Interview

Thorsten Näter: „In Hamburg machen die Leute ihre Arbeit und halten die Klappe“

Drehbuchautor Thorsten Näter sitzt in seinem Arbeitszimmer Hamburg-Lokstedt, als er Manfred Ertel zum Video-Gespräch empfängt. Die Pandemie kommt ihm als Eigenbrötler mit seinem Arbeitsrhythmus zugute, sagt er und lacht darüber herzlich.

Von Manfred Ertel Sonntag, 13.02.2022, 12:00 Uhr
Drehbuchautor und Regisseur Thorsten Näter . Foto: Ertel

Drehbuchautor und Regisseur Thorsten Näter . Foto: Ertel

Herr Näter, sind Sie nach fast einjähriger Wartezeit auf die Premiere der „Kanzlei“ als abendfüllenden Spielfilm eigentlich selbst reif für die Insel?

Nein, das bin ich gewöhnt. Als Regisseur treibt einen das Problem etwas mehr um. Weil man natürlich gern präsentieren möchte, was man gedreht hat. Ich habe schon Filme gemacht, da hat es fast zwei Jahre gedauert, bis die über den Sender gegangen sind. Für uns war es nur wichtig, dass der Film vor Beginn der neuen Staffel läuft, weil die ja weitererzählt, was danach passiert.

Belastet Sie die Warterei oder stört die Ihre Kreativität?

In meinen Anfängen hat mich das sehr gestört, weil man die Resonanz braucht, sowohl vom Publikum als auch von Kritikern. Es gibt Kritiker, die ich gerne und mit großer Begeisterung lese, dann weiß ich, ob ich richtig gelagert war. Das hat sich bei mir inzwischen etwas erledigt, vor allem bei diesem Format, an dem wir inzwischen ja schon insgesamt 18 Jahre arbeiten. Da ist die Spannung nicht mehr ganz so groß. Oft kehrt nach einer erfolgreichen Ausstrahlung bei allen Beteiligten eine große Ruhe und Gelassenheit ein, die wichtig für die nächsten Drehs und die Weiterentwicklung der Geschichte ist. Dieses Mal ist es anders, weil parallel ja die Serie weiterläuft und auch ohne Ende wiederholt wird mit guten Quoten. Diese Bestätigung ist also da.

Alle „Kanzlei“-Episoden stammen aus Ihrer Feder. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen die Ideen ausgehen?

Klares „Jein“ (lacht). Wenn ich von jemandem mit einem Thema angepikst werde, fällt mir schon, bis ich wieder zu Hause bin, dazu auch etwas ein, dann will ich es auch machen. Deshalb arbeite ich seit Jahren viel zu viel, das ist die Krux. Das Problem ist ein anderes: Eine Anwaltsserie im deutschen Fernsehen ist sehr viel komplizierter als im angelsächsischen Raum, wo viele Fälle über Geschworene und dann den Richterspruch gelöst werden. Bei uns gilt geschriebenes Recht, und im Grunde ist ein Fall erledigt, wenn er vor Gericht kommt. Das ist längst nicht so spannend wie im angelsächsischen Recht. Deshalb ist die Schwierigkeit nach mehr als hundert Folgen, immer noch Rechtsfälle zu finden, die uns selber auch begeistern.

Wie schaffen Sie das?

Der Spaß ist, dass ich praktisch für ein festes Ensemble schreibe. Das ist wie eine chemische Versuchsanordnung. Man fragt sich jedes Mal, was könnte ich dieser Figur jetzt antun, was könnte jetzt mit ihr passieren. Denn es gibt ja nicht nur die Rechtsfälle, sondern auch die Frage, was die mit unseren Figuren machen. Da denkt man sich dann immer neue Dinge aus, Konflikte, Zündstoff zwischen den Figuren, und kann ständig neue Facetten erfinden. So eine Serie trägt man einfach im Herzen. Anders bei einem Fernsehspiel, wo man von Null aus denkt, und am Ende ist es dann wirklich vorbei.

Wie ist es eigentlich, ein Drehbuch auch für die eigene Frau zu schreiben?

