TAngst vor dem Wolf: Pferdehalterinnen halten nachts Wache – Radfahrer verfolgt

Hauptsache artgerecht - so halten Tanja Kownatka und Margitta Bertram ihre Tiere. Im Offenstall, mit Paddock und Weide sind Shetty Lörchen und die Hannoveraner-Stute El Luisa glücklich. Darum halten die Frauen jetzt nachts Wolfswache im Wohnwagen. Foto: Klempow
Der Wolf war da, die Spur im Sand ist eindeutig. Für die Pferdehalterinnen in Kranenburg war das ein Schock. Ihre Pferde leben in kleinen Herden im Offenstall, direkt am Haus, mit Familienanschluss. Die Frauen halten nun nachts Wache.
Der Wohnwagen steht mitten im Pferdeauslauf hinter den Häusern am Kranenburger Ortsrand. Im Wohnwagen halten sechs Frauen abwechselnd Wache, zu zweit, jede Nacht. Sie lauschen auf die Pferde, haben Nachtsichtgerät und Wärmebildkamera griffbereit. Das Fenster des Caravans steht offen. Bis in die Morgenstunden sitzen sie in ihren Schlafsäcken im Wohnwagen. Wie lange werden sie das durchhalten? „So lange wir müssen“, sagt Margitta Bertram. „Es geht nicht anders.“
Bei Tag betrachtet, leben Margitta Bertram und Tanja Kownatka in einer Idylle. Bullerbü lässt grüßen. Zwei Hannoveraner-Stuten fressen ihr Heu im Offenstall, der hinter Bertrams Haus steht. Mini-Shetty Lörchen kommt neugierig näher. „Sie ist ein tolles Kinderpony“, sagt Margitta Bertram. Ein zweites Shetty hat sich im Stall verkrümelt. Offenstall, Sandpaddock und die lang gestreckte Weide hinterm Haus - so leben auch Kownatkas Pferde gleich nebenan. „Aber hätte ich das gewusst, dass das solche Ausmaße annimmt, ich glaube, ich hätte die beiden nicht decken lassen“, sagt sie und zeigt auf die Isländer- und die Paint-Stute. Beide haben ein wenige Monate altes Fohlen bei Fuß.
Wolfsspuren im Pferdeauslauf
Das Bullerbü-Bild ist angekratzt. Ebenso wie die Nerven der Pferdehalterinnen. Eines Morgens, in der vorletzten Woche, war alles anders: Eine Ecke des Paddock-Bodens war aufgewühlt. Bertrams Hannoveraner-Stuten El Louisa und Laya Sue hatten verklebtes Fell - getrockneter Schweiß. „Was war hier heute Nacht los?“, fragte sich Margitta Bertram. Sie fand Spuren im Sand. Ein Jäger guckte sich die Abdrücke der Fährte an. Er war sich sicher beim Blick auf zwei der Abdrücke: Das war ein Wolf. Was tun? „Ich konnte seit Gräpel sowieso schlecht schlafen“, sagt Tanja Kownatka. Die Überwachungskamera, die noch für die Fohlengeburten installiert war, lief seit dem Riss von 55 Schafen im Nachbarort im Dauerbetrieb. Also verabredeten sich die Frauen.
Mit einer klaffenden Wunde an der Bauchseite, mit Verletzungen am Hals und an der Kruppe zog Uwe Wichers den Hannoveraner-Jährling völlig entkräftet aus dem Graben. Das Pferd wurde an Ort und Stelle auf der Weide in Isensee eingeschläfert.
Die erste Nachtwache verbrachten sie im Zelt und im Auto. Morgens um 5 Uhr brachen sie ab. „Wir haben gedacht, er kommt nicht mehr“, sagt Margitta Bertram. Sie unterhielten sich noch laut, die Autotüren schlugen zu - es gab Lärm, es herrschte Betrieb. Morgens um 8 Uhr kam die Nachricht - auf der Nachbarweide liegt eine tote Färse, eine junge Kuh, etwa 150 Meter entfernt. Der Rissbegutachter der Landwirtschaftskammer sicherte DNA, konnte aber laut Kammer „keinen Hinweis auf die Beteiligung eines Wolfes feststellen“. Für die Verwertung der DNA-Proben ist das Wolfsbüro des zuständigen Landesbetriebs (NLWKN) oder auch das Umweltministerium zuständig.
