Zähl Pixel
Gericht

TBaggersee-Mordprozess: Was für ein Mensch war der Mann, der erschossen wurde?

So berichtete das TAGEBLATT 2002 über den Mann, der am Baggersee in Ovelgönne erschossen wurde. 22 Jahre später wurden am Landgericht Stade neue Erkenntnisse über ihn öffentlich.

So berichtete das TAGEBLATT 2002 über den Mann, der am Baggersee in Ovelgönne erschossen wurde. 22 Jahre später wurden am Landgericht Stade neue Erkenntnisse über ihn öffentlich. Foto: Archiv

Nach Erkenntnissen der Polizei war der Getötete vom Baggersee in kriminelle Geschäfte verwickelt gewesen. Auffallend groß ist die Kluft zwischen Polizeivermerken und Aussagen von Zeugen. Das sagten jetzt seine frühere Ehefrau und ein Freund von damals aus.

author
Von Thomas Sulzyc
Donnerstag, 16.05.2024, 00:08 Uhr

Buxtehude. Vor der 2. Großen Strafkammer am Landgericht Stade ist der Baggersee-Mordprozess gegen vier Männer, die wegen gemeinschaftlichen Mordes angeklagt sind, fortgesetzt worden. Im Mittelpunkt stand der Mann, der 2002 brutal erschossen worden war: der damals 27 Jahre alte Valerij V. aus Hamburg. Auffallend viele Narben am Körper, ein starker Boxer. Offenbar jemand, der in einer Clique von Russlanddeutschen etwas zu sagen hatte.

Nach Erkenntnissen der Polizei war Valerij V. in kriminelle Geschäfte verwickelt. 1997 war er an einer Schießerei vor dem Atlantic-Hotel in Hamburg beteiligt, wurde dabei schwer verletzt. Das berichtete das TAGEBLATT bereits 2002.

Rauschgifthandel zwischen Bergedorf und Buxtehude

Während der Verhandlung am Landgericht Stade wurden jetzt zusätzliche Erkenntnisse der Polizei über Valerij V. öffentlich: Laut einem Informanten der Polizei soll der Mann einer Gruppe von Russlanddeutschen angehört haben, die zwischen Bergedorf und Buxtehude einen großen Teil des Rauschgifthandels bestritten habe. Das geht aus einem Polizeivermerk hervor, der vor Gericht verlesen wurde.

Damit konfrontiert, antwortete die frühere Ehefrau von Valerij V.: Ihr damaliger Ehemann habe nicht mit Drogen gehandelt. Die 42-Jährige sagte als Zeugin aus. Ob er mit Prostitution zu tun gehabt habe, wollte ein Rechtsanwalt der vier Angeklagten noch von ihr wissen. Auch das verneinte die Frau. „Valerij war kein schlechter Mensch“, sagt sie.

Aussagen der Ex-Frau sind oft nebulös

Die Frau ist inzwischen wieder verheiratet, lebt mit ihrer neuen Familie in Schleswig-Holstein. Vor 18 Jahren habe sie Hamburg den Rücken gekehrt. Im Business-Look erschien sie vor Gericht: dunkelblaues Sakko, dunkelblaue Hose, weiße Bluse, weiße Schuhe. Sie arbeitet im Controlling, im Rechnungswesen also. Ihre Aussagen zu den Tätigkeiten ihres früheren Mannes blieben nebulös.

Cliquen hätten damals Hamburg unter sich aufgeteilt. Näheres sagte die Frau nicht dazu. Valerij V. gehörte zu einer Clique im Raum Bergedorf. Er habe zu den Älteren gehört, die etwas zu sagen hatten. Wenn Probleme auftraten, habe ihr früherer Ehemann geschlichtet. Wie er das getan habe, wisse sie nicht, sagte die Frau auf Nachfrage eines Rechtsanwalts der Angeklagten.

Offenbar ließ Valerij V. die Fäuste sprechen. „Er trainierte Boxen, war sehr stark“, sagte die Frau vor Gericht. Ihr früherer Ehemann sei impulsiv gewesen. Er habe allen offen ins Gesicht gesagt, was er dachte. „Damals wurde nicht lange diskutiert“, sagte sie noch.

Impulsiver Mann, der Kokain und Crack nimmt

Valerij V. hat Drogen konsumiert. Er habe Kokain genommen und auch Stein, das ist im Szenejargon eine Bezeichnung für Crack, rauchbares Kokain. In der gemeinsamen Wohnung habe er keine Drogen konsumiert. Weil sie es nicht wollte, sagte die Frau.

Wie Valerij V. das Kokain finanziert habe, wollte einer der Verteidiger der Angeklagten wissen. „Ich weiß es nicht“, sagte die Zeugin. Valerij V. habe eine Umschulung zum Speditionskaufmann abgebrochen und zeitweilig in einem Sicherheitsdienstunternehmen gearbeitet.

Kennengelernt habe sie Valerij V., als er Gefangener im Freigang war. Er sei wegen räuberischer Erpressung vorbestraft gewesen. Sie habe auch von der Schießerei vor dem Atlantic-Hotel gewusst. Das sei alles vor ihrer gemeinsamen Zeit gewesen.

Die frühere Ehefrau war an dem Tag, als Valerij V. erschossen wurde, nicht am Baggersee bei Buxtehude gewesen. Einen Tag später erfuhr sie von der Polizei vom Mord an ihrem Mann.

Polizei: Im betrunkenen Zustand äußerst brutal

Laut Polizeivermerken habe ein Freund ausgesagt, Valerij V. sei ein krimineller Mensch gewesen und habe im betrunkenen Zustand äußerst brutal sein können. Der heute 53 Jahre alte Hamburger, vorbestraft wegen Schusswaffengebrauchs, bestritt als Zeuge vor dem Landgericht Stade diese Aussagen: Das seien nicht seine Worte gewesen, das habe die Polizei so formuliert. Er habe Valerij V. nie betrunken gesehen. „Unter Drogen ja - er war entspannt“, sagte der Zeuge.

Ob die Aussagen noch eine Rolle in dem Gerichtsverfahren spielen werden, ist offen. „Auffallend ist die Diskrepanz zwischen der Protokollierung der Polizei und den Aussagen der Zeugen“, sagte einer der Rechtsanwälte lediglich.

Die Redaktion empfiehlt
Weitere Artikel