TAbschied mit Wehmut: Das Ende einer Ära beim TAGEBLATT
Ein letztes Mal: Michael Rueß hängt die Druckplatten ein. Foto: Richter
Der Arbeitstag des Druckers Olaf Kavelmacher beginnt wie immer: mit schwarzem Kaffee. Um 21 Uhr hält er den dampfenden Becher in der Hand. Doch dieser Abend ist anders.
Stade. Abends um 21 Uhr ist das Druckzentrum am Sonntag fast leer. Olaf Kavelmacher sitzt allein vor seinem Monitor im CTP-Raum. Wie immer ist er als Erster der Schicht gekommen, um in Ruhe alles vorzubereiten. In Ruhe - aber nicht leise. Aus seinem Bose-Lautsprecher ballert Berliner Elektropop von Großstadtgeflüster. Die Stimmung ist trotzdem besinnlich: Kavelmacher steht vor der Belichtungsmaschine und erzählt von alten Zeiten.
Olaf Kavelmacher zeigt, wo die Druckplatten beschichtet werden.
1991, als er in der Druckerei des Stader TAGEBLATT anfing, war er 30 und die CTP-Technik war gerade eingeführt worden. CTP heißt Computer to Plate: Die Seiteninhalte werden vom Computer direkt in den Belichter geschickt und auf die Druckplatten belichtet. Vorher wurde mit Linotype gearbeitet: Der Setzer tippte Buchstaben, die in eine Matrize, eine metallene Gussform, fielen und zu einer Zeile gereiht wurden. Die fertige Zeile wurde mit einer Bleilegierung ausgegossen.
Als die Überschriften noch von Hand gesetzt wurden
Der 65-jährige Frank Peise, der zwei Flure weiter sitzt, hat das noch gelernt. Weil er technisch interessiert und gut in Deutsch war, begann er 1976 eine Lehre als Schriftsetzer beim TAGEBLATT. Damals umwehte noch ein Hauch von Johannes Gutenbergs schwarzer Kunst die Druckerei.
„Die Zeilen wurden gegossen, die Überschriften haben wir noch von Hand gesetzt“, berichtet er. Mit großen Augen habe er vor den Maschinen gestanden. Früher kamen die Spiegel auf Papier, die Redakteure zeichneten mit Bleistift und Typometer auf, wie die Seiten aussehen sollten, die Setzer bauten alles zusammen. Heute sitzt Peise allein vor drei Computerbildschirmen und blickt auf den Seitenspiegel der morgigen Ausgabe. „Alles kommt fertig hier an. Das macht nicht mehr so viel Spaß.“
Mit einem Knopfdruck schickt er die Seiten zu Kavelmacher in den CTP-Raum, wo die Druckplatten aus der Belichtungsmaschine rollen. Immer vier pro Seite, denn hier wird CMYK gedruckt. Zu Deutsch: in vier Farben übereinander. C wie Cyanblau, M wie Magentarot, Y wie Yellow, also gelb, und K wie Key, also Schlüssel. „Schwarz ist die Schlüsselfarbe“, erklärt Olaf Kavelmacher.
Er ist in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen, lernte Elektriker und arbeitete im Kernkraftwerk Greifswald, als die Wende kam. Das Kernkraftwerk wurde geschlossen, er suchte eine neue Arbeit und landete schließlich in der Druckerei in Stade, wo es ihm gefiel. Er holte seine Familie nach, sie kauften ein Haus.
Papier- und Energiekosten explodierten
Drucker hat Kavelmacher dann auch noch richtig gelernt. Genau wie André Kunz, der 42-jährige Druckereileiter. Er hat keinen Dienst, doch er will seinem Team noch alles Gute sagen - für die letzte Schicht und für die berufliche Zukunft. Nicht alle haben schon einen neuen Job, aber die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist aussichtsreich.
Dafür, dass die Ära des Zeitungsdrucks in Stade nach 153 Jahren zu Ende geht, gibt es eine einfache Erklärung, sagt er: die Kosten. Rohstoffe, Herstellung, Energie - alles ist teurer geworden, erst durch die Pandemie, dann infolge des Ukrainekriegs. Papier kostet aktuell 560 Euro pro Tonne, aber im Oktober 2022 waren es 1000 Euro. Gleichzeitig sinkt die Auflage, wenn auch beim TAGEBLATT etwas langsamer als bei fast allen anderen lokalen Tageszeitungen. Aber sie sinkt.
Kultiger Aberglaube rund um den Druck
Die Rotationsmaschine mit ihren vier Etagen, in denen die Drucker sich bewegen, ist komplex - und alt. Je älter sie wird, desto anspruchsvoller wird sie. „Zeitungsdruck kannst du nur mit Leidenschaft machen, sonst hältst du das nicht durch. Und ohne ein gutes Team bist du nichts“, sagt der 29-jährige Drucker Mattias Bauer.
Um den Druck ranken sich kultige Aberglauben: Das Licht im Werkstattraum ganz unten darf nie ausgehen. Der Kalender im Kontrollraum muss um Punkt zwölf Uhr auf den richtigen Tag weitergestellt werden. Die Maschine nie loben, das bringt Unglück. Und nie, wirklich nie, dürfe man sagen: Heute will ich früher gehen.

