T Stader Clan-Prozess: Morddrohungen gegen die Familie des Angeklagten

Vor dem Landgericht in Stade herrscht ein großes Polizeiaufgebot. Foto: Vasel
Der Mordprozess gegen ein Stader Clan-Mitglied ist am Mittwoch fortgesetzt worden. Es gab Morddrohungen - und ein tränenreiches Video.
Stade. Unter großem Polizeischutz ist am Mittwoch der Prozess um einen Mord im Clan-Milieu vor dem Stader Landgericht fortgesetzt worden. Die Einsatzkräfte sperrten die Ritterstraße ab. Ermittler der Polizeiinspektion Stade für den Bereich der Organisierten Kriminalität warfen ein Auge auf Fahrzeuge und Mitglieder des Miri- und des Al-Zein-Clans. Diese hielten sich bereits kurz nach 8 Uhr in der Stader Altstadt auf. Im Vorfeld hatten Polizei und Gericht bereits von einer „besonderen Gefährdungslage“ bei dem Prozess vor der 1. Großen Strafkammer gesprochen.
Morddrohungen gegen Familie des Angeklagten
Leib und Leben des Angeklagten, von Verfahrensbeteiligten oder Zuschauern seien möglicherweise gefährdet, betonte der Vorsitzende Richter Erik Paarmann vor dem Start der Verhandlung in einer sitzungspolizeilichen Verfügung. Das zeigte sich erneut am zweiten Verhandlungstag - im und vor dem Schwurgerichtssaal. Wachtmeister mussten die Eltern des Angeklagten von Mitgliedern der Opferfamilie abschirmen.
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Erneut kam es zu Zwischenrufen - in arabischer Sprache. In einer Pause seien „Drohungen gegen die Miris ausgesprochen worden“, berichtete die Verteidigerin Dinah Busse. Sie und ihr Kollege Dr. Dirk Meinicke hätten Strafanzeigen gestellt. Offenbar habe es „Morddrohungen“ gegen die Brüder des Angeklagten Mustafa M. (34) gegeben.
Die Worte „Deine Söhne sind tot“ und weitere Drohungen sollen in Richtung der Eltern gefallen sein, offenbar in arabischer Sprache. Meinicke appellierte erfolglos an den Vorsitzenden Richter, einen Dolmetscher in den Saal zu setzen. Offenbar versuche die Großfamilie Rachid Al-Zein den Angeklagten und seine Familie sowie die Verteidiger einzuschüchtern. Das Gericht müsse für einen ordnungsgemäßen Prozess sorgen.
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Paarmann sah für einen Dolmetscher keine Rechtsgrundlage. Er habe keinen Ermittlungsauftrag. Dieser sei Sache von Polizei und Staatsanwaltschaft. Paarmann warnte allerdings die Störer. Ihnen drohe bei Zwischenrufen im Saal ein Ordnungsgeld und der Rausschmiss. Hinter den Kulissen gab es eine Verständigung - innerhalb der Familien. Die Witwe, so hieß es, und andere Zwischenrufer aus dem Kreise der Familie Rachid Al-Zein verließen das Gericht. Danach herrschte Ruhe. Die Al-Zeins dominierten die Zuschauerreihen.
Zu Beginn des Tages standen Formalien. Doch diese hatten es in sich. Zeugen des blutigen Clan-Streits kämpfen noch heute mit ihren Erinnerungen an die Auseinandersetzung und den tödlichen Messerangriff. Der Vorsitzende Richter kündigte die Videovernehmung einer Zeugin im Laufe der nächsten Verhandlungstage an. Diese leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Ermittlungsrichterliche Vernehmung als Video vorgespielt
Das Gericht stieg mit der Vorführung eines Videos von der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter in Stade im Mai 2024 ein. Ton- und Bildqualität waren schlecht, die Aussage des Angeklagten für die Zuschauer teilweise nur bruchstückhaft verständlich. Trotz miserabler Tonqualität offenbarte es die aufgeheizte Stimmung, die am Tattag zwischen dem Miri- und dem Al-Zein-Clan herrschte. In dem Video gab der aussagewillige Angeklagte zu, seinem Opfer ein Messer in den Körper gestoßen zu haben. Er schilderte den Tagesablauf am 22. März, vom Frühstück bis zur Flucht nach der Bluttat vor der Brücke am Salztor.