An der Angst um die Tiere ändern derlei Zuständigkeiten ohnehin nichts. Tanja Kownatka will den Zaun erhöhen. Aber das Misstrauen, wie sicher ein Herdenschutzzaun wirklich ist, sitzt tief. Margitta Bertram hat einen pferdegerechten Stromzaun rund um Weide und Paddock. Und ein wolfssicherer Zaun ist nicht von heute auf morgen gebaut, auch nicht in drei Tagen. Denn am Sonntagmorgen war das Raubtier zurück.
Knall verscheucht das Tier
Am Samstagabend war in der Nachbarschaft Remmidemmi. Die Frauen verzichteten auf die Nachtwache - die Feier schien viel zu laut zu sein. Doch dann wurde es still. Tanja Kownatka packte ihr Equipment und setzte sich gegen 3.30 Uhr ins Auto. 20 Minuten später sah sie zum ersten Mal etwas Großes an der Weide laufen. Gegen 4 Uhr wieder. „Es war eindeutig, geduckte Haltung, Wolfstrab.“ Und jetzt? Per Handy alarmierte sie ihre Nachbarin. Ob es ein oder zwei Wölfe waren, bleibt unklar, aus der anderen Richtung kam wieder einer - und lief auf den Paddock zu. Ein Bekannter eilte zu Hilfe und schoss mit Pyrotechnik in die Luft. Der Knall verscheuchte das Tier.
Seither ist es ruhig am Paddock. Aber gesehen werden die Wölfe immer wieder in den Ostedörfern. Die Nerven liegen nicht nur bei Tierhaltern blank. Zwischen Estorf und Gräpel sollen zwei Wölfe einen jungen Radfahrer nachts nach einer Party auf dem Nachhauseweg begleitet haben. Das berichtet der Vater des jungen Mannes dem TAGEBLATT. Am Montagmorgen soll ein Wolf in Blumenthal über einen Zaun gesprungen sein und einen 17-Jährigen auf dem Weg zur Ausbildung verfolgt haben. Solche Begegnungen sprechen sich herum und sind - ganz ohne Panikmache - für viele beängstigend.
Radfahrer begegnen Wölfen
Das Wolfsbüro des NLWKN rät Radfahrern, wie auch allen anderen, Ruhe zu bewahren und abzuwarten, bis sich der Wolf zurückzieht. „Für den eigenen Rückzug empfiehlt es sich, den Wolf im Blick zu behalten, ein Fahrrad eventuell zu schieben.“ Junge Wölfe seien neugieriger als ausgewachsene Tiere. Auf der Website heißt es weiter: „Sollten Sie sich damit sicherer fühlen, können Sie bei Spaziergängen in Wolfsgebieten auch Pfefferspray, Trillerpfeife oder einen Schrill-Alarm mit sich führen.“ Ein Megafon mit Sirene haben die Kranenburgerinnen nachts griffbereit.
Das Raubtier mit „akustischen oder optischen Signalen zu verscheuchen, mehr bleibt nicht übrig“, sagt Raoul Rendig, Wolfsbeauftragter der Landesjägerschaft Niedersachsen. „Oder eben im Vorfeld eine wolfsabweisende Einzäunung zu erstellen - das ist das, was das geltende Recht im Moment zulässt“, sagt er. Und er stellt klar: So wie andere Wildtiere, Rehe oder Füchse, laufen nachts auch Wölfe durch Dörfer. „Menschliche Strukturen sind nicht mit Menschen gleichzustellen“, so Rendig.
Einen Schuppen hat Margitta Bertram für die Shettys freigeräumt, damit sie nachts sicher sind. „Aber wenn sie könnten, würden sie uns wegen Freiheitsberaubung anzeigen“, sagt sie mit Galgenhumor. Offenställe sind Schutz vor Wind und Wetter und nicht verschließbar - und Offenstall-Pferde sind es nicht gewöhnt, auf engem Raum eingesperrt zu sein.
„Auch das ist gefährlich“, sagt Tanja Kownatka, die ihre Tiere nur zu gut kennt. Also: „Wir haben im Moment keine andere Option“, sagt Margitta Bertram. Die Frauen stellen sich noch auf viele lange Nachtwachen ein, ihren Pferden zuliebe.