Blick in die Druckmaschine im Magenta-Bereich. Foto: Richter
Der schwarze Freitag im Oktober 2024
„Wenn wir mal nicht weiterkamen, haben wir immer Olaf angerufen“, sagt der 35-jährige Michael Rueß. Keiner kann sich erinnern, dass die Zeitung mal nicht erschien. Bis zum 25. Oktober 2024: Sehr spät in der Nacht gab es einen technischen Defekt. Den Mitarbeitern, die erreichbar waren, gelang es nicht, ihn gleich zu reparieren. Für ein Ausweichen auf eine andere Druckerei war es zu spät.
Die letzte Nacht der Drucker
Sechs Mal pro Woche wurden im Stader Druckzentrum zuletzt gut 20.000 Zeitungen gedruckt - erst das Buxtehuder, dann das Altländer, dann das Stader TAGEBLATT. Dazu das Mittwochsjournal, das dienstags tagsüber gedruckt wurde.
Olaf Kavelmacher weiß noch aus dem Kopf, wie viele es in etwa täglich waren, als er 1991 im Stader Druckzentrum anfing: rund 37.000 Stader, 18.000 Buxtehuder und 5000 Altländer Tageblätter, dazu 11.000 Exemplare der Niederelbe-Zeitung und rund 10.000 der Bremervörder Zeitung. Die beiden Letzteren werden schon länger in Bremerhaven bei der Nordsee-Zeitung gedruckt. Nun kommt das TAGEBLATT dazu.
Mattias Bauer und Michael Rueß haben in der Rotation alles vorbereitet. 2,5 Tonnen Papier werden heute benötigt, etwas mehr als eine Rolle, die 23.300 Meter lang ist. Sie würde von Buxtehude bis Stade reichen. Heute ist es früh, noch vor Mitternacht, als die Maschine anläuft. Sie stampft, piept, rattert. Die Papierbahn saust über Rollen und Etagen, das Bild auf dem Papier wird bunter und klarer. Bauer und Rueß im Kontrollraum überwachen auf mehreren Monitoren alle Bereiche, ziehen Proben, prüfen Farbe und Klarheit des Drucks.

Jetzt wird abgewickelt: Matthias Bauer hat das letzte Papier aus dem Druckturm gezogen und wirft es nach unten. Foto: Richter
Plötzlich bricht Stress aus: Der Wasserbehälter ist leer, die Farbe wird nicht mehr richtig abgespült, das ganze Papier hat plötzlich eine Regenbogen-Schattierung. Doch dann merken Bauer und Rueß: Das Auflagen-Soll war gerade eben schon erreicht worden. „Ist doch gut. Jetzt müssen wir den Behälter nicht mehr leer pumpen“, sagt Olaf Kavelmacher. Nebenan, in der Versandhalle, hat Umut Dayanc sich darum gekümmert, dass an den Förderbändern alles glattläuft. Versandleiter Philipp Danz und sein heute dreiköpfiges Team sorgen dafür, dass die Zeitungen in plastikumhüllten Paketen à 60 Stück auf Wagen gestapelt an die Rampe kommen. Die Fahrer warten schon.
Ein Feuer gegen die Wehmut
Bauer und Rueß turnen ein letztes Mal in der Rotation herum: Sie ziehen das übriggebliebene Papier aus den Walzen, knüllen es zusammen und sehen zu, wie es an den Drucktürmen entlang zu Boden segelt. Auf den Abschied haben sie sich gut vorbereitet. Der Abend ist kühl, sie machen ein Feuer gegen Kälte und Wehmut: Um 2 Uhr morgens werfen sie direkt vor dem Eingang den Grill an. Mit Bratwurst und Nudelsalat auf dem Pappteller und einem Bier in der Hand prosten sie den Zeitungsboten zu, die vom Hof fahren - mit dem letzten TAGEBLATT, das in Stade gedruckt wurde.
Abschiedsfeier: Um 2 Uhr morgens haben die Drucker den Grill angeschmissen. Foto: Richter

Die Letzte Nacht der Druckerei vom 29. 6. auf den 30.6.2025. Foto: Richter