TAbschuss im Eilverfahren: Der Problemwolf-Plan und die Reaktionen

Bislang muss für eine Abschussgenehmigung derselbe Wolf zweimal Weidetiere gerissen und dabei jeweils Schutzzäune überwunden haben. Foto: Christian Charisius/dpa/Symbolbild
Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat ihren Punkteplan vorgelegt, wie Wolfsabschüsse künftig erleichtert werden sollen. Die Regelung muss dabei nationales und europäisches Recht umgehen. Nimmt Niedersachsen an?
Bundesumweltministerin Steffi Lemke will schnellere Abschüsse von Wölfen erleichtern, um Schafe und andere Weidetiere zu schützen. Dies solle in bestimmten Regionen möglich werden, wenn ein Wolf ein Weidetier gerissen und Schutzvorkehrungen wie einen Zaun überwunden hat, wie die Grünen-Politikerin am Donnerstag in Berlin sagte.
Dann solle per Ausnahmegenehmigung 21 Tage lang auf den Wolf geschossen werden dürfen - und zwar im Umkreis von 1000 Metern um die Weide. Ohne dass wie bisher erst eine DNA-Analyse abgewartet werden müsse. Dieser Weg sei praktikabel und unkompliziert ohne nationale oder europäische Gesetzesänderungen umsetzbar. Konkret sieht Lemkes Vorschlag vor, dass die Bundesländer bestimmte Regionen mit vermehrten Rissen durch Wölfe festlegen.
Die Bundestags-Unionsfraktion forderte die Ministerin auf, sich für die Herabsetzung des Schutzstatutes des Wolfes einzusetzen. Das wird derzeit auf EU-Ebene geprüft. Der Wolf ist naturschutzrechtlich streng geschützt.
Wolfsabschüsse erleichtern: Abschussgenehmigung erst kommende Saison
„Dort wo Wölfe Schafe reißen, (...) müssen wir diese Wölfe schießen, weil sie gelernt haben, dass man dort leichte Beute machen kann“, sagte Lemke am Donnerstag in Berlin. Ein anlassloses Abschießen von Wölfen dürfe es aber weiter nicht geben, sagte Lemke. Kritik kam von Bauernverband und Union, Lob von Umweltverbänden.
Lemke sagte, der Prozess zu einer Abschussgenehmigung habe bisher zu lange gedauert. Ziel sei eine schnelle Regelung für die Tierhalter, da mit wachsenden Wolfspopulationen zunehmend Risse zu verzeichnen seien. Dies habe dazu geführt, dass die Frustration groß und die Akzeptanz des geschützten Wolfes in Gefahr sei.
Eine Abschussgenehmigung solle innerhalb weniger Tage vorliegen können, sagte Lemke. Ein Riss-Gutachter solle feststellen, ob es sich tatsächlich um einen Wolfsriss handelt und ob es einen Herdenschutz gibt. Zur Begründung der geplanten 21-Tage-Frist verwies Lemke auf Untersuchungen aus Schweden, nach denen das Risiko eines erneuten Übergriffs in einem nahen Umkreis nach einem Riss besonders hoch sei. Eine DNA-Analyse solle weiter gemacht werden - um im Nachhinein zu prüfen, ob der richtige Wolf getroffen wurde.
Umgesetzt werden sollen die neuen Regeln laut Lemke-Ministerium durch einen Beschluss der Umweltministerkonferenz im November. Die Länder können die Abschussregeln demnach dann mit oder ohne eigene Rechtsverordnungen umsetzen. Ziel sei es, dass sie zu Beginn des neuen Jahres greifen. Lemke betonte, dies sei ein praktikabler und unkomplizierter Weg ohne nationale oder europäische Gesetzesänderungen.
Niedersachsen will Plan für Wolfsabschuss zügig umsetzen
Niedersachsens Landesumweltminister Christian Meyer hat angekündigt, den Vorschlag von Bundesumweltministerin Steffi Lemke für einen leichteren Abschuss von Wölfen in Niedersachsen zügig umsetzen zu wollen - möglichst schon 2024. „Das ist unser Ziel. Ein einstimmiger Beschluss der Umweltministerkonferenz für dieses Verfahren und dann werden wir das so schnell wie möglich auch in Niedersachsen in die Praxis umsetzen und dann auch realiseren“, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag im Landtag in Hannover.
