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TBeleidigt, beschimpft, bedroht: Gewalt gegen Hausärzte nimmt zu

80 Prozent der Ärzte antworten in einer Umfrage, dass sie persönlich im letzten Jahr bei ihrer Praxistätigkeit beschimpft, beleidigt oder mit Worten bedroht wurden. (Symbolbild)

80 Prozent der Ärzte antworten in einer Umfrage, dass sie persönlich im letzten Jahr bei ihrer Praxistätigkeit beschimpft, beleidigt oder mit Worten bedroht wurden. (Symbolbild) Foto: dpa

Die Hausärzte beklagen einen zunehmenden Mangel an Respekt - und wandern immer öfter aus. Die Mediziner hoffen auf die neue Regierung, sind aber schon jetzt enttäuscht.

Von Daniela Barth Sonntag, 04.05.2025, 13:54 Uhr

Landkreis Rotenburg. Die Ärztekammer Niedersachsen forderte in einer Resolution vom 31. März die neue Bundesregierung auf, sich der Problematik von Gewalt in Arztpraxen, Krankenhäusern und der Gewalt gegen Rettungskräfte zu widmen. In der vorigen Wahlperiode lagen Gesetzesvorschläge vor, die eine Erweiterung respektive eine Verschärfung des Strafgesetzbuches betrafen. Diese Vorschläge kamen über die erste Lesung des Bundestages nicht hinaus. Wie dringlich eine Reform ist, zeigt das Beispiel einer Ärztin aus der Region, die ihre Praxis schloss und ins Ausland ging.

Im Mai 2024 ließ eine Polizeimeldung aufmerken: Ein 24-Jähriger wollte trotz Hausverbots eine Arztpraxis nicht verlassen. Zwei Polizistinnen, die vom Praxispersonal gerufen wurden, forderten ihn auf, die Räume zu verlassen, was er ignorierte. Bei der Durchsetzung des Platzverweises schlug und trat der Mann um sich, versuchte, die Pistole einer Beamtin zu ergreifen. Die beiden setzten Pfefferspray ein, brachten den Mann zu Boden und legten ihm Handschellen an. Bei der Auseinandersetzung wurden die Polizistinnen leicht verletzt. Der 24-Jährige wurde in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Gegen ihn wurden mehrere Strafverfahren eingeleitet.

Reizgas am Empfang, verängstigte Angestellte

Einige Zeit später standen die Patienten dieser Hausarztpraxis vor verschlossenen Türen. Die Ärztin hatte die Praxis geschlossen und wanderte quasi über Nacht in die Schweiz aus. Was war geschehen, wie konnte es so weit kommen? Im Gespräch mit der Mediengruppe Kreiszeitung erklärt sich die Allgemein- und Palliativmedizinerin, die anonym bleiben möchte. Sie bestätigt den Vorfall und präzisiert: „Der junge Mann setzte sich einfach in unsere Privatküche und wühlte in Krankenakten, die auf dem Tisch lagen. Er sprach kein Wort, starrte uns an und fummelte immer wieder in seinen Taschen herum. Die Situation empfanden wir als enorm bedrohlich. Wir wussten nicht: Explodiert der jetzt?“ Was dann passierte, als die Polizistinnen eingriffen, habe alle enorm schockiert.

Gewalt in Praxen

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Quelle: KVB-Online-Umfrage (15.8. – 2.9.2024) mit 7580 Teilnehmern; Grafik: NZ
Aber dem nicht genug: „Zwei Tage später tauchte der Mann wieder vor unserer Praxis auf!“ Die Empörung ist der 59-jährigen Hausärztin noch immer anzumerken: „Wie konnte der gleich wieder freigelassen werden?“ Die verständigte Polizei habe nur raten können, dass sie die Praxis verschlossen halten, Patienten sich telefonisch anmelden sollten, damit sie einzeln eingelassen werden könnten, die medizinischen Fachangestellten am Empfang sollten Reizgas bereithalten. „Wie soll man denn so eine Praxis führen?“ Zudem seien auch ihre Angestellten verängstigt gewesen und hätten sich krankgemeldet.

Ärztekammer empfindet den Koalitionsvertrag als enttäuschend

„Der Ist-Zustand ist nicht mehr vermittelbar: Wenn eine Staatsanwaltschaft – wie bereits geschehen – ein Verfahren nach entsprechender Gewalt gegen Praxispersonal einstellt, kann von einer generalpräventiven Wirkung des Strafrechts, die Menschen von Straftaten abhalten soll, keine Rede sein“, argumentiert auch die Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) in ihrer Resolution. „Mit Bedauern mussten wir feststellen, dass der Koalitionsvertrag von Union und SPD keine Aussagen zur Fortführung des in der vergangenen Legislaturperiode begonnenen Gesetzesvorhaben zum Schutz von medizinischem Personal vor Gewalt trifft“, kommentiert ÄKN-Sprecher Nico Gerdau den aktuellen Stand. Die kommende Bundesregierung müsse den Schutz von in der Gesundheitsversorgung tätigen Menschen und damit auch den Schutz der Patientinnen und Patienten höher priorisieren, betont er.

„Das war eine unzumutbare Situation und brachte bei mir das Fass zum Überlaufen“, begründet die Medizinerin die Ad-hoc-Schließung ihrer Praxis. Denn tatsächlich hat die Ärztin im Laufe ihrer 30-jährigen Berufskarriere schon einige Gewalterfahrungen machen müssen: angefangen bei verbaler Gewalt – Beschimpfungen und Drohungen – bis hin zu einem Angriff bei einem Hausbesuch mit einer Geflügelschere, die ihr der Patient, der psychisch erkrankt war, an den Hals legte. Später behandelte sie ihn nur noch unter Polizeischutz. Denn eine Behandlung verweigern durfte sie schon wegen des hippokratischen Eides nicht. „Ein anderer Patient hat einfach mal eine Pistole auf den Tisch gelegt“, erinnert sie sich. Insgesamt habe sie beobachtet, dass die Aggressionshemmschwelle in den letzten Jahren gesunken sei. Und kulturelle Unterschiede bei Patienten mit Migrationshintergrund führten auch häufiger zu Missverständnissen und Druck. „Wenn ich etwa eine Muslima behandelte, dann waren da als Kontrollinstanz auf jeden Fall der Ehemann oder auch andere männliche Verwandte dabei.“ Respekt war da oft Fehlanzeige.

Heftige Kritik an Kassenärztlicher Vereinigung

Was ihr insbesondere gefehlt habe, sei Hilfe und Unterstützung gewesen, beispielsweise von der Kassenärztlichen Vereinigung. Als sie dort meldete, dass sie plane, ihre Hausarztpraxis schließen zu wollen, „hat keiner gefragt, warum? Ich bekam ein Formular zugeschickt und gut. Absolutes Desinteresse. Ich war maximal enttäuscht“.

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