Blick in die abgesperrte Ritterstraße. Foto: Vasel
Auf seinem Smartphone habe er morgens einige Nachrichten aus seiner Shisha-Gruppe gelesen. Zwischen den Clans tobte ein Wirtschaftskrieg. Angehörige der Großfamilien betrieben und betreiben Shisha-Shops und -Bars. „Es ging um Preise“, sagte Mustafa M. in dem Video. Auch sein späteres Opfer Khaled R. aus Stade („wir kannten uns flüchtig, und grüßten uns freundlich“) hatte dem Buchholzer Mustafa M. geschrieben. Die Neueröffnung eines Shisha-Ladens durch die Al-Zeins in Buchholz und die Rabattschlacht und Sortimentserweiterung in einem Sportshop in der Hökerstraße in Stade standen am Beginn des Streits.
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Er weint und schluchzt auf dem Video bei der Aussage
„Jetzt ist die Zeit gekommen“, habe es geheißen. Er las eine Textnachricht des später Getöteten. Kurzum: Es braute sich etwas zusammen. Eigentlich, so Mustafa M., hätten sie im Ramadan, für sie ein Monat der Besinnung, keinen Streit erwartet. Er sei nach Stade gefahren - in das Geschäft seines Bruders. Gemeinsam mit einem weiteren Bruder erlebten sie schließlich den Angriff der Al-Zeins mit Teleskopschlagstöcken, Baseballschläger, Messer und CS-Gas. Scheiben des Miri-Geschäftes in der Hökerstraße seien eingeschlagen worden - in aller Öffentlichkeit. Die Familie stand unter Schock, so der 34-Jährige. Kinder seien im Laden gewesen, das sei für ihren Kulturkreis ein Tabu. Die Al-Zeins hätten „keinen Respekt“.
Die Auseinandersetzung habe sich an das Salztor verlagert. Er weint und schluchzt auf dem Video bei der Aussage. Einer der Nebenkläger fixiert ihn mit festem Blick. Auf der Brücke sei auf seinen Bruder eingetreten worden. Da sei er losgelaufen. „Ich habe nichts gehört und nichts gesehen, alles geschah in Sekundenbruchteilen. Wie im Tunnelblick“, erzählt der 34-Jährige im Video, „ich sehe noch, wie der Typ zuschlägt“, später beschreibt er dessen Blick als zornig und böse, „dann habe ich zugestochen.“ Weinend setzt er fort: „So eine Scheiße, was ich da gemacht habe.“ Und auch im Sitzungssaal wirkt der Angeklagte deutlich angefasst. Seine Verteidigerin reicht ihm Taschentücher.
Er flüchtete vom Tatort - und wurde am 6. Mai festgenommen. Gegenüber dem Haftrichter erzählte er, dass er davon ausgegangen war, dem Getöteten in die Schulter gestochen zu haben. Als er von dem Stich in den Kopf gehört habe, habe er das zunächst abgestritten und nach einer zweiten Stichverletzung gefragt. Doch die gab es nicht. Der Prozess wird am Freitag, 15. November, 9.30 Uhr fortgesetzt - unter Polizeischutz und mit massiven Sicherheitskontrollen.

Der 34-jährige Angeklagte (Mitte) steht zu Prozessbeginn zwischen seinen Anwälten Dinah Busse (links) und Dr. Dirk Meinicke in einem Verhandlungssaal des Landgerichts. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, im März 2024 einen 35-Jährigen mit einem Messerstich in den Kopf getötet zu haben. Foto: -/dpa Pool/dpa