Umweltminister Meyer sagte, das vorgeschlagene Verfahren sei rechtssicher umsetzbar und mit dem strengen Schutz des Wolfes vereinbar. Bei der Bestimmung der Regionen solle es „sehr großen Spielraum“ für die Länder geben. Das Verfahren sei ein Einstieg in ein regional differenziertes Wolfsmanagement. Dieses habe Niedersachsen immer gefordert, so der Minister.
Landtagsabgeordnete Corinna Lange (SPD) aus Deinste sagte: „Es ist wichtig, dass künftig Wölfe nach einem Riss schnell und ohne DNA-Probe entnommen werden können. Aber das bleibt eine Entnahme von Problemwölfen. Für unsere Region, die existenziell auf einen guten Deichschutz angewiesen ist, brauchen wir ein echtes Bestandsmanagement - unabhängig von Weidetierrissen.“
Die CDU-Fraktion im Landtag wertete den Vorschlag der grünen Bundesministerin als Schritt in die richtige Richtung - nicht aber als ein Einstieg in ein regionales Bestandsmanagement.
Landkreis Stade will Antrag auf Wolfsentnahme stellen
Landrat Kai Seefried hatte bereits angekündigt, nach zwei nachgewiesenen Wolfsrissen durch ein und dasselbe Tier beim Umweltministerium einen Antrag auf Entnahme des Problemwolfs GW1582m zu stellen. „Wir benötigen schnelle Entscheidungen“, hatte Seefried erklärt. Angaben des Umweltministeriums zufolge ist inzwischen nachgewiesen, dass der Wolfsrüde, der Ende August eine Schafsherde bei Gräpel attackierte, auch für den Angriff auf eine Rinderherde bei Stade-Wiepenkathen vor zwei Wochen verantwortlich. In Gräpel starben 55 Tiere, in Wiepenkathen zwei Rinder.
Damit ein Abschuss bisher genehmigt werden kann, müssen folgende Punkte erfüllt sein: Der Wolf muss für die Risse Herdenschutz überwunden haben. Und es müssen ihm mindestens zwei Risse nachgewiesen werden. Letzteres ist nun erfüllt. Allerdings müssen Rinder nicht innerhalb von Herdenschutzzäunen gehalten werden.
Der 28.000 Euro teure Zaun in Gräpel soll Schwachstellen aufgewiesen haben. In der offiziellen Schutztier-Schadenskarte des Landesumweltministeriums heißt es zu dem Rissereignis: „Mindestschutz gemäß Richtlinie Wolf: beeinträchtigt.“ Am Tor sei der Zaun nicht wolfsabweisend, außerdem gebe es Einsprunghilfen durch Baumstümpfe am Zaun, erklärte Matthias Eichler, Pressesprecher des Umweltministeriums, auf Anfrage. Durch diese Beeinträchtigung sei eine wichtige rechtliche Voraussetzung für eine Ausnahmegenehmigung nicht erfüllt.
Er verwies auf das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, das setze die mehrmalige Überwindung von (ausreichenden) Schutzvorrichtungen bei Schafen oder den Angriff auf zum Selbstschutz befähigte Rinder oder Pferde für eine Ausnahmegenehmigung voraus.
Aufgrund der Häufung von Wolfsangriffen in den vergangenen Wochen seien die Nutztierhalter zutiefst verunsichert. Die Wolfsrisse hätten auch Auswirkungen auf den Hochwasserschutz. „Eine Schafbeweidung der Deiche ist für den Küstenschutz zwingend erforderlich. Wir sind hier auf die Mitwirkung der Schäfer angewiesen“, sagte Seefried. Eine wolfssichere Einzäunung der gesamten Deichlinie sei weder finanziell noch logistisch realisierbar.
