Ties Rabe

Der Verfechter des  Präsenzunterrichts

Es lief hervorragend für Ties Rabe. Überregionale Medien hatten Hamburgs Schulsenator für sein „Bildungswunder“ geadelt. In der Amtszeit des Sozialdemokraten hatte sich die Hansestadt beständig nach oben gearbeitet. Dann kam Corona.

Von Markus Lorenz Samstag, 13.03.2021, 16:00 Uhr
Ties Rabe. Foto: Scholz/dpa

Ties Rabe. Foto: Scholz/dpa

Rabe sitzt in seinem Dienstbüro im 16. Stock der Schulbehörde in Barmbek, weit fällt der Blick über die Stadt. Wie viel von dem Erreichten gefährdet die Pandemie mit ihren Schulschließungen – und damit sein Werk? „Die Erfolge sind dauerhaft“, versichert der 60-Jährige, der freilich kein Schönredner ist. Ja, die Corona-Zeit bringe gravierende Schäden: „Dieses Jahr wird sehr tiefe Spuren hinterlassen, es wirft Schüler deutlich zurück.“ Gedanken macht er sich vor allem um jene, die seit jeher seine Sorgenkinder sind: jüngere Schüler und solche aus schwierigen sozialen Verhältnissen.

Ties Rabe ist der dienstälteste amtierende Schulminister in Deutschland. Seit 2011 im Amt, seit 2015 Koordinator für Bildung und Wissenschaft der SPD-regierten Bundesländer. Im Kreis der Kultusminister halten ihn nicht wenige für den klügsten der Ressortchefs. Flink im Denken, analytisch, rhetorisch präzise, bisweilen unverblümt, durchsetzungsstark – der Bergedorfer erscheint wie gemacht für einen Job, der in der Metropole viel von einem Himmelfahrtskommando hat. Bildungsfragen bergen hier noch mehr Zündstoff als anderswo. 2010 zerbrach die bundesweit erste schwarz-grüne Landesregierung an der Elbe nicht zufällig auch am Streit um die sechsjährige Primarschule.

Rabe fasste mit 46 Jahren im erlernten Beruf Fuß

Es folgte die SPD-Alleinregierung unter Olaf Scholz, der seinen Parteikollegen zum Schulsenator machte. Dessen Voraussetzungen stimmten, auch wenn der Berufsweg des dreifachen Vaters Umwege machte. Rabe studierte Lehramt für Geschichte, Deutsch und Religion, schloss mit Einser-Staatsexamen ab, fand wegen der Lehrerschwemme Ende der 1980er aber keine Schulanstellung.

Der agile Musikfan wurde Redaktionsleiter bei einem Anzeigenblatt, arbeitete als Landesgeschäftsführer der Hamburger SPD, bevor er – mit 46 Jahren – doch noch im erlernten Beruf Fuß fasste. Fünf Jahre unterrichtete er am Bergedorfer Luisen-Gymnasium, eine „großartige Zeit“, wie er sagt. So viel Wertschätzung erhalte man in anderen Berufen nicht. Und doch zögerte er keine Sekunde, als Scholz ihn rief. Wer etwas bewegen wolle, müsse zupacken. Rabe packte zu und profitierte dabei von der Ruhe des parteiübergreifenden „Hamburger Schulfriedens“. Als Senator ging er daran, das Schulsystem auf Leistung zu trimmen, hob das Verbot von Vokabeltests auf, baute die Ganztagsbetreuung aus und sorgte für regelmäßige Überprüfungen des Lernniveaus.

Seine Erfolge schützten den Senator freilich nicht vor einer Welle der Kritik, als Covid-19 über die Schulen hereinbrach. Länger als andere plädierte Ties Rabe dafür, die Bildungsstätten offen zu halten. Auch noch, als sich im Herbst Ausbrüche an Hamburgs Schulen mehrten. Opposition und Bildungsverbände sprachen von Verantwortungslosigkeit, Rabe gefährde die Gesundheit von Kindern, Lehrern, ja der ganzen Gesellschaft. Dennoch: nie waren Hamburgs Schulen in dieser Zeit ganz geschlossen. Die Türen standen und stehen all jenen stets offen, die zu Hause nicht lernen können – egal, aus welchen Gründen.

Verfechter von Präsenzunterricht

Nicht minder scharf waren die Angriffe wegen des stotternden Homeschoolings. Der Behördenchef, so die Opposition, habe deutlich zu wenig getan, um Schulen digital fit zu machen für die erwartbare zweite Phase der Schließungen. Ein schwergängiges System wie Schule lasse sich nicht eben nicht binnen weniger Wochen digitalisieren, kontert der Senator, der die Schulen der Stadt im Bundesvergleich bei der Ausstattung mit WLAN und Tablets gleichwohl weit vorn sieht.

Dennoch: Rabe macht kein Hehl daraus, dass er dem leibhaftigen Unterricht in Klassenräumen allemal den Vorrang gibt. „Ich bin ein Verfechter von Präsenzunterricht,“, sagt der 60-Jährige und verweist auf andere Länder, in denen Schulen trotz harten Lockdowns geöffnet blieben.

In einer Großstadt wie Hamburg mit vielen Familien aus engen Wohnverhältnissen und mit kleinem Geldbeutel sei Präsenzunterricht wichtiger als andernorts. Schule sei die einzige Möglichkeit, Chancengleichheit herzustellen. „Für viele Einwanderer und ihre Kinder – egal, ob aus Kiel, Kabul, Istanbul oder Teheran – ist deshalb gerade die Schule Sprungbrett in ein besseres, erfolgreicheres Leben.“ Schule als „Anker und Hoffnungspunkt“. Der heftige Protest gegen den Präsenzunterricht in Hamburg habe ihm vor allem deshalb schlaflose Nächte bereitet.

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