TAlte Turnhalle Assel: Bühne, Disco und Boxring - eine Ära endet

Es war ein richtiges kleines Boxzentrum, das der VTV sich in der Alten Turnhalle eingerichtet hatte. Trainer Matthias Steinert schwärmt noch heute vom einmaligen Flair der Boxhalle. Foto: privat
Die Alte Turnhalle in Assel steht nach fast 100 Jahren vor dem Abriss. Sie hat wilde Zeiten hinter sich - als Boxhalle, Jugendzentrum oder Disco. Promi-Musiker starteten hier.
Assel. Die Alte Turnhalle ist vom Echten Hausschwamm, einem tückischen Pilz, befallen. Eine Sanierung wäre sehr teuer und der Erfolg nicht sicher. Die politischen Gremien fällten das Todesurteil für den Ziegelbau mit den hohen Fenstern, dessen Holzdielen ohne Fundament über dem blanken Boden liegen.
Asseler verbinden viele Erinnerungen mit der Turnhalle
Das Ende der Turnhalle, die in den vergangenen Jahren als Boxhalle fungierte, weckt Wehmut bei vielen Menschen aus Assel und Drochtersen. Viele von ihnen haben in diesem Gebäude in den 1970er und 1980er Jahren spannende Zeiten erlebt - in einer Ära der selbstbestimmten und selbstorganisierten Jugendarbeit.
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Die Turnhalle wurde vor 1927 vom VTV Assel errichtet. „Als 1969 die Grundschule und die Grundschul-Turnhalle in Assel gebaut wurden, zog der VTV in die Grundschul-Turnhalle und überließ der Gemeinde die Alte Turnhalle“, erinnert sich Joachim Grantz. Die Gemeinde funktionierte die Halle zum Jugendzentrum um. Ein kleiner verschachtelter Raum über der Halle wurde von der Gemeindefeuerwehr noch bis 2023 jahrzehntelang als Kleiderkammer genutzt.

