Gewalt

Attacke im Zug: Mutmaßlicher Messerstecher dem Haftrichter vorgeführt

Drei Tage nach der Messerattacke im Regionalzug von Kiel nach Hamburg mit zwei getöteten jungen Menschen hat der mutmaßliche Täter beim Haftrichter-Termin keine Aussagen zur Sache gemacht. Dort habe er geschwiegen.

Samstag, 28.01.2023, 00:15 Uhr
Einwohner der Kleinstadt Brokstedt haben Blumen und Kerzen am Tatort der Messerattacke auf dem Bahnsteig im Bahnhof von Brokstedt abgelegt. Bei der Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg sind am 25. Januar zwei Menschen getötet und sieben verletzt worden. Foto: Marcus Brandt/dpa

Einwohner der Kleinstadt Brokstedt haben Blumen und Kerzen am Tatort der Messerattacke auf dem Bahnsteig im Bahnhof von Brokstedt abgelegt. Bei der Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg sind am 25. Januar zwei Menschen getötet und sieben verletzt worden. Foto: Marcus Brandt/dpa

Letztes Update am Sonnabend, 17.35 Uhr.

Nach der Messerattacke in einem Regionalzug bei Brokstedt in Schleswig-Holstein hat der mutmaßliche Täter beim Haftrichter-Termin keine Aussagen zur Sache gemacht. Dort habe er geschwiegen. Nach Vorliegen von Ermittlungsergebnissen werde er mit seinem Mandanten sprechen, sagte Anwalt Björn Seelbach am Samstag auf Anfrage.

Der 33-jährige staatenlose Palästinenser war am Mittwoch nach dem Messerangriff als dringend tatverdächtig festgenommen worden. Bei der Tat starben zwei Menschen, fünf wurden schwer verletzt. Gegen den Mann wurde Haftbefehl wegen zweifachen Mordes und versuchten Totschlags in vier Fällen erlassen. Der 33-Jährige war nur wenige Tage vor der Tat aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV), Thomas Oberhäuser, verneinte am Sonnabend im Deutschlandfunk die Frage, ob Justiz und Verwaltung die Tat hätten verhindern können. Er verwies auf rechtliche Abwägungen und Vorgaben in Untersuchungshaft-Fällen.

Justiz und Verwaltung hätten allenfalls die Tat dadurch verhindern können, dass sie ihn weiterhin in Untersuchungshaft gehalten hätten, so Oberhäuser. „Aber da hat die Justiz entschieden, dass das unverhältnismäßig gewesen wäre angesichts der ihm vorgeworfenen Tat.“

Frühere Strafverfahren gegen den mutmaßlichen Täter 

Vor der Messerattacke hat Ibrahim A. bereits eine Reihe von Straftaten verübt. Der heute 33-Jährige wird viermal von Amtsgerichten verurteilt, davon werden die ersten drei Urteile rechtskräftig. Mehrere andere Taten haben keine strafrechtlichen Konsequenzen. Die von Behörden bestätigten Vorfälle in einem chronologischen Überblick.

