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Wohnen im Alter

TSeniorenboom und knappe Ressourcen: Ein Blick in die Zukunft im Landkreis Stade

Bis 2035 gehen zwölf Millionen Baby-Boomer in Rente.

Bis 2035 gehen zwölf Millionen Baby-Boomer in Rente. Foto: Uwe Anspach/dpa

Der Anteil der Alten in der Gesellschaft wächst und wächst. Höchste Zeit, im Landkreis Stade über eine entsprechende Politik auf lokaler Ebene zu sprechen. Wie könnte die aussehen?

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Von Anping Richter
Freitag, 23.08.2024, 13:05 Uhr

Stade. Ab 55 geht’s bergauf: Das haben Glückforscher herausgefunden. Am glücklichsten sind die Menschen mit Anfang 20, in der Mitte des Lebens kommt eine große Delle und danach steigt die Kurve wieder, berichtet Karin Haist, Demografie-Expertin der Körber Stiftung, zu Beginn der Zukunftswerkstatt im Landkreis Stade vor vielen Fachleuten und Interessierten.

Landrat Kai Seefried hat zu Impulsvorträgen, Talkrunden mit Experten und Austausch eingeladen. „Älter werden im Landkreis Stade - digital und vernetzt“, lautet das Thema. Mit 150 Besuchern ist der große Saal des Kreishauses voll besetzt. Klar: Alle hoffen, alt zu werden. Aber was dann?

Warum die Alten ernst genommen werden müssen

Ab 70 steigt die Glückskurve nicht mehr, sagt Karin Haist. Dabei wird es in dieser Altersgruppe bald so viele Menschen geben wie nie: Bis 2035 gehen zwölf Millionen Baby-Boomer in Rente. Gleichzeitig hat sich die Geburtenrate von 1964 bis heute halbiert. „Es ist Zeit für eine neue Alterspolitik“, sagt die Demografie-Expertin. Die Alten wollen nicht nur Hilfsempfänger sein, sondern ernst genommen werden. Die Gesellschaft soll sie einbinden, wenn sie Weichen für das Leben im Alter stellt.

Haist hat sich europaweit umgesehen und weiß: Es gibt im ländlichen Raum Orte, in denen im Alter besonders gut gelebt werden kann. Mit kleinen Supermärkten, medizinischer Versorgung und Orten der Begegnung, etwa ehrenamtlich betriebenen Cafés. Dänemark sei dabei einer der Vorreiter. Auch im Kreis Stade gibt es schon vorbildliche Projekte, wie heute klar wird. Etwa den Verein Miteinander Füreinander in Buxtehude und jetzt auch in Stade: ein Netzwerk von Helfern und Hilfesuchenden, von Gassigehen bis Einkaufshilfe.

Voller Saal bei der Zukunftswerkstatt zum Thema „Älter werden im Landkreis Stade“.

Voller Saal bei der Zukunftswerkstatt zum Thema „Älter werden im Landkreis Stade“. Foto: Anping Richter

Immer mehr Hochbetagte – Kreis Stade will altersfreundliche Kommune werden

„Wir wollen der erste Landkreis in Deutschland werden, der das Etikett Altersfreundliche Kommune führt“, sagt Seefried. Der Kreis Stade mit seinen 210.300 Einwohnern soll laut Pflegebericht bis 2040 um 8660 Einwohner wachsen. Der Altersdurchschnitt wird steigen, der Anteil der über 85-Jährigen sogar um 65 Prozent. Analog zur Bewerbung als „Kinderfreundliche Kommune“, mit der sich der Kreis verpflichtet, die Rechte und Interessen von Kindern und Jugendlichen zu stärken, soll das nun auch für die Alten passieren.

„Um ein altersfreundlicher Landkreis zu werden, müssen wir noch weit springen“, sagt Sylvia Pankop vom Senioren- und Pflegestützpunkt des Landkreises. Der führt 2500 Beratungsgespräche pro Jahr - fast fünfmal so viele wie 2016. Hier werden Ehrenamtliche qualifiziert und Seniorenbegleiter und Wohnraumberater ausgebildet. „Der Bereich Hilfe zur Pflege braucht unbedingt mehr Personal“, sagt Seefried. Er wolle sich dafür starkmachen.