Sehr lustig. Wir haben schon ganz am Anfang unserer Beziehung gemerkt, es geht auf gar keinen Fall, dass meine Frau weiß, was ich schreibe. Es kann nicht sein, dass sie ans Set kommt und weiß, was in den nächsten 13 Folgen passiert und alle anderen nicht. Das war auch bei Dieter Pfaff so, mit dem ich eng befreundet war. Umgekehrt leidet man als Autor immer ein bisschen darunter, dass Regisseure und Produzenten auch Fantasien haben und beim Dreh gerne ein paar Sachen an den Büchern ändern. Das stört mich ganz am Ende nicht. Aber während des Prozesses ist das nervig, da will ich nicht hören, dass etwas anders gemacht worden ist. Auch nicht von ihr. Deswegen haben wir ganz früh entschieden: Es gibt Gesprächsverbot darüber.

Halten Sie das ohne Ausnahme durch?

Wir sind ja schon 20 Jahre verheiratet und 30 Jahre zusammen; wir haben uns bei Dreharbeiten kennengelernt und vorher lange zusammengearbeitet. Diese Ebene war lange vorher da, bevor wir zusammengekommen sind. Wir nehmen das sehr ernst, außer wenn die am Set eine Szene meines Buches nicht begreifen. Dann wird meine Frau schon mal von Kollegen gefragt. Ich habe mal in einem Buch eine Figur beschrieben, die eine Primel in der Hand hat. Für mich als Nicht-Botaniker ist Primel alles, was grün ist und wächst. Die Ausstatter für den Film waren verzweifelt, weil sie im Winter keine Primel auftreiben konnten. Bis meine Frau ihnen sagte: Der sagt immer Primel, wenn er ’ne kleine Blume meint.

Ist an Ihnen eigentlich auch mindestens ein Talent verloren gegangen, als Musiker oder Tänzer?

Nein, das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich stamme ja aus einer ganz armen Familie, und alle haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als ich auf die völlig bekloppte Idee kam, Geige zu spielen. Ich musste morgens Brötchen und nachmittags Wäsche ausfahren, um mir den Geigenunterricht leisten zu können. Nach einem Jahr hatte ich ein Stipendium auf dem Konservatorium in Lübeck und hatte den Status als eine Art Wunderkind.

Also doch Talent?

Dann bin ich nach Berlin gekommen und mit den Kindern von Dietrich Fischer-Dieskau, dem großen Opernsänger, und anderen Berühmtheiten in die Schule gegangen. Da war dieser Status ganz schnell vorbei. Und ich habe nach anderen Wegen gesucht, wie Tanz und Pantomime. Das waren aber alles Sachen, die ich beruflich nicht hätte ausüben können, dafür war ich nie gut genug.

Kennen Sie Angst vor einer Schreibblockade?

So etwas ist schrecklich. Die kennt jeder. Wer sagt, er kennt das nicht, der lügt. Wenn ich beim Schreiben über einen bestimmten Punkt nicht rüberkomme oder merke, etwas stimmt hinten und vorne nicht, alles ist Mist, es funktioniert überhaupt nicht, dann ist das eine wüste Quälerei. Meist dauert das eine Woche, die nicht nett ist. Danach lese alles noch mal und finde es meistens doch gar nicht so schlecht. Und plötzlich finde ich eine Lösung, und die Vorverkrampfung hebt sich auf. Außerdem arbeite ich nie an nur einem Projekt, sondern immer an fünf zur gleichen Zeit. Das hilft mir sehr, weil ich bei Problemen aus einem Projekt aussteigen und in das andere einsteigen kann. Damit schaffe ich mir Entspannung.

Die Mehrzahl Ihrer Filme sind Krimis oder zumindest kriminalistische Stoffe. Sind Sie eher ein Krimi-Typ?

Ich bin tatsächlich so einer, ich liebe Krimis. Aber es ist eben auch leider so, dass man bei uns mit der Wurst nach der Speckseite wirft: Das heißt, wenn etwas funktioniert, macht man das auch weiter. Und Krimi funktioniert im Fernsehen gut. Der Krimi bietet ein Gerüst, in dem sehr viel erzählt werden kann. Die Zuschauer wissen, sie werden mit einem Konflikt konfrontiert und am Ende mit der Lösung belohnt. Darauf können sie sich freuen und dazwischen kann ich viel über Neo-Nazis erzählen oder über soziale Probleme. Wenn man viel von diesen Sachen macht, wird man außerdem auch oft nicht mehr für anderes angefragt. Ich habe durchaus Komödien oder Liebesfilme gemacht und habe da gut funktioniert, trotzdem bin ich immer der „Krimi-Altmeister“. Ich würd’ sehr gern mehr Liebesfilme machen.

Warum hat es Sie nie aus Hamburg raus in andere Film-Metropolen gezogen?

