TSchüler immer schlechter: Am Stader Bildungscampus sollen diese Maßnahmen helfen

Bücher entdecken und gemeinsam üben: Lesepatin Kirsten Stahl bei ihrer Lesezeit mit Reham im Bildungscampus Riensförde. Foto: Bisping
Studien schlagen Alarm: Immer weniger Grundschüler können richtig lesen. Das erleben auch Lehrkräfte der fünften Klassen am Bildungscampus in Stade – und wollen Abhilfe schaffen.
Stade. „Moin Lesen“ heißt es mittwochs zwischen 8.05 und 8.30 Uhr. Dann greifen Fünftklässler der Oberschule des neuen Bildungscampus‘ Riensförde (BCR) in Stade zur Lektüre. Sie lesen mitgebrachte eigene Bücher oder solche, die es in der Schule gibt. „Moin Lesen“ ist Teil des neuen Lesekonzepts am BCR.
„Wir bekommen Grundschulkinder mit total unterschiedlichem Niveau in der Lesekompetenz“, sagt Susanne Boinowitz. Sie unterrichtet die Fünftklässler. Einige Kinder könnten keine Wörter lesen, berichtet sie. „Es muss unsere erste Maßnahme sein, dagegen etwas zu unternehmen. Sonst klappt es mit den anderen Fächern auch nicht.“
Durch Mundpropaganda zum Ehrenamt im BCR
Darum gibt es in jedem Klassenraum unterschiedliche Lektüre. Bilderbücher oder solche zum Lesenlernen, in Großdruck oder in kleinerer Schrift, die meisten davon gestiftet.
Zum Konzept der Oberschule gehören auch Lesepaten. Derzeit bieten sieben Ehrenamtliche an, mit Schülerinnen und Schülern zu üben. Jutta Frenzel ist ganz neu dabei. Sie ist über Mundpropaganda dazugekommen.
Kinderbetreuung
T Kinder auf der Warteliste: So will Wischhafen jetzt Kita-Plätze schaffen
Mit zwei Fünftklässlern will sie starten und je 20 Minuten pro Woche üben. Es sei traurig, dass Kinder so wenig Interesse an Büchern haben - aber nicht verwunderlich. Ihre Vermutung: In vielen Familien wird zu wenig gelesen und die Kinder nutzen vielmehr digitale Medien.
Jutta Frenzel findet Vorlesen wichtig. „Dabei werden ja auch Emotionen transportiert“, sagt sie. Zwei ihrer Enkel würden jetzt, mit 10 und 13 Jahren, wieder gerne zum Buch greifen und hätten sich sogar Bibliotheksausweise besorgt.
Lichtblick trotz sinkender Lesekompetenz?
Was früher gängig war, ist heute also etwas Besonderes. Kein heimliches Lesen mehr mit der Taschenlampe unter der Bettdecke? Oder ausgeliehene Bibliotheksbücher, die sich im Kinderzimmer stapeln? Die Zeiten der vielen jungen Leseratten scheinen vorbei zu sein, auch der aktuellsten IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) von 2021 zufolge.
Demnach hat ungefähr ein Viertel aller Viertklässler Schwierigkeiten beim Lesen. Sie erreichen demnach nicht das Mindestniveau beim Textverständnis. Und wie Susanne Boinowitz sagte: Wer nicht richtig lesen kann, wird auch in anderen Fächern abgehängt.
Fachkräftemangel
T Personalnot in Kitas und Schulen: In Apensen sollen jetzt FSJler einspringen
Zum dritten Mal ist die Zahl der Grundschulkinder, die Schwächen beim Lesen und Verstehen zeigen, laut IGLU-Studie gestiegen. Erreichte die mit Punkten gemessene Lesekompetenz 2001 noch 539 Punkte, lag sie 2016 bei 537 Punkten und sank 2021 auf 524 Punkte - ein neuer Tiefstand.
Zum Vergleich: Der Durchschnitt der EU-Staaten liegt bei 527 Punkten. Immerhin aber gaben 63 Prozent der in Deutschland befragten Schüler an, täglich außerhalb der Schule 30 Minuten oder mehr zu lesen.
Unterschiedlich auf das Niveau der Schüler eingehen
Was hilft? Zum Beispiel eine individuelle Förderung, je nach Kompetenz. Was funktioniere, sei eine Eins-zu-eins-Lösung, sagt Boinowitz. Eben Lesepaten, die gezielt auf die einzelnen Fünftklässler eingehen.
So wie Kirsten Stahl. Seit zwei Monaten ist sie Lesepatin am BCR. Auch sie spricht von sehr unterschiedlichem Niveau. „Es gibt Elfjährige, die lesen aus der Erste-Klasse-Fibel, andere können ein bisschen mehr“, sagt sie. Einige Schüler könnten die Worte lesen, sie aber nicht verstehen.
Kirsten Stahl ist kreativ, macht manchmal Lesespiele oder übt das Lesen der Uhr. „Alle haben Spaß“, sagt sie und hofft, dass sie mit ihrer Arbeit etwas bewirken kann.
Auch Sprachanfänger sind dabei, wie beispielsweise Reham aus Syrien. Sie spricht Arabisch und übt mit Kirsten Stahl. Für das Mädchen besonders herausfordernd: Das arabische Schriftbild ist anders und es wird von rechts nach links gelesen.
Die Fünftklässler lesen den Kita-Kindern vor
Digitale Lese-Stifte oder spezielle Apps sind weitere Ideen der Lehrkräfte. Auch der Campus mit einer Kita auf dem Gelände ist hilfreich: „Alle fünften Klassen haben schon mal in der Kita vorgelesen“, sagt Susanne Boinowitz. Miteinander zu arbeiten, stärke Selbstbewusstsein und Empathie der Schüler. „Wir haben ein umfassendes Lesekonzept und möchten damit für alle Schüler attraktiv sein.“
Wer als Lesepatin oder Lesepate oder mit Kinder- und Jugendbuchspenden unterstützen möchte, wendet sich per Mail an Susanne Boinowitz unter susanne.boinowitz@obs-stade.de.
Und wer die Oberschule kennenlernen möchte, hat am Nachmittag der offenen Türen am Freitag, 12. April, von 14 bis 17 Uhr Gelegenheit dazu. Es gibt unter anderem eine Schulführung und Infos zur Schulanmeldung.