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Nachbarkreise

TUngewöhnliche Wohngemeinschaft: Wie ein junger Syrer seine Ziele verfolgt

Der Syrer Diyar fühlt sich rundum glücklich im Haus von Irma Pape aus Selsingen, wo er seit November 2023 lebt.

Der Syrer Diyar fühlt sich rundum glücklich im Haus von Irma Pape aus Selsingen, wo er seit November 2023 lebt. Foto: Hahn

Irma Pape hat in Selsingen zwei Zimmer im Obergeschoss ihres Hauses an einen jungen Syrer vermietet, der 2022 nach Deutschland gekommen ist. Nicht nur für die Seniorin ist das Zusammenleben ein Gewinn.

Von Monika Hahn Dienstag, 31.12.2024, 18:55 Uhr

Selsingen. Gegen die Einsamkeit und für das Sicherheitsgefühl. So lässt sich zusammenfassen, warum Irma Pape froh darüber ist, ihr Haus mit dem 22-jährigen Diyar zu teilen. Doch was sind die Gründe für den jungen Syrer, über kulturelle Grenzen hinweg bei einer Fremden einzuziehen, die leicht seine Großmutter sein könnte?

Herausforderndes Zusammenleben in der Erstaufnahmeeinrichtung

Aus allen Teilen Syriens seien sie gekommen, die Männer, mit denen sich Diyar ein Zimmer in dem von der Gemeinde angemieteten Wohnhaus geteilt habe. Er erinnert beengte Verhältnisse. „Es gibt leider zu wenig Unterkünfte. Wir hatten zu siebt eine Toilette.“

Irma Pape hat im Obergeschoss ihres Hauses in Selsingen einen Geflüchteten aus Syrien untergebracht. Die Rentnerin gibt gerne anderen etwas ab.

Irma Pape hat im Obergeschoss ihres Hauses in Selsingen einen Geflüchteten aus Syrien untergebracht. Die Rentnerin gibt gerne anderen etwas ab. Foto: Hahn

Noch dramatischer die Situation in der Küche: Für 19 Menschen nur ein Herd. „Es gab täglich Streit um die Küche und um die Sauberkeit“, sagt Diyar. Jeder dort hatte eine individuelle Leidens- und Lebensgeschichte. Unterschiedliche Wertvorstellungen stellten das friedliche Miteinander vor enorme Herausforderungen.

„Ich konnte recht gut Englisch, als ich nach Deutschland kam. Das haben auch die Ratshausmitarbeiter schnell bemerkt. Und so fragten sie oft mich, warum es im Haus schmutzig sei und Mobiliar kaputt. Dabei konnte ich immer nur für mich sprechen und nicht für alle.“

Belastender Alltag und keine Ruhe zum Lernen

Die Situation ist belastend, nicht nur für Diyar. „Es gab einen winzigen Raum mit einem Schreibtisch zum Lernen. Ich bin oft um 5 Uhr aufgestanden und habe gelernt, bis es um 7 Uhr wieder laut wurde, weil die anderen aufwachten.“

Für Diyar steht fest, dass er so schnell wie möglich die Unterkunft verlassen möchte. Zweimal bittet er Walter Fromm um Rat. Dieser vermittelt den Kontakt zu Irma Pape.

Beim persönlichen Kennenlernen sind sich die beiden gleich sympathisch. Diyars Vorteil: Er spricht im Herbst 2023 bereits hervorragend Deutsch.

Auf die Frage, ob er ein Sprachtalent ist, antwortet er: „Ich wollte das von Anfang an unbedingt lernen. Es war mir wichtig.“ Irma Pape bittet ihn, ihr bei Arbeiten am Haus behilflich zu sein. Für den jungen Mann eine Selbstverständlichkeit: „Ich habe gelernt, Respekt zu haben, insbesondere vor älteren Menschen.“ Respekt und Toleranz sind ihm die wichtigsten Werte. „Wer dickköpfig ist, kann mit niemandem zusammenleben“, fasst er zusammen.

Ordnungsliebe und Humor verbinden die beiden

Diyar hat die Erfahrung gemacht, dass das Empfinden über Ordnung und Sauberkeit sehr verschieden sein kann. „Ich habe von meiner Mutter früh gelernt, Ordnung zu halten und meine Sachen sauber zu halten“, berichtet er. Ihn und die Seniorin verbindet dieser Ordnungssinn, und gemeinsam lachen sie viel.

„Ich bin rundum glücklich hier“, strahlt Diyar. Angst vor Streit aufgrund kultureller Unterschiede hatte er nie. „Es ist für mich irrelevant, ob und an wen jemand glaubt. Ich bin nicht besonders religiös. Entscheidend ist für mich nur, Respekt voreinander zu haben und freundlich miteinander umzugehen.“

Eine Ausbildung in der IT-Branche ist der nächste Schritt

Diyar ist zielstrebig und hat kaum Freizeit. Zurzeit besucht er das Berufsvorbereitungsjahr im Kivinan Bildungszentrum in Zeven. Die hohen Ansprüche, die er an sich selbst stellt, gelten auch für andere: Tiefe Freundschaften hat er bisher keine aufbauen können.

„Ich kenne viele Menschen, aber ich kann nicht irgendwen als ‚Freund‘ bezeichnen“, sagt er. Er vermisse seine Familie, hegt aber die Hoffnung, sie eines Tages wiederzusehen. Jetzt konzentriert Diyar sich darauf, einen Ausbildungsplatz im Bereich IT zu bekommen. „Ich will nicht unbedingt in die Stadt. Aber wenn ich hier nichts finde, muss ich weg. Ich fühle mich hier sehr wohl und möchte einen Führerschein machen und mir ein Auto anschaffen. Ich weiß aber bislang nicht, wo das Geld dafür herkommen kann.“

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