Auch Kritik an den Vorschlägen
Für den Bauernverband sind Lemkes Vorschläge „völlig unzureichend“. „Mit solchen Placebo-Lösungen wird die Weidetierhaltung weiterhin einer verfehlten und weltfremden Wolfspolitik geopfert“, sagte Generalsekretär Bernhard Krüsken. Die Verbände von Bauern, Jägern, Schafzüchtern und Reitern pochen seit Monaten nicht nur auf eine schnelle „Entnahme von übergriffigen Wölfen bis hin zu ganzen Rudeln“ zum Schutz von Schafen, Ziegen, Pferden, Rindern und Wildtieren. Nötig sei ein generelles Management des Wolfsbestandes. Die Rede ist etwa von jährlich festzulegenden Abschussquoten oder wolfsfreien Zonen.
Der Unions-Agrarexperte Albert Stegemann (CDU) kritisierte: „Ministerin Lemke drückt sich weiter vor ihrer Verantwortung.“ Sie solle die Voraussetzungen schaffen, dass Wölfe bejagt werden können, bevor Wolfsrisse entstehen.
Lob von Umweltverbänden und Grünen
Die Umweltschutz-Organisation WWF Deutschland lobte angesichts der oft aufgeheizten Debatte: „Mit ihrem Vorstoß zum zukünftigen Umgang mit dem Wolf kann Bundesumweltministerin Lemke zur Brückenbauerin werden.“ NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger sagte: „Die allermeisten Wölfe respektieren Herdenschutzmaßnahmen.“ Für die „wenigen Fälle“, in denen trotzdem Weidetiere gerissen würden, seien Lemkes Vorschläge sinnvoll.
Die Deutsche Umwelthilfe sprach von einer „praktikablen, wissenschaftlich fundierten und zügig umsetzbaren Lösung“. Der Grünen-Abgeordnete Harald Ebner lobte, der zügige Abschuss problemverursachender Wölfe werde mit den Vorschlägen schneller möglich. Um Rissen durch Schutz der Herden vorzubeugen, müssten die Länder aber auch die Förderung und Beratung der Weidetierhaltenden ausbauen, sagte Ebner der Deutschen Presse-Agentur.
Der Weg zum Abschuss
Deutschland ist nach nationalem und europäischem Recht verpflichtet, den wildlebenden Wolf streng zu schützen. Laut der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) wurden 2022 aber mehr als 4000 Nutztiere durch Wölfe getötet oder verletzt - im langjährigen Vergleich nahm die Zahl deutlich zu. 2015 waren es erst mehr als 500. Dies habe dazu geführt, dass die Frustration groß und die Akzeptanz des geschützten Wolfes in Gefahr sei, sagte Lemke.
Bisher gelten genetische Untersuchungen anhand von Riss- und Fraßspuren als nötig, um einen Abschuss zu ermöglichen. Dies dauere aber zu lange und sei zu kompliziert, so Lemke. So blieb die Zahl getöteter Tiere mit Erlaubnis der Behörden niedrig. Kontrolliert getötet wurden laut DBBW zuletzt binnen eines Jahres nur zwei Wölfe. 125 starben durch Verkehrsunfälle. Elf Tiere wurden illegal getötet.
184 Wolfsrudel in Deutschland
In den vergangenen Jahren verbreiteten sich die Wölfe immer stärker - Lemke sprach von einem „Erfolg des Artenschutzes“. So gab es laut DBBW 2022/2023 in Deutschland 184 Wolfsrudel, 47 Wolfspaare sowie 22 sesshafte Einzelwölfe - insgesamt „1339 Wolfsindividuen“. Die meisten Wolfsfamilien leben in Brandenburg (52), Niedersachsen (39) und Sachsen (38). Auch in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen wurden Wölfe nachgewiesen.
Laut Naturschutzbund NABU gibt es kein „übermäßiges (...) Wachstum des Wolfsbestands in Deutschland“. Die Verbände der Landwirte, Jäger und Reiter kritisierten, die Zahlen verharmlosten die Entwicklung: „Demnach gibt es derzeit 2000 bis 3000 Wölfe in Deutschland.“ (dpa/st)