  • 24. Dezember 2014: Der in Gaza geborene Ibrahim A. reist nach einer biografischen Übersicht der Stadt Kiel nach Deutschland ein.
  • 22. Januar 2015: Er stellt einen Asylantrag. Dieser wird am 12. Juni 2016 abgelehnt. Er bekommt jedoch „subsidiären Schutz“, weil ihm im Herkunftsland ernsthafter Schaden drohe. Seit 2015 lebt A. im Kreis Euskirchen in Nordrhein-Westfalen.
  • 2015: Das Amtsgericht Euskirchen verurteilt A. wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen. Nach einem Bericht auf „spiegel.de“ soll er eine Flasche Parfüm im Wert von 30 Euro aus einem Laden in Bad Münstereifel gestohlen haben.
  • 2016: Das Amtsgericht Euskirchen verurteilt A. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Laut Urteil hatte er einem Bekannten im Streit mit einem scharfkantigen Gegenstand Schnittverletzungen im Gesicht zugefügt.
  • 2018: Das Amtsgericht Euskirchen verurteilt A. wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 90 Tagessätzen. Alle drei Urteile sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft Bonn rechtskräftig.
  • 2018: Die Behörden in Köln ermitteln nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wegen Körperverletzung. Es kommt jedoch nicht zu einer Verurteilung.
  • 2019: Ermittlungen wegen sexueller Nötigung. Das Verfahren wird nach Angaben der Staatsanwaltschaft Bonn wegen Geringfügigkeit eingestellt. Eine sexuelle Motivation habe nicht nachgewiesen werden können.
  • 2020: Ermittlungen wegen Körperverletzung und Bedrohung. Das Verfahren wird ebenfalls eingestellt, weil die Taten im Hinblick auf eine andere Verurteilung nicht ins Gewicht fallen.
  • 1. Dezember 2020: Ibrahim A. zieht nach Angaben der Stadt Kiel aus dem Kreis Euskirchen weg - wohin, ist unbekannt.
  • 2. Juli 2021: A. meldet sich in Kiel bei der Stadtmission und wird als Wohnungsloser in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht.
  • Juli 2021: Die Zuwanderungsabteilung der Stadt Kiel informiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darüber, dass A. mehrfach straffällig geworden ist.
  • November 2021: Das Bundesamt leitet nach Angaben der Stadt Kiel ein Widerrufs- und Rücknahmeverfahren ein, mit dem der „subsidiäre Schutz“ von A. aufgehoben werden soll.
  • 29. November 2021: A. bekommt Hausverbot in der Kieler Gemeinschaftsunterkunft. Zuvor soll er nach Angaben der Stadt Mitbewohner bedroht und auf dem Flur mit einem Messer hantiert haben. Das Hausverbot sei mit Hilfe der Polizei durchgesetzt worden.
  • 23. Dezember 2021: Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellt ein Verfahren gegen A. wegen vorsätzlicher Körperverletzung mangels hinreichenden Tatverdachts ein.
  • 18. Januar 2022: A. gerät vor der Hamburger Obdachlosenunterkunft Herz As mit einem Mann in Streit und verletzt ihn mit einem Messer.
  • 20. Januar 2022: A. soll nach Angaben der Hamburger Staatsanwaltschaft einem Kontrahenten in der Drogenhilfeeinrichtung „Drob Inn“ am Hauptbahnhof mit einem Klappmesser mehrfach auf den Kopf geschlagen haben. A. wird nach Angaben der Hamburger Justizbehörde festgenommen.
  • 21. Januar 2022: Ein Haftbefehl wird erlassen.
  • 15. Juni 2022: A. soll nach Angaben der Justizbehörde einen Mithäftling in der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Billwerder angegriffen haben. Das folgende Strafverfahren wird vorläufig eingestellt.
  • 18. August 2022: Das Amtsgericht Hamburg-St. Georg verurteilt A. wegen gefährlicher Körperverletzung im Zusammenhang mit der Tat vor der Obdachlosenunterkunft und wegen Diebstahls zu einem Jahr und einer Woche Haft. Das Verfahren wegen des Vorfalls vor der Drogenhilfeeinrichtung wird nach Angaben der Hamburger Staatsanwaltschaft vom Gericht vorläufig eingestellt. Gegen das Urteil legt A. Berufung ein.
  • 2. September 2022: Tätlicher Angriff auf einen Justizvollzugsbediensteten in Billwerder. Das Strafverfahren ist nach Angaben der Justizbehörde noch nicht abgeschlossen.
  • 19. Januar 2023: Das Landgericht Hamburg hebt den Haftbefehl gegen A. nach einem Jahr in Untersuchungshaft auf. Die JVA Billwerder informiert nach Angaben der Justizbehörde das Hamburger Landeskriminalamt und die Hamburger Ausländerbehörde über die Entlassung. Ein Psychiater hat kurz vor der Entlassung keine Fremd- und Selbstgefährdung festgestellt. Die JVA organisiert kurzfristig eine Methadon-Behandlung für den Tatverdächtigen nach seiner Entlassung.
  • 25. Januar 2023: Messerangriff im Regionalzug bei Brokstedt. Zwei Menschen sterben, fünf werden schwer verletzt. A. wird noch am Zug als dringend tatverdächtig festgenommen.
  • 26. Januar 2023: Das Amtsgericht Itzehoe erlässt Haftbefehl wegen zweifachen Mordes und versuchten Totschlags in vier Fällen.
Weitere Artikel