T80-jähriger Lüneburger kämpft unermüdlich für selbstbestimmtes Sterben
Hans-Jürgen Brennecke von der Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e.V. Der 80-jährige Lüneburger kämpft unermüdlich für selbstbestimmtes Sterben. Foto: Philipp Schulze/dpa
Immer wieder wird in Deutschland über Regeln für Sterbehilfe diskutiert. Das Bundesverfassungsgericht hat vor fünf Jahren ein Urteil gefällt. Mehr brauche es nicht, sagt Hans-Jürgen Brennecke.
Lüneburg. Der kleine Veranstaltungsraum in der Lüneburger Altstadt ist überfüllt, nicht alle Interessierten finden Platz für den Vortrag von Hans-Jürgen Brennecke. Der 80-Jährige bietet spontan einen zweiten Termin an, einige gehen wieder - 90 Besucher bleiben trotz 30 Grad Hitze an diesem Sommernachmittag. Sie haben etliche Fragen zum selbstbestimmten Sterben.
„Es gibt so viele Missverständnisse, Gerüchte, die im Umlauf sind“, bestätigt der Lüneburger zu Beginn. Brennecke gehörte zu den Klägern, die 2020 gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) für die derzeitige Regelung zum begleiteten Suizid stritten. Zwei Tage nahm er an der Verhandlung in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht teil.
Hans-Jürgen Brennecke will vorbereitet sein
Sein Fazit: Keiner müsse mehr in die Schweiz fahren, betont der streitbare Senior, der zwar fit wirkt, aber neben einer Krebserkrankung andere schwere Gesundheitsprobleme bewältigt hat. Er möchte vorbereitet sein, wenn er an einen Punkt kommt, an dem er nicht mehr leben möchte. Dadurch lebe es sich sorgenfreier.
„Es spricht sich langsam herum, dass es eine Möglichkeit gibt, wenn man einfach die Nase voll hat, lebenssatt ist“, erzählt der ehemalige Diplompädagoge. Auch Ärzte dürften helfen, niemand müsse ins Ausland reisen. Etwas kompliziert sei es trotzdem, das beweisen auch Dutzende Nachfragen der Zuhörer.
Aktive Sterbehilfe bleibt verboten
Nein, Ärzte dürfen ein Medikament nicht verabreichen, nur den Patienten begleiten, damit er den letzten Schritt selbst machen kann. Das könne das Einnehmen einer Pille, eines flüssigen Medikaments oder sogar lediglich die Vorbereitung einer Infusion sein. Das Rädchen am Tropf muss selbst in Gang gesetzt werden. Deswegen ist es der begleitete letzte Akt, der aktive ist in Deutschland verboten.
Erlaubt ist immer der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, wenn das dem Willen des Patienten entspricht. Die Beihilfe zur Selbsttötung ist straffrei - sie kann in der Beschaffung oder Bereitstellung eines tödlichen Mittels bestehen, das der Patient selbst einnimmt.

Kirstin Linck (l) und Hans-Jürgen Brennecke von der Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V. Foto: Philipp Schulze/dpa
Brennecke ist vor Jahren in die DGHS eingetreten. Die Mitgliederzahl ist nach Angaben der Gesellschaft in den zurückliegenden Jahren sehr stark angestiegen. „Pro Monat wachsen wir im Schnitt um 1.500 Neu-Mitglieder, zurzeit verzeichnen wir 45.000 Mitglieder“, schreibt eine DGHS-Sprecherin.
Brennecke erklärt es damit, dass sich nach dem Urteil vor fünf Jahren nun allmählich der Stau der Anfragen auflöse und mehr Menschen von der Möglichkeit erfahren.
Schlechter Wissensstand
Erst nach und nach wird die Rechtslage bekannt. Bei einer Forsa-Umfrage im DGHS-Auftrag gaben 83 Prozent der Befragten im Oktober 2024 an, sie glaubten, eine Hilfe zur Selbsttötung sei in Deutschland strafbar.
Im vergangenen Jahr wurden von der DGHS 625 Fälle vermittelt, bei Dignitas Deutschland hat es 183 und beim Verein Sterbehilfe 171 begleitete Sterbehilfen gegeben, wie es weiter hieß. „Bei etwa einer Million Sterbefällen allgemein in Deutschland pro Jahr ist die Rate derer, die durch Suizidhilfe verstirbt, zurzeit gering, etwa 0,1 Prozent“, so die DGHS. Das Durchschnittsalter liege bei 79 Jahren. Wegen der demografischen Entwicklung könnten die Zahlen noch steigen.
Das kostet der begleitete Suizid
Sechs Monate muss man Mitglied sein - um Kurzschlusshandlungen auszuschließen - und für den dann entscheidenden Schritt 4000 Euro an die Helfenden zahlen, erklärt Kirstin Linck von der DGHS-Lüneburg.
Ein Jurist und ein Arzt prüfen Entscheidungsfähigkeit und Freiwilligkeit, ob kein Druck von anderen Personen dahintersteckt, der Entschluss länger und wohlerwogen ist und alternative Wege zum Sterben bekannt sind.
Das wird in einem Protokoll festgehalten. Das Verfahren soll transparent sein, eine medizinische Untersuchung gibt es nicht. Verwandte oder Begleiter dürfen im letzten Moment dabei sein. Bis dahin sei auch alles widerrufbar, versichert Linck.
„Jeder Mensch hat das Recht, mit Unterstützung aus dem Leben zu scheiden“
Die Verwaltungsbeamtin bei der Polizeidirektion ist fast blind und entschloss sich bereits mit 27 Jahren zu einer Lebensmitgliedschaft, falls sie einmal in einen schweren Unfall verwickelt sein sollte. Als Vorsichtsmaßnahme, erzählt die 55-Jährige: „Jeder Mensch hat das Recht, mit Unterstützung aus dem Leben zu scheiden“.
Kritisch sieht die Deutsche Stiftung Patientenschutz die gestiegene Zahl begleiteter Suizide. „Von den rund 10.000 Suiziden jährlich gehen mehr als 1.200 auf das Konto der Sterbehilfeorganisationen. Das sind mehr als zehn Prozent mit steigender Tendenz“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Er sprach von einem „Geschäftsmodell mit der Selbsttötung“, das den Sterbehilfeorganisationen Millionen in die Kassen spüle.
Viele Pflegeheime tolerieren begleiteten Suizid nicht
Das treffe auf die DGHS nicht zu, sagt Brennecke, da ihre Prüfleistung kostenfrei und sie eine Patientenschutzorganisation sei sowie mit dem Geldfluss nichts zu tun habe. Er weist darauf hin, dass viele Pflegeheime den begleiteten Suizid nicht tolerierten. Sie hätten Hausrecht.
„Jeder muss es für sich entscheiden“, sagt Jürgen Schubert, Vorstandsmitglied des Ambulanten Hospizdienstes Uelzen. „Ich habe großen Respekt vor jeder Entscheidung“, betont der ehemalige Leiter der Mordkommission im Landkreis Harburg. Er begleitet eine 80 Jahre alte Bekannte zum Vortrag. (dpa)