Im Interview

Vom Dorf auf die Bühne: Das rät Ina Müller jungen Talenten

Die Bühne war nicht Ziel Nummer eins und doch drängte es die Frau mit dem breiten Lachen und der lockeren Schnute aus dem Dorf auf Deutschlands Bühnen. Was sie heute jungen Talenten raten würde.

Montag, 03.10.2022, 08:15 Uhr
Moderatorin, Sängerin, Autorin: Die Wahlhamburgerin Ina Müller stammt aus dem Geestland im Landkreis Cuxhaven. Foto: Sony Music

Moderatorin, Sängerin, Autorin: Die Wahlhamburgerin Ina Müller stammt aus dem Geestland im Landkreis Cuxhaven. Foto: Sony Music

Von Katja Gallas

Wann hattest du zum ersten Mal das Gefühl „So, jetzt habe ich’s richtig geschafft?”

Ina Müller: Irgendwann hatte ich mein erstes Platinalbum in der Hand und jemand sagte: Deine Tour ist ausverkauft, und auf meinem Schreibtisch stand dieser frische Grimme-Preis. Da dachte ich: O.k., also viel mehr geht nicht. Den eigenen Erfolg dann aber auch anzuerkennen, sich mal draufzusetzen und zu genießen, das fällt mir bis heute immer noch schwer. Ich hab immer noch dieses „Bild dir da man bloß nichts darauf ein, freu dich bloß nicht zu doll“ in mir. Diese merkwürdige Bodenständigkeit, die ist geblieben.

Woher kommt diese Bodenständigkeit?

Das ist wohl eine Mischung aus Erziehung und Dorfleben: Was denken die Leute, mach dies nicht, sag das nicht. In der Stadt habe ich das Gefühl gar nicht mehr, auf der Bühne oder in den Sendungen auch nicht, aber sobald ich wieder in Köhlen bin, ist es lustigerweise wieder da. Das sitzt wohl ganz fest drauf auf der DNA. Es war halt damals auch eine andere Erziehung und ein anderes Aufwachsen als heute.

Wie ist dir der Schritt raus aus dem Dorf und rein in das doch spektakuläre Leben gelungen, das du heute führst?

Ich war wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hab dann die richtigen Menschen kennengelernt. Ich habe Wettbewerbe mitgemacht und zum Glück auch gewonnen. Und ich habe nie etwas verkrampft vorangetrieben, aber auch nicht ständig Nein gesagt. Ich habe einfach laufen lassen, und ich war fleißig.

Aus dem Nichts kam deine Karriere aber sicher auch nicht. Was meinst du, hat die „richtigen Menschen“ überzeugt?

Vieles habe ich ja dem Plattdeutschen zu verdanken. Ich saß in einer NDR-Talkshow, weil ich plattdeutsche Geschichten geschrieben habe. Danach bekam ich eine Fernsehsendung im NDR und habe Land und Liebe moderiert. Ich bin mit einer plattdeutschen Lesung mit Musik auf die Bühne gegangen, weil ich dachte: Das macht Spaß, und ich muss nicht mehr ständig mit der Regionalbahn quer durch die Republik gurken. Und das lief dann - BAM - so erfolgreich, dass bei einer plattdeutschen Show im Sankt Pauli Theater in Hamburg die Sony-105-Chefs saßen und kein Wort verstanden haben, aber unbedingt mit mir arbeiten wollten. Und da war ich eben schon 40, Katja. Da gehen Popstars eigentlich in Rente, und ich unterschreibe meinen ersten Major-Deal. Das war schon schräg.

Trotzdem hast du irgendwann beschlossen, erst mal nicht mehr auf Platt zu touren. In einem Interview hast du gesagt, dass du zu sehr mit dem Thema Heimat verbunden wirst. Warum wäre das schlimm?

Es ist nicht wirklich schlimm, aber es ist eben auch nicht wirklich meins. Heimat hat für mich viel mit Bewahren oder Festhalten von etwas zu tun. So ticke ich aber nicht. Ich wollte immer schon lieber Neues sehen, Neues entdecken, statt Altes zu bewahren. Sprache verändert sich, Leben verändert sich und dafür bin ich frei und offen. Und ich habe mich immer schon europäisch gefühlt. Deshalb war mir schnell klar, nur plattdeutsch unterwegs sein, dafür habe ich mich zu jung gefühlt. Das heißt aber nicht, dass da nie wieder was kommt. Ich mag meine Heimat, meine Sprache und habe dem Plattdeutschen echt viel zu verdanken. Ich singe am besten auf Platt und träume auf Platt - das ist wirklich wichtig für mich.

Deine Karriere hat mit 40 einen Quantensprung gemacht. War dir das zu spät?