Eine alte Aufnahme der Alten Turnhalle - von wann ist unbekannt. Banner hängen beidseitig der Gedenkstätte für gefallene Soldaten, die sich noch heute auf der Rückseite des Gebäudes befindet. Foto: privat
Die Turnhalle war ein offener Jugendtreff, in dem die Jugendlichen den Betrieb eigenverantwortlich organisierten. Um die Einrichtung heimelig zu machen, wurden damals keine Neumöbel gekauft oder Gelder von der Gemeinde beantragt, erinnert sich Grantz: Da wurde der Sperrmüll abgeklappert, so kam man günstig zu passenden Sitzgelegenheiten. „Wir haben beispielsweise von der Gemeinde zwar Geld für Farbe bekommen, aber gestrichen haben wir selbst.“
Jugendpfleger gab es nicht
Jugendpfleger, die während der Öffnungszeiten im Haus waren, gab es nicht. Dafür gab es Karl Fischer, der mittlerweile verstorben ist. Alle kannten sie ihn. Fischer war bei der Gemeinde tätig und wohnte neben der Alten Turnhalle. Er war ehrenamtliche Aufsicht und Ansprechpartner für die Jugendlichen. Und er wusste immer Bescheid, wenn Jugendliche vom Jugendtreff, wo striktes Alkoholverbot galt, für ein Bier zur Kneipe nach gegenüber pilgerten. „Außer Karl Fischer haben wir keinen gehabt, der uns geholfen hat“, sagt Joachim Grantz.
Vor allem zwei Zusammenschlüsse von jungen Leuten nutzten die Halle: In Assel gab es eine Gruppe Jugendlicher, bei denen sich unter anderem Joachim Grantz engagierte. In Drochtersen gab es die AG Freizeit, in der Dirk Ludewig, damals Junglehrer, als Sprecher aktiv war - auch der heutige D/A-Präsident Rigo Gooßen und der SPD-Politiker Heino Baumgarten waren dabei. Beide Gruppen, Assel und Drochtersen, kooperierten miteinander.
Es war viel zu organisieren: „Ab nachmittags konnte man sich im Jugendzentrum treffen“, erinnert sich Grantz. Auf den Sofas lümmeln. Tischtennis spielen. Alle vier Wochen gab es Filmvorführungen „16-Millimeter-Streifen auf dem Großprojektor“, erinnert sich Grantz. Die Filme besorgten die Jugendlichen selbst beim Filmverleih, absolvierten Lehrgänge, um überhaupt vorführen zu dürfen.
Assel als Nightlife-Mekka der Jugend
Das Highlight waren die Konzerte und Disco-Abende. „Da waren bestimmt 200 bis 300 Leute da, jedes Wochenende“, sagt Dirk Ludewig. 99 Pfennige kostete der Eintritt - „mehr durften wir nicht nehmen“, berichtet Grantz. Die Gäste zahlten dann jeweils eine Mark. Vom Erlös wurden neue Singles gekauft oder Filme ausgeliehen.
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„Die Alte Turnhalle war meine erste Disco“, erzählt Michael Pehmüller aus Drochtersen. Der heute 52-Jährige war als Teenie erst ein kleiner Stubenhocker, wollte partout nicht losziehen mit den Freunden, die alle zur Asseler Disco im Jugendtreff gingen. „Ich saß in der Küche und meine Mutter sagte zu mir: Du musst auch mal los. Meine Cousine hat mich dann mitgeschleppt. Von da ab war ich fast jeden Samstag da. Ich habe Breakdance getanzt. Michael Jackson war schon inspirierend.“
Wenn um 21.45 Uhr bei der Disco in Assel die Lichter ausgingen, sammelten sich die Jugendlichen. Die älteren zogen weiter - entweder zur Kneipe Peters oder nach Drochtersen zur Diskothek „Cäsar“.
Torfrock und Scorpions-Gitarrist rockten in Assel
Bei den Konzerten spielten einheimische und Gastbands. In der Alten Turnhalle traten damals auch Musiker auf, die später Musikgeschichte schrieben. „Torfrock: Die kannte damals noch keiner“, erinnert sich der 55-jährige Volker Rabenalt aus Drochtersen.
Der Gitarrist Matthias Jabs rockte 1978 mit der Band „Lady“ im Jugendzentrum Assel. „14 Tage später war er in der ,Bravo‘ abgebildet. Die Scorpions suchten damals einen neuen Leadgitarristen. Das wurde Matthias Jabs“, berichtet Dirk Ludewig. Und Knut Beversdorf, der seit 1983 bei Truck Stop spielt, hatte in den 1980er-Jahren einen seiner ersten Auftritte überhaupt in der Alten Turnhalle.
„Der Aufbau der Soundtechnik war immer sehr mühselig. Bei den Musikabenden machten Bühne und Technik fast zwei Drittel der Fläche aus“, erzählt Dirk Ludewig, der schon damals als DJ Platten auflegte und mit Matthias Rambow selbst in der Band „Stoorm“ spielte.
Die selbstgebauten Boxen glühen
„Wir konnten nur fünf Lieder. Ein Blues war dabei, den haben wir auf 13 Minuten gezogen“, lacht Ludewig. „Wir hatten selbst gebaute Boxen, die anfingen zu glühen, da mussten wir abbrechen, auch in Assel“.
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Nach den 1980er Jahren sei es zunehmend ruhiger ums Jugendzentrum Assel geworden, erzählt Joachim Grantz. Irgendwann wurde die alte Turnhalle kaum mehr genutzt. Bis im Jahr 2009 die Boxer vom VTV Assel dem alten Gemäuer neues Leben eintrimmten.
2008 hatten Dieter Knötsch und Heino Steinert die VTV-Boxsparte ins Leben gerufen: Knötsch wollte Kids mit Hilfe des Sports von der Straße holen. Anfangs trainierten die Boxer in der Halle bei der Grundschule. Knötsch und Steinert schauten sich die Alte Turnhalle an - und verliebten sich.
Ein Boxzentrum mit Flair
Mit Unterstützung der Gemeinde und viel Eigenleistung funktionierten die Boxer die Halle zu einem kleinen Boxzentrum um. „Da waren früher rings an den Wänden alte Teakholzbänke. Die haben wir als Halterungen für die Wandmatten genommen“, erzählt Steinert. Ein Boxring wurde errichtet. Sandsäcke, Wandspiegel und später auch Fitness-Trainingsgeräte kamen. Steinert liebte das Flair der alten Halle: „Es roch nach Boxen und Schweiß“.
„Wir waren hier sehr gut ausgestattet - da hat man in Niedersachsen seinesgleichen gesucht“, schwärmt Heino Steinert, der schon als Jugendlicher in der DDR boxte. Bald schon verzeichnete die Boxsparte sportliche Erfolge.
Deutsche Box-Meisterin aus Assel
Lena Büchner wurde 2019 Deutsche Meisterin im Leichtgewicht und 2022 Deutsche Hochschulmeisterin, lebt aktuell in Hannover. „Sie ist unser Aushängeschild“, sagt Steinert. Aber es geht ihm nicht vorrangig um Wettkampferfolge, sondern um Gesundheit.
Viele Kinder und Jugendliche bewegten sich zu wenig und hätten unabhängig von ihrer sozialen Herkunft erhebliche Defizite bei Motorik und Koordination. „Die können keine Rolle vorwärts und rückwärts mehr.“
Inzwischen haben die Boxer in der alten Halle alles ausgeräumt, der Boxring ist abgebaut und wird verkauft. Seitdem im Sommer der Hausschwamm in der Boxhalle diagnostiziert wurde, trainiert die VTV-Boxsparte wieder in der Alten Turnhalle bei der Grundschule, hat dort einen mobilen Boxring angeschafft. Die Trainingsmöglichkeiten seien zwar gut. „Aber das Flair fehlt“, sagt Steinert.

Schwammbefall in der Boxhalle. Sie soll abgerissen werden. Foto: Knappe

Eine historische Handskizze der Alten Turnhalle. Hobby-Archivar Michael Pehmüller geht davon aus, dass es sich um eine Konzeptzeichnung für die ursprünglich geplante Halle des VTV handelt. Auf der Rückseite der Karte steht: "Wohltätigkeit Karte für den Turnhallenbau in Assel". Foto: privat