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Interview

TAntje Flemming ist die neue Chefin im Literaturhaus Hamburg

Antje Flemming ist die neue Chefin des Literaturhauses. Foto: Heike Blenk

Antje Flemming ist die neue Chefin des Literaturhauses. Foto: Heike Blenk

Antje Flemming ist so etwas wie die gute Seele des Hamburger Literaturbetriebs. Jetzt lädt sie als Gastgeberin ins Literaturhaus ein. Dort will sie neue Akzente setzen.

Von Redaktion Sonntag, 18.05.2025, 13:00 Uhr

Hamburg. Sie war neun Jahre Referentin in der Kulturbehörde, betreute Autorinnen und Autoren bei Projekten, vergab Stipendien und organisierte Preisverleihungen. Die promovierte Germanistin Antje Flemming ist in der Szene sehr gut vernetzt. Seit dem 1. Mai ist sie die neue Leiterin des Literaturhauses am Schwanenwik. Im Interview mit Martin Sonnleiter erzählt sie von ihren Ideen für das Haus.
TAGEBLATT: Was war das erste Buch, das Sie gelesen haben?

Antje Flemming: Panni Pünktchen, ein ungarisches Kinderbuch. Ich bin in der DDR großgeworden.

Wann war klar, dass Sie beruflich etwas mit Literatur machen werden?

Mein Vater hat mir viel vorgelesen, Bücher waren immer präsent bei uns zu Hause. Meine Kindergärtnerin sagte, ich würde lieber Bücher anschauen, als mit anderen Kindern zu spielen. Als die Wende kam, war ich 15 und habe erst einmal Stephen King geradezu verschlungen. Nach meinem Germanistikstudium wollte ich dann eigentlich ans Theater, in die Öffentlichkeitsarbeit oder Dramaturgie.

Wie sind Sie zur Literatur gekommen?

Ich schwankte zwischen Journalismus und Pressearbeit für Kulturinstitutionen, verdiente mein Geld als Aushilfe in der Pressestelle der Hamburger Kammerspiele. Mein erster Job war in der Stadthalle Chemnitz. Ich komme also eher aus dem Veranstaltungsbereich. 2002 wurde ich dann Pressesprecherin im Literaturhaus Hamburg und wechselte 2016 in die Kulturbehörde. Meine Aufgabe dort war die Förderung des literarischen Lebens. Ich habe mich als Ermöglicherin verstanden und viele Menschen aus der Szene miteinander vernetzt.

Was die neue Literaturhauschefin plant

Auf welche konkreten Ideen der neuen Literaturhauschefin können wir uns denn freuen?

Ich übernehme ein funktionierendes Haus mit einem hoch engagierten Team. Mein Programm wird sicher jünger und auch weiblicher werden. Jetzt war zum Beispiel gerade die US-amerikanische Autorin Rachel Kushner in der Stadt, die einen Spionagethriller aus weiblicher Perspektive geschrieben hat, der für den Booker-Preis nominiert war. Die internationale Perspektive gehört zum Literaturhaus, darauf werde ich einen Fokus setzen.

Wie meistern Sie den Spagat zwischen Tradition, Etatverwaltung und Starthilfe für neue Literatur?

In erster Linie geht es darum, das Literaturhaus in die Zukunft zu führen. Die Herausforderung ist die Balance zwischen großen Namen und noch unbekannten Stimmen. Ganz persönlich muss ich jetzt umschalten zwischen der Fürsorge für Autorinnen und Autoren und der Budgetverantwortung für das Haus. Wichtig sind dabei Kooperationen, mit Stiftungen, mit Verlagen. Das Literaturhaus ist alleine nicht in der Lage, jemanden aus den USA oder Japan für eine einzelne Lesung nach Hamburg zu holen.

Der Kulturetat in Hamburg ist ja gerade um elf Prozent gestiegen. Dennoch sagten Sie, nur fünf bis zehn Prozent aller Schriftsteller könnten vom Schreiben leben. Wie steht es da um die Zukunft der Hamburger Literaturszene?

Der Kulturetat fließt ja nicht direkt zu den Künstlerinnen und Künstlern, auch wenn die Kulturbehörde gerade zwölf Arbeitsstipendien für Literatur und Comic eingerichtet hat. Hamburg hat eine sehr lebendige und gut vernetzte Literaturszene, wenn sie auch nicht so groß ist wie in Berlin. Die Kinder- und Jugendliteratur in Hamburg ist stark, die Comicszene sehr aktiv. Die Hamburger Autorin Kristine Bilkau hat im März mit ihrem Roman „Halbinsel“ den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen. Das ist toll, auch für die Stadt. Es ist gut, solche Aushängeschilder zu haben. Außerdem ist es ein herausragender Roman.

Geht es bei den künftigen Veranstaltungen in Schwanenwik denn eher um literarische Tiefe oder Breite?

Es geht um beides. Wir wollen intensiv einzelne Werke betrachten, aber auch die Vielfalt zeigen, die es so nur in der Literatur gibt. Vielleicht machen wir auch mal etwas zu den New Romance Romanen, die gerade so in sind. Auf der Frankfurter Buchmesse gab es eine eigene Halle für diese Bücher: Draußen Glitzer und Farbschnitt, drin sehr viel Liebe und ein bisschen Grusel. Auch in Hamburg gibt es Autorinnen, die in diesem Genre sehr erfolgreich sind.