Die spannendsten Jahre sind ja eigentlich die ersten 35, oder? Weil da alles passiert, sprechen lernen, schreiben lernen, Sprachen lernen, schwimmen lernen, sich verlieben und wieder trennen, die Ausbildung machen, Kinder kriegen. Man lernt da jeden Tag etwas Neues. Zwischen 40 und 90 ist doch eigentlich nur noch arbeiten, motzen und Beerdigungen (lacht). O.k., das ist natürlich etwas überspitzt, aber man macht doch ab 40 nur noch selten Dinge zum ersten Mal. Deshalb war ich ja ganz froh, dass da bei mir mit 40 beruflich noch mal so viel passierte, dass mir richtig schwindelig wurde.

Sängerin und Fernsehmoderatorin Ina Müller singt bei der Gala der "Nacht der Legenden" in Hamburg. Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Sängerin und Fernsehmoderatorin Ina Müller singt bei der Gala der "Nacht der Legenden" in Hamburg. Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Hättest du so einen schwindelerregenden Erfolg erlebt, wenn du hier in der Ecke geblieben wärst?

Das kann ich ganz schlecht beantworten, weil ich wohl nicht in der Ecke geblieben wäre. Und dabei ging es für mich weniger drum, vom Dorf wegzukommen, sondern ich wollte unbedingt in die Stadt. Führerschein machen, Ausbildung machen, und dann weg. Und da war ich ja auch nicht die Einzige, das war ja nicht ungewöhnlich. Wirklich wichtig für meinen musikalischen Weg waren aber die Angebote, die mir die Schule damals gemacht hat. Ich habe da sechs Jahre Gitarrenunterricht gehabt und später in einer Schulband mitgespielt. Heute ist Musik, Kunst und Sport doch das Erste, was eingespart wird. Ich bin da musikalisch erzogen worden und ohne dem wäre wohl nichts von dem passiert, was später in meinem Leben passiert ist.

Kontakte knüpfen und sichtbar in der Szene werden - das sind gute Argumente für einen Umzug vom Land in die Stadt. Glaubst du, dass es heute mit Internet und den sozialen Medien noch wichtig für die Karriere ist, wo ein Künstler wohnt?

Das kulturelle Leben findet nun mal hauptsächlich in der Stadt statt. Mich würde das Pendeln vom Dorf in die Stadt zu den Auftrittsorten, allein die Zeit dafür, nerven. Und inhaltlich erlebt man in der Stadt natürlich auch etwas anderes als auf dem Dorf. Man kann aus größerer Nähe gesellschaftliche Veränderungen beobachten und ganz andere Geschichten erzählen. Auf dem Land ist da noch mehr heile Welt. Das kann natürlich auch toll sein, sind dann aber vielleicht andere Geschichten oder Lieder.

Was würdest du jungen Menschen heute mit auf den Weg geben, die, wie du früher, heute auf dem Dorf sitzen und als Künstler durchstarten wollen?

Ich habe früher nicht auf dem Dorf gesessen und gedacht, ich will auf die großen Bühnen. Ich wollte nur in die Stadt. Aber würde es mich heute vom Dorf auf die Bühne ziehen, würde ich mir mal als Erstes von Freunden und Familie mein Talent bestätigen lassen und mich vor kleinem Publikum ausprobieren, vielleicht in AGs an der Schule. Einfach ein bisschen das Talent abklopfen. Und dann ab zu YouTube, Instagram, TikTok.

Und das reicht?

Keine Ahnung, auf jeden Fall war es doch noch nie so leicht wie heute - egal ob Dorf oder Stadt - sich öffentlich zu präsentieren. Die sozialen Plattformen sind voll davon, und eigentlich doch genau dafür gemacht. Wenn es um das analoge Auftreten geht, stehen die Chancen besser in der Stadt. Da gibt es einfach viel mehr kleinere Bühnen und viel mehr Publikum, das dich entdecken kann. Also nach Hamburg gehen, oder noch mehr Auftrittsmöglichkeiten gibt es in Berlin. Du musst in die Stadt und Leute um dich haben, die dir helfen können. Wenn es dann läuft, kannst du ja jederzeit wieder zurück. Zum Beispiel Alli Neumann, Musikerin und Schauspielerin, war auch erst in Berlin, dann in Hamburg und ist jetzt wieder zurück aufs Dorf gezogen.

Kannst du dir vorstellen, irgendwann wieder zurück aufs Dorf zu ziehen?

Nein. Wenn ich hier so sitze und mich jemand fragt, ob ich alles noch mal genauso wieder machen würde, würde ich sofort sagen: Ja. Ich fühle mich wohl, wo ich bin. Sollte ich mich in zwei Jahren dafür entscheiden, dass ich jetzt alles gemacht habe und es reicht, würde mir der Schritt raus aus der Öffentlichkeit auch nicht schwerfallen. Vielleicht mach ich dann auch ein modernes Ohnsorg-Theater 2.0. Wir haben mit Inas Nacht ja auch die Haifischbar 2.0 geschafft. Aber Musik ist und bleibt das Größte - egal ob auf’m Dorf oder in der Stadt!

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