Ich bin ja 1968 von Lübeck nach Berlin verschleppt worden, was ein echter Kulturschock war. Als es für mich dann um Film ging, wollte ich da auf keinen Fall wieder hin zurück. In Berlin waren immer alle superwichtig, jeder musste eigentlich einen Kultfilm machen, alles war unheimlich aufgeblasen, wozu auch die „Berlinale“ beiträgt. In München war das genauso. Hamburg hat dagegen ein super Understatement. In Hamburg machen die Leute einfach ihre Arbeit und halten die Klappe. Selbst jemand, der so erfolgreich und so toll ist wie Fatih Akin, macht nicht so eine Welle.

Warum ist das für Sie so wichtig in einem Genre, wo klappern doch auch zum Handwerk gehört?

Weil ich wirklich ein Fischkopp bin. Wir haben ja jetzt die Pandemieregel, dass man anderthalb Meter Abstand halten muss. Ich bin froh, wenn die vorbei ist, dann kann ich wieder zweieinhalb Meter Abstand halten. Ich bin tatsächlich ein ausgesprochener Höhlenbewohner, für mich sind Autor und auch Filmschnitt genau das Richtige, denn ich bin zurückhaltend und sehr zurückgezogen in meinem ganzen Leben. Ich glaube, das hätte in anderen Städten nicht funktioniert. Da wird erwartet, dass man rausgeht und sich zelebriert. In Hamburg kann ich so sein wie ich bin. Ohne schlechtes Gewissen haben zu müssen und ohne, dass es meinen Beruf schadet.

Wie ist das eigentlich, mit einer Frau verheiratet zu sein, die den schwarzen Karate-Gürtel hat?

Toll (lacht). Wir haben überhaupt eine klare Rollenaufteilung: Wenn gesägt werden muss oder gezimmert, dann ist das alles Frauensache. Das heißt, meine Frau hat nicht nur den Schwarzgurt, sondern sie ist handwerklich und bautechnisch einfach sensationell. Sie hat diese Ruhe, die durchs Karate kommt und muss das nicht beweisen. Und ich weiß, da ist jemand an meiner Seite, falls man mal in eine Schlägerei gerät (lacht).

Persönlich

Wenn ich mal nicht schreibe oder am Dreh bin ... dann gehe ich joggen im Niendorfer Gehege. Das muss ich regelmäßig machen, sonst könnte ich gar nicht arbeiten.

Neue Ideen bekomme ich am besten... beim Laufen und im Wartezimmer beim Arzt.

Meine Hobbys sind ... Musik, vor allem Gitarre spielen, und Wassersport: Stand-up-Paddling und Schwimmen.

Abschalten kann ich am besten ... am Meer, in unserem kleinen Ferienhaus an der Kieler Bucht beim Schwimmen oder Paddeln.

Mein Lieblingsplatz in Hamburg ist ... das Niendorfer Gehege.

Wenn ich mal nicht mehr schreibe oder Regie führe ... bleibt die Gartenarbeit, ich liebe es, Pflanzen zu hegen und pflegen. Aber die Vorstellung, nicht mehr zu schreiben, geht gar nicht.

Zur Person

Der Hamburger Thorsten Näter (69) ist einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren und Regisseure im deutschen Fernsehen. Für die bisherigen vier Staffeln von „Die Kanzlei“ mit 52 Episoden hat er alle Bücher geschrieben und ebenso für die im Herbst anlaufende fünfte Staffel. Auch für den Vorläufer „Der Dicke“, noch mit Dieter Pfaff in der Hauptrolle, war er schon der Autor.

Näter wurde in Hamburg in einfachen Verhältnissen geboren, mit sechs Jahren verschlug es seine Familie nach Lübeck und 1968 nach Berlin. Zum Studium ging er an die Hochschule für Fernsehen und Film nach München. Er lernte Violine und Klavier am Konservatorium in Lübeck und der Staatlichen Musikhochschule Berlin, später dann noch klassischen Tanz und Pantomime. Er arbeitete als Dozent für Filmschnitt in Berlin, bis er als Autor und Regisseur seine Berufung fand.

Seine Leidenschaft sind Krimis. Er drehte unter anderem „Tatort“, den „Bozen-Krimi“ und „Bella Block“. Seit 1990 lebt er wieder in Hamburg. Näter ist mit der beliebten Schauspielerin Katrin Pollitt verheiratet, die seit Anbeginn der Anwaltsserie eine der Hauptdarstellerinnen ist.

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