„Wir müssen mit einem Mangel an Personal und Ressourcen umgehen“, sagt Lars Oldach, Leiter des K&S-Pflegeheims in Buxtehude. Gleichzeitig wollen die meisten Menschen gerne so lange wie möglich im eigenen Zuhause wohnen. Oldach findet das gut: Medizinisch notwendige Pflege müsse im Heim erfolgen. Aber zu Hause könne vieles mit der richtigen Unterstützung, auch digitaler Art, lange gut klappen.

Barrierefrei und smart: Ein Haus zum Anfassen in Hamburg

Wie das geht, kann sich im Haus für Barrierefreiheit in Hamburg jeder ansehen. Der Verein „Barrierefrei Leben“, berichtet dessen Geschäftsführerin Heike Clauss, präsentiert auf 600 Quadratmetern am Alsterdorfer Markt eine Ausstellung, in der Treppenlift oder Aufstehsessel, barrierefreies Schlauchbad oder digitale Assistenzsysteme, beispielsweise Sensoren, in der Praxis erlebt werden können.

So ein smartes Haus sollte es auch im Kreis Stade geben, findet Seefried. Melanie Philipps von den Pflegepionieren stellt ein Projekt vor, das in Drochtersen und Kehdingen läuft: Telemedizin mit Räumen und Betreuung durch Fachpersonal vor Ort. Und wer möglichst lange zu Hause leben möchte, sollte einen weiteren Faktor nicht vergesen: die Erhaltung von Gesundheit und Beweglichkeit.

Muskelmasse erhalten durch Bewegung

Das ist Ziel des Senioren-Programms „3000 Schritte“ in Buxtehude, das auf eine Initiative von Dr. Barbara Zimmermann, Vizepräsidentin und Fachbereichsleitung Gesundheit der Hochschule 21, zurückgeht. „Wenn die Muskelmasse schwindet, haben wir schlechte Karten“, erklärt sie. In Deutschland gebe es ein Ungleichgewicht zwischen Prävention und Rehabilitation.

In Dänemark klappt das besser. Die Hochschule 21 kooperiert mit dem dänischen Unternehmen Digirehab, das digitale Programme entwickelt, die Selbstversorgung und Mobilität der Senioren messen, bevor ein individueller Übungsplan erstellt wird. „Wir haben mehr als 35.000 Trainierende in Dänemark“, berichtet Geschäftsführer Lars Jessen. Jede zweite Kommune nutze das Programm.

Jessen erklärt den Erfolg damit, dass die Dänen mehr Vertrauen in den Staat haben als die Deutschen und gleichzeitig mehr Eigenverantwortung zeigen. Das große Interesse an der Zukunftswerkstatt zeigt, dass sich auch im Kreis Stade viele verantwortlich fühlen. Zum Beispiel die Besucherin Doris Hoffmann: Sie lobt die Ideen für die Zukunft, wünscht sich aber auch einiges für eine altenfreundliche Gegenwart: „Längere Ampelphasen für Fußgänger, bessere Fahrradwege, bessere Busverbindungen, vor allem am Wochenende, und besseres Pflaster in der Innenstadt.“

Lars Oldach, Heike Clauss, Kai Seefried, Karin Haist und Sylvia Pankop (von links) beim Talk im Stader Kreishaus.

Lars Oldach, Heike Clauss, Kai Seefried, Karin Haist und Sylvia Pankop (von links) beim Talk im Stader Kreishaus. Foto: Richter

Plädoyer für Gesundheit im Alter durch Prävention: Lars Jessen und Barbara Zimmermann.

Plädoyer für Gesundheit im Alter durch Prävention: Lars Jessen und Barbara Zimmermann. Foto: Richter

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