„Mehr Vielfalt abbilden“

Wie gehen Sie denn die Förderung des literarischen Nachwuchses konkret an?

Das Literaturhaus soll auch in 10 oder 20 Jahren noch der Mittelpunkt des literarischen Lebens sein. Das Literaturhaus hat ein fantastisches Kinder- und Jugendprogramm. Es geschieht dort schon sehr viel. Ich möchte verstärkt jüngere Autorinnen und Autoren einladen und auch die Moderation in jüngere Hände legen. Es gibt großartige Literaturvermittler, die noch keine 30 sind. Ich habe großes Vertrauen in junge Menschen.

Was planen Sie konkret?

Ich wünsche mir, dass das Publikum neugierig bleibt und das Team und mich bei unseren Entdeckungen begleitet. Es ist doch so: Gehe ich auf eine Veranstaltung, um meinen Geschmack bestätigt zu sehen? Gucke ich mir zum x-ten Mal den „Sommernachtstraum“ in Theater an oder ein Stück von einem unbekannten Dramatiker? So ist es auch im Literaturhaus. Wir müssen unsere Position auch ab und zu hinterfragen und uns neu aufstellen, zum Beispiel mit eher kurzfristigen Abenden zur Weltlage. Bücher können uns erklären, was in der Welt geschieht. Gerade ist auch im Literaturbetrieb viel im Umbruch, auf der Buchmesse in Leipzig konnte ich sehen, wie viele neue, aufregende Stimmen aktuell verlegt werden. Diese Vielfalt möchte ich im Literaturhaus abbilden.

Wie politisch muss ein Literaturhaus sein?

Man kann nicht Kultur machen, ohne eine Meinung zu haben. Es geht nicht um eine Agenda, sondern um diejenigen, die man einlädt. Zum Beispiel Jegana Dschabbarowa, das ist eine aserbaidschanische Schriftstellerin, deren Roman im Herbst erscheint. Die Autorin lebt in Hamburg in einem Flüchtlingsheim. Ich möchte gern ihren Roman vorstellen und auf ihre Situation aufmerksam machen. Das Literaturhaus soll ein offenes Haus sein, in dem Leute ins Gespräch kommen und debattieren – nur so stärken wir die offene demokratische Gesellschaft.

„Literaturhaus ist mein Zuhause“

Ist Lesen eine Kulturtechnik, die gerade durch die digitale Welt in Gefahr gerät?

Nein, ich muss ja auch in einer digitalen Welt viel lesen. Man liest anders, setzt die Konzentration anders ein. Trotzdem erscheinen noch sehr viele dicke Bücher, übrigens vor allem von Männern – siehe Clemens Meyer oder Dietmar Dath. Für das Lesen eines 1000-Seiten-Buchs braucht man natürlich Zeit, und die zu haben, ist häufig leider ein Luxus.

Was bedeutet Ihnen das Literaturhaus?

Das Literaturhaus ist wie mein Zuhause. Ich habe dort den größten Teil meines Berufslebens verbracht, ich war auf dem Dach und im Keller und in allen Räumen dazwischen. Ich liebe dieses wunderschöne Gebäude.

Wie bewerten Sie den Standort?

Der Standort ist herrlich. Vom Bürofenster kann ich die Alster sehen. Manche sagen, es sei zu abgelegen. Das habe ich noch nie verstanden, es hat ja eine gute Verkehrsanbindung. Ein zentraler Zusatzort wäre dennoch nicht schlecht. Allein, weil das Literaturhaus wegen der großen Nachfrage mit seinen 140 Plätzen oft zu klein ist.

Schreiben Sie selber Bücher?

Ich schreibe viel, aber keine Literatur. Das finde ich auch gut. Sonst denkt man noch, man wäre eigentlich besser als die anderen. Ich bewundere alle, die sich Geschichten ausdenken können.

Zur Person:

Antje Flemming, geboren 1974 in Karl-Marx-Stadt, ist im Literaturhaus keine Unbekannte: Von 2002 bis 2016 verantwortete sie die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses am Schwanenwik.

Anschließend war sie für neun Jahre in der Behörde für Kultur und Medien Hamburg als Referentin für Literatur tätig. Sie hat in Hamburg und Northampton, Massachusetts, Germanistik, Amerikanistik und Medienkultur studiert und über den Filmregisseur Lars von Trier promoviert.

Flemming hat zahlreiche Veranstaltungen moderiert, hatte Lehraufträge unter anderem an der Universität Hamburg inne, war Herausgeberin des Hamburger Jahrbuchs für Literatur ZIEGEL. Sie lebt mit ihrem Ehemann im Stadtteil Rothenburgsort.

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Mein Lieblingsbuch ist ... der gerade frisch im mairisch Verlag erschienene ZIEGEL, das Hamburger Jahrbuch für Literatur.

Mein Lieblingsort der Literatur in Hamburg ist ... das Literaturhaus.

Als literarische Figur wäre ich ... eine Superheldin, die den Inhalt von Büchern kennt, wenn sie nur ihr Ohr auf die Seiten hält.

Mein Hauptantrieb ist ... Leuten zu vermitteln, wie vielfältig, bunt und aufregend Bücher sein können.

Wandel ist ... notwendig und nicht aufzuhalten.

Mein Lieblingszitat in der Literatur ist... „Lass dich von diesen Bastarden nicht unterkriegen“ aus „The Handmaid’s Tale“ von Margaret Atwood.

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