 133 Grabstätten. Die 13 bereits belegten Grabstätten sind recht schlicht gestaltet, aber liebevoll mit Blumen geschmückt.

Bisher ist nur ein kleiner Teil der Fläche mit den entsprechenden Einfassungen für Gräber vorbereitet. Der Rest ist freie Grünfläche und jetzt gerade mit Herbstlaub bedeckt. „Wenn es hier voll wird, bereiten wir das nächste Feld vor“, sagt Talha Üzüm.

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